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Leserbriefe

Mittwoch, 09.11.2005



NRW-Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen Sylvia Löhrmann schrieb:
Kopftuchverbotsgesetz ist Isolationspolitik und stärkt den Rechtspopulismus

Vor dem Hintergrund des bevorstehenden Kopftuchverbotsgesetzes drucken wir die Rede Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag NRW, Sylvia Löhrmann am 09. November 2005 zum Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen, Drs. 14/569 "KOPFTUCHVERBOT" vollständig als Leserbrief ab. Es gilt das gesprochene Wort.

Anrede,
wir haben in Deutschland kein laizistisches Staatsverständnis. Insofern sollten wir uns im Hinblick auf die friedliche Bekundung des Glaubens den Satz von Martin Buber zu Herzen nehmen: "Alle Menschen haben Zugang zu Gott, aber jeder einen anderen."

Es geht heute in diesem Landtag zum 3. Mal um ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an den Schulen in Nordrhein-Westfalen. Konkret um ca. 20 Lehrerinnen, die mit Kopftuch unterrichten.
Wir haben in der letzten Wahlperiode bereits zwei Anhörungen über einen CDU Gesetzentwurf durchgeführt. Dabei kamen die Experten sehr einmütig zu dem Ergebnis, dass der Entwurf, wie auch der aus Baden-Württemberg, verfassungswidrig ist. Der nun vorgelegte unterscheidet sich davon nur in Nuancen, hält aber an der grundsätzlichen Regelung fest, dass die Religionen nicht gleich behandelt werden. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie ignorieren nach wie vor die höchstrichterliche Rechtsprechung.

Mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass das "Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen sowohl in der Begründung als auch in der Praxis der Durchsetzung solcher Dienstpflichten" zu wahren ist. An diese Vorgabe hält sich der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ausdrücklich nicht. Sie wissen dies ganz genau und nehmen damit eine von Nordrhein-Westfalen ausgehende Verfassungsklage in Kauf. Sie legen es auf einen Rechtsstreit an.

Sie ignorieren auch alle Erkenntnisse, die aus den Anhörungen im Hauptausschuss hervorgegangen sind. Sie wissen, dass dem Kopftuch kein eindeutiger objektiver Erklärungsgehalt inne wohnt. Es ist nicht unbedingt ein religiöses Zeichen. Es drückt aber auch nicht per se die Unterdrückung der Frau aus. Der jeweilige Bedeutungsgehalt des Kopftuches wird allein durch subjektive Bewertungen konstruiert. Der Trägerin werden darüber hinaus persönliche Motivationen unterstellt, wenn man generalisiert, sie verfolge mit dem Tragen des Kopftuchs politische, religiöse oder verfassungsfeindliche Ziele.

Anrede,
Kopftuch, Schleier und Burka sind für islamische Fundamentalisten Instrumente zur Unterdrückung der Frau und damit politische Symbole. Das Tuch auf dem Kopf einer Frau kann also ein politisches Symbol sein. Wir sind uns einig: Eine solche Kopftuchträgerin ist für den Beruf als Lehrerin nicht geeignet. Hier greift das Disziplinarrecht, der Staat ist in diesem Fall absolut handlungsfähig und muss es auch sein.

Anrede,
Ich frage mich: Welches Ziel verfolgt die Regierungskoalition mit dem Kopftuchverbot nun wirklich?
Glaubt man Herrn Papke, dann will er damit Zwangsverheiratungen und so genannte Ehrenmorde verhindern. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. Sie polarisieren und vertiefen Gräben, indem Sie schwere und schwerste Verbrechen in Zusammenhang mit dem Kopftuchtragen bringen und dabei eine Gemengenlage erzeugen, von der man sagen kann, dass im Vergleich dazu jede Stammtischdiskussion auf hohem Niveau verläuft.

Ich zitiere Herrn Papke, wohl bemerkt angesichts von 20 Kopftuchträgerinnen in unseren Schulen: "Wir wollen damit gezielt ein Zeichen der Wehrhaftigkeit des Staates gegenüber extremistischen Tendenzen aufzeigen." (Westdeutsche Zeitung 12.10.05)

In der Welt Kompakt vom 06.09.05 spricht Herr Papke von einer […] "Weltanschauung, die mit Freiheitlichkeit und Toleranz nicht in Übereinstimmung zu bringen ist."

