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Mittwoch, 10.05.2006
Keinen Krieg der Kulturen! Leidenschaftlicher Aufruf von Ayyub Axel Köhler
Es muss verhindert werden, dass ein Krieg der Kulturen herbei geredet und provoziert wird. Es muss verhindert werden, dass ein vermeintlicher Kulturkonflikt politisch für den Gewinn von Wählerstimmen missbraucht wird. Das Gerede vom Kampf der Kulturen dient leicht als Rechtfertigung von Kriegen. Es geht also um den Frieden in der Gesellschaft und in der Welt.
Das Abendland ist wieder einmal in Gefahr, so scheint es. Da haben wir nun die Gelbe Gefahr hinter uns, die Roten Gefahr aus dem Osten ist gebannt und nun wird uns weiß gemacht, dass der Islam und die Muslime uns bedrohen. Wenn es stimmt, was Hanna Liss von der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg feststellt, dann hat Deutschland ein Problem mit dem Fremden. Und erst kürzlich warnte die Richterin am Bundesverfassungsgericht, Christine Hohmann-Degenhardt, vor der Fortführung der unheilvollen Tradition unserer dunklen Vergangenheit. Sie wagt sogar, zu behaupten, dass das, was über Jahrhunderte bis in die Neuzeit den Juden galt, sich jetzt gegen den Islam und seine Riten wendet.
Im Augenblick scheint die öffentliche Diskussion zu eskalieren. Die Stimmen in der Mehrheitsgesellschaft, in den Medien und bei den Politikern mehren sich, die selbstgerecht und selbstmitleidig von sich behaupten, dass ihr Fehler in diesem Kampf war, zu tolerant gewesen zu sein. Das lässt Schlimmes erahnen.
Besonnenheit auf beiden Seiten ist nun gefordert. Dabei ist zunächst wichtig, die trübe Mischung der Diskussion zu klären. Es wäre schon viel geholfen, wenn man einige Dinge in einem größeren Zusammenhang behandelt: die vermeintlich unvereinbaren religiöser Werte und Auffassungen, das imperiale Verhalten, die sozialen Probleme und Ursachen und die weltpolitischen Konflikte. Eine nüchterne Analyse dieses Komplexes führt dann auch weg von der Konfrontation hin zu politischen Lösungen.
Wir sollten uns auch bewusst machen, dass die Globalisierung auch in Deutschland angekommen ist. Deutschland ist keine Insel der Seligen. Die Welt ist zu uns gekommen. Auch in Deutschland muss man sich daran gewöhnen, hautnah mit dem Anderen und dem Fremden auszukommen. Unsere Verfassung bietet ideale Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Traditionen. Das Modell des säkularen Staates wäre in der modernen Welt sogar die beste Voraussetzung dafür. Ganz bewusst hat sich deshalb der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) in seiner Charta zu dieser Verfassung bekannt und verpflichtet.
Es gilt nun, in der Gesellschaft und mit den Politikern einen sachlichen Werte-Diskurs aller Beteiligter und auf gleicher Augenhöhe zu führen. Dabei ist die strikte Neutralität unseres Staates entscheidend. Wir brauchen keine zusätzlichen gesetzlichen Regelungen – politische Lösungen sind gefragt. Statt Misstrauen zu säen und zu hegen muss Vertrauen auf beiden Seiten gebildet werden. Es müssen politische Lösungen angestrebt werden, die den gesellschaftlichen Frieden im Lande sichern und mit dem friedlichen Zusammenleben der Religionen und Weltanschauungen ein gutes Beispiel für die Welt abgeben. Sehen wir die Diskussionen um die Kulturen positiv! Handeln wir konstruktiv! Die Diskussion sollte auf beiden Seiten der selbstgefälligen Erstarrung entgegen wirken und zur Selbstfindung und zur Belebung von Kulturen führen.
(Erstveröffentlichung in der Jüdischen Allgemeinen vom April 2006; mit freundlicher Genehmigung des Autors, der z.Z. Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland ist)