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Dienstag, 11.04.2006
Islam und Ökologie: Wie verstehen wir Natur und wie gehen wir mit ihr um? Von Sulaiman Wilms
„Spricht man zu ihnen: ‘Stiftet kein Unheil auf der Erde’, so sagen sie: ‘Wir sind ja die Rechtschaffenen.’ Ist es aber nicht so, dass sie die Unheilstifter sind? Doch sie merken es nicht.“ (Al-Baqara, 11-12)
Der Begriff „Umweltschutz“, wie er heute verstanden wird, ist in dieser Form relativ neu. Er entstand aus einer Notwendigkeit im letzten Drittel des 20. Jahrhundert, als Antwort darauf, dass das menschliche Verhalten einen steigend negativen Einfluss auf die Umwelt hatte. Dies führte zu dem Bewusstsein, wonach die Einheit, die wir als „Umwelt“ bezeichnen können, am Ende der Empfänger dessen ist, was wir als „Verschmutzung, Verarmung und Entwaldung“ bezeichnen können. Die Umwelt hat auch andere Namen, die an ihrer Stelle stehen können wie Natur, die natürliche Ordnung, das ursprüngliche Muster, der originale Zustand usw. Jeder dieser Begriffe kann als Abstraktion betrachtet werden, um kollektiv die Elemente, die Flora, die Fauna und ihre Interaktion und gegenseitige Abhängigkeit voneinander zu beschreiben. Wir, als menschliche Gemeinschaft, sind untrennbar in dieser Struktur verwoben.
Das Wort, welches im Qur’an verwendet wird, um die Umwelt oder Natur zu bezeichnen ist „Schöpfung“ (Khalq). Das Wort wird in 261 Versen im Qur’an verwendet und zwar in seiner Wurzel und in verschiedenen grammatikalischen Formen. Die erste Offenbarung des Qur’an enthält das Verb „khalaq“ (erschaffen), welches aus dieser Wurzel abgeleitet ist. Die ungefähre Bedeutung dieses Verses ist: „Lies im Namen Deines Herrn, Der erschaffen hat.“ (Al-’Alaq, 1)
Die deutliche Implikation hier ist, dass wir Teil der Totalität des Schöpfungsprozesses sind, für den Allah allein die Verantwortung hat. Der Qur’an ist daher das Handbuch der Lebensweise für die menschliche Gemeinschaft, wie diese sich innerhalb der Schöpfung zu verhalten hat. Auf der einen Ebene handelt es sich um den Erhalt von Körper und Seele. Auf einer anderen geht es dabei um Wälder und Flüsse und wiederum auf einer weiteren um die Gemeinschaften von dem, was fliegt, geht, kriecht und schwimmt.
Der Kern der qur’anischen Lehre, die von diesen Angelegenheiten handelt, kann als ‘Ilm Ul-Khalq (Wissen von der Schöpfung) beschrieben werden, welche der Wissenschaft von der Ökologie 14 Jahrhunderte voraus ging.
Die islamische Lehre bietet eine Gelegenheit, die natürliche Ordnung zu verstehen und menschliche Verantwortung zu bestimmen. Es kann gesagt werden, dass die Begrenzung der menschlichen Situation durch die folgenden vier Eckpunkte eingegrenzt wird: Tauhid, Fitra, Mizan und Khalifa.
Tauhid
Tauhid ist das fundamentale Wissen um die Einheit des Schöpfers, aus der alles andere folgt. Es ist das uranfängliche Zeugnis der Einheit aller Schöpfung und der verwobenen natürlichen Ordnung, von dem die Menschheit ein Teil ist. Allah sagt im Qur’an: „Zu Seinen Zeichen gehört auch, dass Himmel und Erde Seinem Geheiß entsprechend festgefügt sind. Dann, wenn Er euch mit einem Ruf aus der Erde herausruft, werdet ihr hervortreten.“ (Ar-Rum, 25)
Die Gesamtheit der Schöpfung - das Werk eines einzigen Schöpfers - lebt innerhalb eines stabilen Musters, wie komplex es auch sein mag. Jedes ihrer Teile, darunter die Menschheit, spielt seine eigene, erhaltene Rolle, und unterstützt darin den Rest.
Fitra
Die Fitra beschreibt den ursprünglichen Zustand der Schöpfung und verortet den Menschen in ihr. Im Qur’an sagt Allah, der Erhabene: „So richte dein ganzes Wesen aufrichtig auf den wahren Glauben, gemäß der natürlichen Veranlagung (Fitra), mit der Allah die Menschen erschaffen hat. Es gibt keine Veränderung in der Schöpfung Allahs. Dies ist die richtige Religion. Jedoch, die meisten Menschen wissen es nicht.“ (Ar-Rum, 30)
Mizan
Mizan ist das Prinzip des Mittleren Weges. Allah hat die Menschen auserwählt und ihnen Verstand gegeben. Jede Schöpfung hat eine Ordnung und einen Zweck. Wenn die Sonne, der Mond, die Sterne, die Bäume und der Rest der Kreation nicht das natürliche Verhaltensmuster bestätigen würden - oder „sich niederwerfen“ -, dann wäre es dem Leben auf der Erde nicht möglich, zu bestehen. Also haben wir die Verantwortung, nicht die „Geschenke des Herrn“ zu verleugnen und diese uns umgebende Ordnung aktiv anzuerkennen, sowohl für uns als auch für den Rest der Welt.