Anrede,
am vergangenen Samstag wurde die Stadt Solingen im Rahmen einer Integrationsbörse für den Erhalt des Integrationspreises der Bertelsmann-Stiftung und des Bundesinnenministeriums gewürdigt. Herr Laschet war einer der Redner, und auch Frau Genc, die Mutter, die beim Brandanschlag im Mai 1993 drei Mädchen und weitere Angehörige verloren hat, war dabei. Frau Genc trägt in der Öffentlichkeit immer ein Kopftuch. Sie trägt dieses Kopftuch, um damit ihre tief empfundene Religiosität auszudrücken.

Anrede,
was glauben Sie, was diese Frau von Ihren Äußerungen hält, Herr Papke? Eine Frau, die uns in der Stunde ihrer größten Verzweiflung zugerufen hat: "Lasst uns Freunde sein!" Was glauben Sie, was sie und andere davon halten, wenn Sie, Herr Papke, permanent einen Zusammenhang zwischen Kopftuchträgerinnen, Ehrenmorden, Zwangsehen, Extremismus und Fundamentalismus zu suggerieren versuchen?
Das ist Rechtspopulismus, Herr Papke. Verbale Attacken gegenüber Mädchen mit Kopftuch gibt es bereits. Merken Sie eigentlich nicht, dass Sie zündeln?

Das ist das Gegenteil einer modernen, aufgeschlossenen und verantwortungsvollen Integrationspolitik. Was Sie betreiben, ist Isolationspolitik.
Sie spalten und heizen die Debatte zu Lasten weniger Lehrerinnen an. Sagen Sie mir bitte, wie sich dies auf den Schulfrieden auswirkt. Sie blenden den Schulalltag völlig aus und lenken von den wirklichen Problemen ab. Sie müssen sich um die jungen Männer der 3. Generationen kümmern, und dies ist ungleich viel schwerer, als Symbolpolitik mit dem Kopftuch zu betreiben. Sie isolieren hier pauschal die unterrichtenden Frauen mit Kopftuch, unabhängig von ihrer Eignung, Leistung und Befähigung. Diese Lehrerinnen haben ihren diesbezüglichen Nachweis schon im Referendariat gezeigt und zeigen es tagtäglich im Unterricht.

Anrede,
die Landesregierung steht in der Verpflichtung, eine verantwortungsvolle Integrationspolitik zu betreiben. Eine hervorragende Grundlage hierfür ist die von allen vier Fraktionen getragene Integrationsoffensive. Zerschlagen Sie hier kein Porzellan, wie der Integrationsbeauftragte Thomas Kufen in seiner gestrigen Pressemeldung mahnte und spielen sie nicht denjenigen in die Hände, die von einer Isolierung der Muslime profitieren könnten. Wir brauchen einen ernsthaften und verbindlichen Dialog mit den Vertreterinnen und Vertretern der Muslimischen Gemeinden und keine Isolierung und Radikalisierung einzelner. Nur so kann die Integrationspolitik für Nordrhein-Westfalen erfolgreich sein.

Anrede,
mich wundert die Haltung und Fahrlässigkeit der CDU in dieser Frage. Peter Schilder hat die Lage in der FAZ am 28.10.2005 auf den Punkt gebracht, ich zitiere: "Beim Kopftuchverbot sollen jüdische Kippa und christliche Nonnentracht ausdrücklich erlaubt sein. Nicht nur die Kirchen zweifeln daran, dass dies einer höchstrichterlichen Prüfung standhalten dürfte. Dann können sämtliche religiöse Symbole aus der Schule verbannt sein, was außer der FDP niemandem recht wäre." - Insbesondere nicht der CDU in diesem Land, möchte man ergänzen. Warum hören Sie nicht auf die Warnungen der katholischen Kirche? Uns zumindest hat Prälat Vogt bei seinem gestrigen Besuch in unserer Haltung bestärkt. Ihr "Augen zu und durch" kann ein böses Erwachen zur Folge haben!
Denken Sie also vom Ende her. Was machen Sie denn mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das Ihre Regelung für verfassungswidrig erklärt, wie es die Rechtsexperten voraussagen?

Anrede,
CDU und FDP wollen sich, wie es zurzeit aussieht, aber vor einer erneuten Anhörung und vertieften Debatte im Landtag drücken und das Gesetz im Schnellverfahren beschließen. Meine Fraktion hält eine Anhörung für unverzichtbar, damit wir dieses wichtige Thema ordentlich beraten, Experten und Betroffene hören können. Schließlich haben wir viele neue Kolleginnen und Kollegen.

Wie sagte Papst Benedikt XVI in diesem Zusammenhang: "Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden."