Mashiach sieht in der unreflektierten Übernahme dieser Definition durch RIAS eine strukturelle Schwäche: Die notwendige Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts werde systematisch vernachlässigt. Ein besonders aufschlussreiches Beispiel liefert der RIAS-Bericht Bayern aus dem Jahr 2021. Darin wird bereits die Verwendung politisch geladener Begriffe wie „Apartheid“, „Kolonialismus“ oder „ethnische Säuberungen“ in Bezug auf Israel als antisemitisch gewertet – unabhängig von der Frage, ob diese Begriffe sachlich oder völkerrechtlich begründet sein könnten. Damit werde, so Mashiach, jede Form fundamentaler Kritik an israelischer Regierungspolitik vorschnell delegitimiert. Die Studie wurde bereits im Mai 2024 fertiggestellt, ihre Veröffentlichung jedoch zunächst wegen des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 zurückgestellt. Die Autoren begründeten diesen Schritt mit dem Wunsch, in einer Zeit gesteigerter antisemitischer Vorfälle in Deutschland keine unnötigen Konflikte innerhalb jüdischer Gemeinschaften zu verschärfen. Am 21. Juni 2025 wurde der Bericht schließlich online gestellt. RIAS hat sich bislang nicht offiziell zu den Vorwürfen geäußert. Auf Nachfrage der taz blieb eine Stellungnahme aus. Unklar ist, ob und wann die Organisation zu den Vorwürfen Stellung nehmen wird. Die Debatte um RIAS wirft grundlegende Fragen auf: Wie lässt sich Antisemitismus effektiv und differenziert erfassen? Wo endet legitime Kritik an israelischer Politik – und wo beginnt die Dämonisierung eines Staates? Und wie gelingt eine Antisemitismusbekämpfung, die nicht selbst politische Maßstäbe setzt, sondern universalistische Prinzipien hochhält? Die Diskussion, so zeigt die Debatte um Zimmermanns Rede und Mashiachs Studie, ist längst nicht abgeschlossen.
Hinweis:Dieser Bericht basiert auf einem Kommentar von Stefan Reinecke, veröffentlicht in der taz am 24.06.2025.