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Freitag, 26.05.2006

Rasterfahndung: Verwassungswidrig und wirkungslos - Kommentar - Von Christian Bommarius

Erfolgreich gelungen: Stigmatisierung der deutschen Muslime als potentielle Terroristen.

(Von Christian Bommarius, Berliner Zeitung) Deutschlands führende Rechtspolitiker versichern: Der Terrorismus lässt sich wirksam nur mit der Verletzung, der Beugung oder dem Bruch der Verfassung bekämpfen. Als das Bundesverfassungsgericht im Sommer vergangenen Jahres das evident verfassungswidrige niedersächsische Polizeigesetz für verfassungswidrig erklärte, beklagte der Landesinnenminister - der Initiator des Verfassungsbruchs -, diese Entscheidung erschwere den Kampf gegen den Terrorismus beträchtlich. Der Minister hatte der Polizei erlauben wollen, jedermann ohne konkreten Verdacht im Namen der inneren Sicherheit zu verdächtigen, ohne konkreten Verdacht potenziell jedes Telefonat zu belauschen und so ohne jeden konkreten Verdacht in die Privatsphäre eines jeden einzudringen. Statt sich seines Amtseids auf die Verfassung zu erinnern und sich bei den Bürgern seines Landes zu entschuldigen, rückte der Minister das Bundesverfassungsgericht in die Nähe der Komplizenschaft mit islamistischen Terroristen.

Gestern war wieder "ein schwarzer Tag für die wirksame Terrorismusbekämpfung in Deutschland", also ein guter Tag für die Verfassung. Diesmal klagte der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der die Praxis der Rasterfahndung in Deutschland nach den Anschlägen vom 11. September 2001 für verfassungswidrig erklärte. Diese Fahndungsmethode - der automatisierte Abgleich personenbezogener Daten von allen verfügbaren öffentlichen und privaten Stellen - ist eine gelungene Kombination von durchschlagender Erfolglosigkeit und Verfassungsbruch. Vor drei Jahrzehnten zur Jagd auf Terroristen der Rote Armee Fraktion entwickelt, hat sie sich nur einmal nachweislich bewährt: Rolf Heißler von der RAF - festgenommen anno 1979 - steht für den einzigen Erfolg der Rasterfahndung.

Die Untauglichkeit dieser Fahndungsmethode hat sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht nur dramatisch bestätigt; kein einziger so genannter Schläfer wurde mit ihrer Hilfe aufgespürt. So offenkundig wie ihre Erfolglosigkeit war auch die Verfassungswidrigkeit der Fahndung. Wie der niedersächsische Innenminister ohne konkreten Verdacht der Polizei die telefonische Ausspähung der Bürger erlauben wollte, wurde die Rasterfahndung ohne konkrete Gefahr, nur unter Hinweis auf die allgemeine Sicherheitslage in Gang gesetzt. Zwar wurde nicht ein islamistischer Terrorist enttarnt, aber die Stigmatisierung der in Deutschland lebenden Moslems als potenzielle Attentäter ist immerhin gelungen. Das einzig erfreuliche Resultat dieser Form der Terrorismusbekämpfung ist der soeben angelaufene Film "Schläfer" von Benjamin Heisenberg - er zeigt Verrat und Denunziation als unvermeidliche Nebenfolgen der Ideologie der Inneren Sicherheit.

Die Entscheidung über die Rasterfahndung hat weitreichende Konsequenzen. Nicht nur sind sämtliche rechtswidrig erhobenen Daten zu löschen. Einige Bundesländer müssen auch ihre Polizeigesetze überarbeiten - sie erlauben die Rasterfahndung ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr, sind also nach dem Beschluss des Ersten Senats obsolet: "Eine präventive polizeiliche Rasterfahndung ist mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nur vereinbar, wenn zumindest eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben ist."

Die entscheidende Konsequenz der Entscheidung ist jedoch eine Frage: Wie oft muss das Bundesverfassungsgericht noch daran erinnern, dass die Verfassung nicht durch ihre Zertrümmerung verteidigt wird, bis die Rechtspolitik die Belagerung des Grundgesetzes endlich aufgibt? Die Urteile, mit denen die Karlsruher Richter den vermeintlichen Verteidigern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung inzwischen fast regelmäßig ein desaströses Verfassungsverständnis bescheinigen, sind nicht nur Glanzpunkte der Rechtsprechung, vor allem markieren sie Tiefpunkte des Rechtsstaats - beispielsweise die Entscheidungen zum Großen Lauschangriff und zum Luftsicherheitsgesetz.

Die Bilanz der Terrorismusbekämpfung fällt - fast fünf Jahre nach dem 11. September 2001 - vernichtend aus. Die Verwüstungen, die ihre Verteidiger der Freiheit im Namen der Sicherheit zugefügt haben, hätte sich kein Terrorist je träumen lassen.

Gestern war wieder "ein schwarzer Tag für die wirksame Terrorismus- bekämpfung in Deutschland", also ein guter Tag für die Verfassung.
(Erstveröffentlichung in der Berliner Zeitung vom 24.05.06 - Mit freundlicher Genehmigung des Autors)