Khalifa
Dies ist die Rolle des Verwalters, eine wichtige Pflicht, die Allah dem Menschen aufgetragen hat. Es gibt viele Verse, die die menschlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten beschreiben, wie beispielsweise der Qur’an die menschliche Rolle zusammenfasst: „Und Er ist es, Der euch zu Statthaltern (Khalifa) auf der Erde machte.“ (Al-An’am, 165)
Der Mensch hat einen besonderen Ort in Allahs Plan. Wir sind mehr als nur Freunde der Erde, wir sind ihre Hüter. Auch wenn wir in allem anderen gleichwertige Partner mit anderen Elementen in dieser Welt haben, so gibt es für uns darüber hinaus gehende Pflichten. Weder sind wir die Herren, noch die Meister der Schöpfung. Wir können aus diesen vier Prinzipien ableiten, wonach die Schöpfung, auch wenn sie komplex und endlich ist, nur deshalb funktioniert, weil alle ihre Teile tun, was ihre Aufgabe ist - oder weil sie sich, in der Sprache des Qur’an, vor dem Schöpfer niederwerfen. Die menschliche Rolle - einzigartig mit einem eigenen Willen und daher in der Lage, in die Verhaltensmuster der Schöpfung einzugreifen - ist die eines Wächters. Diese Verantwortung legt dem menschlichen Verhalten Begrenzungen auf und sollte zu einem Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit führen.
Bis noch vor vergleichsweise kurzer Zeit lebte die menschliche Rasse - sowohl Rebellen als auch Konformisten, die Unwissenden und Erleuchteten, sowohl in kleinen, selbst-organisierten Gemeinschaften, als auch in riesigen Reichen, in barbarischen Stämmen oder in Zeiten der Hochzivilisation - unwissentlich innerhalb natürlicher, ungeschriebener Grenzen. Es gab eine intuitive Neigung, innerhalb der Fitra zu existieren. Dies war eine existenzielle Realität, weder idyllisch, noch utopisch.
Wir leben offenkundig nicht mehr innerhalb dieser Grenzen. Mehrere Ereignisse beziehungsweise Entwicklungen im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts haben es der menschlichen Spezies erlaubt, sich vom natürlichen Muster zu entfernen, von dem sie immer ein Teil war. Neben der Entstehung eines unbeschränkten Finanzwesens und dem europäischen Drang, sich die Welt auf globaler Ebene anzueignen, war dies das Erscheinen der Cartesianischen Weltsicht. Dieser beinhaltete einen Dualismus zwischen Verstand und Materie und erlaubte die Entwicklung der Wissenschaften entlang rein mechanistischer Linien. Der Cartesianismus wischte die angesammelte Weisheit von Zeitaltern beiseite. Seitdem begann die Menschheit, sich selbst anzubeten. In Descartes eigenen Worten waren die Menschen „Herren und Meister der Schöpfung“.
Verhaltensanweisungen
Als Muslim ist es ein alltägliches Wissen, dass Spiritualität niemals nur in einer Form bloßer Privatheit bestehen kann, sondern sich immer wieder auf das „in der Welt sein“ beziehen muss, um authentisch zu sein. Insbesondere lässt sich dies auch auf unser Verhältnis zu unserer kreatürlichen Umwelt beziehen.
