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Freitag, 11.11.2005
Filmkritik: Der Richter und der Fanatiker - Wertvoller Dokumentarfilm im WDR
Wie der Jemen wirksam Terror bekämpft
Religiöse Fanatiker haben ein Gesicht, eine Stimme und einen Namen. Im Dokumentarfilm von Dagmar Diebels und Tom Meffert heißt einer von ihnen Raschad und man kann vom ehemaligen Afghanistankämpfer mit dem gepflegten Bart mehr sehen als die oftmals übliche Momentaufnahme hinter Gittern oder die kurze Einblendung eines zornigen Demonstranten. Rashad hat zur Zeit der sowjetischen Besatzung mit anderen jemenitischen Kämpfern an der Seite der afghanischen Mudschahedin für eine Befreiung des Landes gekämpft. Danach ist er in sein Land, den Jemen, zurückgekehrt, um ein normales Leben zu führen und um eine Familie zu gründen. Raschad entwickelte eine extreme religiöse Auffassung. Er gehörte zu denjenigen, die nicht einmal die eigene Landesregierung als legitim anerkennen. Als er nach einem weiteren Aufenthalt in Afghanistan in den Jemen heimging, wurde er mit anderen jungen Muslimen inhaftiert.
Richter Hamoud al Hitar, auf der anderen Seite, ist zwar streng religiös und richtet strikt nach Maßgabe der islamischen Quellen, vertritt jedoch eine vergleichsweise moderate islamische Auffassung. Sein Auftrag lautet: Die jungen Kämpfer im Dialog von einem friedlichen und gemäßigten Verständnis ihres Glaubens zu überzeugen. Ein Auftrag, der den jemenitischen Gelehrten von ihrem Präsidenten Ali Abdullah Saleh erteilt wird, dem sich aus Angst vor den jungen Kämpfern aber kein anderer als al Hitar widmen will.
Die Regisseure wenden sich in dem Film der Frage zu, ob eine gewaltzentrierte religiöse Gesinnung, welche al Qaida Terroristen zu ihren Verbrechen verleitet, heilbar und ob deren Anhänger quasi rehabilitierbar sind. Damit befassen sie sich mit Personen und Fragen, die von nicht wenigen Journalisten aus einer selbstgerechten Distanz heraus und nach Maßgabe der eigenen Einschätzung kommentiert, aber selten objektiv betrachtet und sachlich durchdrungen werden. Ihre besondere Leistung besteht zunächst darin, dass sie auf die Bequemlichkeit verzichten, gängige Wertungs- und Betrachtungsweisen zu reproduzieren. Sie zeigen Raschid wie er ist, lassen ihn für sich sprechen und erklären, lassen ihn Subjekt sein und nicht bloß ein Objekt der Betrachtung oder gar ein Mittel zur Untermauerung eigener Thesen und Vorurteile. Und sie zeigen einen möglichen und offenbar erfolgreichen Weg ihn zu ändern: Den theologische Dialog auf gleicher Augenhöhe mit gemäßigten und orthodoxen muslimischen Gelehrten.
Dabei beschränken sie sich jedoch nicht bloß auf die Dokumentation des Dialogprozesses, der im Film durch die Interviews mit dem Richter und Raschad nachgezeichnet wird. Vielmehr wenden sie sich in weiten Teilen des Filmes auch der Frage nach dem Stellenwert der Religion im Jemen zu, nach der soziokulturellen und ökonomischen Situation im Land, sowie nach den Auswirkungen der Anschläge an den Küsten des Landes auf die politische und wirtschaftliche Lage des Landes und blenden damit die komplexe Realität ein, in der dieser Dialog geführt wird und die sich auf die Gemütsverfassung und Ansichten der jungen Männer im Jemen auswirkt.
Den Regisseuren gelingt es, die Schwierigkeiten aufzuzeigen, welche sich aus diesem gefährlichen Mix an Umständen und Missständen für den Dialog ergeben. Aber auch Chancen für ein Gelingen kommen nicht zu kurz: Die positive Auswirkung des traditionellen, von den Stammesangehörigen praktizierten Konfliktlösungsmechanismus auf diesen Dialog etwa, stellen sie ebenso anschaulich heraus.
Was in ihrem Film ein wenig zu kurz kommt, ist indessen die Frage: Wie kommt es zu der extremen religiösen Auffassung bei muslimischen Männern, wie Raschad? Zwar lösen sich die Regisseure von der gängigen Vorgangsweise, die Ursachen für die Gewaltorientierung in muslimischen Quellen zu suchen. Mehr als der Verweis auf die Vielschichtigkeit der Einflüsse, welche letztlich zu solchen radikalen Ideologien und Verhaltensweisen führen können, gelingt den Filmemachern trotz allem nicht.
Der journalistisch hochwertige Film bricht in mehrerer Hinsicht mit starren Sichtweisen: Er zeigt etwa die Möglichkeit eines innerislamischen Heilungsprozesses. Der Islam erscheint hier nicht als Sündenbock, sondern in seiner wohlverstandenen Weise als Mittel gegen Fanatismus und Terrorismus.
In einer Zeit, in dem die Stabilität vieler Länder von terroristischen Anschlägen blindwütiger Fanatiker bedroht ist und man auf der Suche nach politischen Rezepturen ist, bietet der Dokumentarfilm wertvolle Anregungen. Vor allem gegen Ende wird klar: Allein auf Repressionen und Massenverhaftungen zu setzen, würde die Gewaltbereitschaft und Wut der jungen Männer nur schüren. Solche ehrlichen Dialoginitiativen, wie sie der Staat Jemen durchführt und durch den Film hervorgehoben werden, bieten sich hingegen als wirksame Methode an, um den Fanatismus nachhaltig zu bekämpfen.
Auch in Europa wäre es an der Zeit, solche Bemühungen als vorbeugende Maßnahmen gegen Extremismus und Fanatismus einzuleiten, um insbesondere desorientierte Jugendliche vor solchen irregeleiteten Vorstellungen zu schützen. Hier kommt praktizierenden Muslimen eine wichtige Verantwortung zu. Daher sollten Staat und Gesellschaft nicht zuletzt aus eigenem Interesse heraus ihrer muslimische Bevölkerung den Rücken frei machen, sie stützen und dabei unterstützen, sich diesen friedensschaffenden Aufgaben zu widmen.
Der Film wird am Montag, 14. November 2005 um 22:30 Uhr im WDR "die story" gezeigt. Wiederholung ist am 16. November 2005 um 10:00 Uhr im WDR. Leider werden solche hochwertigen Filme (wie immer) zu später Stunde gezeigt (Raida Chbib).
Lesen Sie dazu auch:
-WDR - die story: Der Richter und der Fanatiker
-> (http://www.wdr.de/tv/diestory/051114.phtml)