Wir Menschen sind Wesen mit besonderen Eigenschaften, die es uns erlauben, der Erde zu dienen. Eines dieser Charakteristika ist das ethische Wissen, welches uns dazu leiten kann, uns um die Umwelt zu sorgen. Andere Qualitäten beinhalteten das Wissen, welches uns gegeben wurde, um unsere Pflichten gegenüber der Welt zu perfektionieren. Menschliche Liebe für die Elemente der Umwelt symbolisiert eine sorgende Beziehung, wie sie vom Propheten, der einen gewaltigen Charakter besaß, betrieben wurde. Diese Liebe erstreckt sich auch auf die lebenden Geschöpfe, die die Welt mit uns bewohnen und vom gleichen Erschaffer gemacht worden sind. Allah hat uns gewisse Verpflichtungen gegenüber anderen Lebewesen aufgetragen. Wir werden am Tag des Jüngsten Gerichts verantwortlich gemacht, wie wir diese behandelt haben. So sagte der Prophet: „Allah bestrafte eine Frau, weil sie eine Katze einsperrte, bis sie vor Hunger starb. Sie hat sie weder gefüttert, noch zugelassen, dass sie ihre eigene Nahrung erlangte.“ (Rijad us-Salihin)
Die ethische Haltung innerhalb des Islam gegenüber der Umwelt wird zum großen Teil davon beeinflusst, dass der Islam nicht nur eine bloße Sammlung von Dogmen ist, sondern eine Lebensweise. Der Islam wurde nicht nur als der Glaube an einen Gott gesandt, sondern auch, um eine Gemeinschaft zu schaffen, die moralischen und ethischen Regeln folgt und gewisse Verhaltensregeln, die sich im Rahmen der natürlichen Ordnung bewegen, beachtet. Im Rahmen der muslimischen Geschichte hat sich das Amt beziehungsweise die Position des Muhtasib herausgebildet. Dieser öffentliche Posten unterstand dem jeweiligen lokalen Qadi. Die Muslime, die dieses Amt ausfüllten, zu dessen Aufgaben eigentlich die Kontrolle der Märkte und der Aufrechterhaltung des Zugangs zu ihnen gehörte, hatten darüber hinaus auch die Pflicht, die lokalen Ressourcen zu schützen. Dazu zählte die Aufrechterhaltung der Wasserversorgung, der Schutz vor ungerechtfertigter Verschmutzung offener Gewässer oder die Überwachung der Entsorgung von Abfällen. Beispielsweise war es im muslimischen Andalusien bei Strafe verboten, oberhalb von Siedlungen und Städten Flüsse und Ströme bewusst zu verunreinigen. Ebenso war es wichtig, die Straßen von Unrat freizuhalten, um so die Verbreitung von Krankheiten und Ungeziefer zu verhindern.
Umgang mit Ressourcen
Einer der wichtigsten Aspekte des schonenden Umgangs mit der „Umwelt“ ist die verantwortungsvolle Nutzung von Ressourcen. Von Anfang an gab es im Islam grundlegende Gesetze wie auch komplexe Einzelfallregelungen, wie mit den notwendigen Dingen der Natur umzugehen sei. Viele dieser Regeln gehen auf den Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, zurück und wurden später den jeweiligen ökologischen Bedingungen angepasst. Die beiden wichtigsten Elemente dieser Regelungen betreffen die Nutzungen beziehungsweise den Gebrauch von Wasser und Land. Diese formen die notwendigen grundlegenden Elemente für das gesamte menschliche Leben und Aktivität. Die Regeln für die Welt der Tiere, Pflanzen und Mineralien wurden aus den beiden ersteren abgeleitet.
Das islamische Recht teilt Land in drei Kategorien ein: erschlossenes Land (Amir), unentwickeltes Land (Mawat) und „Schutzzonen“ (Harim). Zu dem entwickelten Land gehören Siedlungsgebiete und Ackerland. Nicht entwickeltes Land sind wilde Gebiete, die weder vom Menschen bebaut, noch kultiviert wurden. Das Harim-Land (von der Wurzel h-r-m, „verboten“) sind jene schützenden Gebiete, die entweder um Siedlungsgebiete liegen, oder die aus Gründen der ökologischen oder gesellschaftlichen Notwendigkeit dem Zugriff des Menschen bei Strafe entzogen sind.
Die Regeln, die das Wasser im Rahmen des islamischen Rechts betreffen, sind sehr umfangreich. Reichen sie doch von den unterschiedlichsten Formen von Gewässern, den natürlichen Quellen, künstlichen Brunnen, der Frage der Bewässerung von Land, über den Zugang der Menschen zu Wasser bis hin zum bereits erwähnten Schutz der Gewässer vor menschlicher Verschmutzung. Generell lässt sich sagen, dass für Wasser ähnliche Regelungen gelten wie für die Aneignung, Verteilung und Nutzung von Land. So gibt es ebenso eine Unterscheidung zwischen dem, was öffentlich und was privat ist. In seinem natürlichen Zustand - das heißt die offenen Gewässer in allen unterschiedlichen Formen - ist Wasser ein öffentliches Gut.
Quelle: Ein Teil der Inspirationen für diesen Artikel beruht auf der langjährigen und allgemein anerkannten Arbeit des britischen Umweltaktivisten Fazlun Khalid. Er leitet in England die Umweltstiftung „Islamic Foundation for Ecology and Enviromental Sciences“ (IFEES/www.ifees.org). Khalid hat nicht nur auf vielen Bereichen das muslimische Denken über Ökologie inspiriert, sondern ist auch ein häufig eingeladener Sprecher auf internationalen Konferenzen und Veranstaltungen.
Sulaiman Wilms ist Chefredakteur der Islamischen Zeitung. Erstveröffentlichung am 16.03.06. Mit freundlicher Genehmigung des Autors