Zum ersten Mal hat sich neben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auch die katholische Bischofskonferenz an der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung beteiligt. Die Ergebnisse, die letzten Dienstag veröffentlicht wurden, lassen sich in aller Kürze wie folgt zusammenfassen: Nicht nur die Bindung an die Kirche geht deutlich zurück, sondern auch die Religiosität. Der lange Zeit weit verbreitete Slogan "Glaube ja - Kirche nein" scheint sich in Richtung "Glaube nein - Kirche erst recht nicht" zu entwickeln. Für fast 8 von 10 Befragten hat Religion überhaupt keine oder nur geringe Bedeutung. Selbst unter den Kirchenmitgliedern sehen sich nur noch 4 Prozent (katholisch) bzw. 6 Prozent (evangelisch) als gläubig und kirchennah. Immerhin sagen 36 Prozent (33 Prozent) aus: "Ich fühle mich der Kirche verbunden, auch wenn ich ihr in vielen Dingen kritisch gegenüberstehe." Auch das Vertrauen der Menschen in die Kirchen nimmt weiter ab: 9 Prozent aller Befragten erklären, sie hätten noch Vertrauen in die katholische Kirche, bei der evangelischen Kirche sind es 24 Prozent. Das Vertrauen zur katholischen Kirche ist damit nur unwesentlich größer als das Vertrauen zum Islam. Und als ob die Rekord-Austrittszahlen nicht dramatisch genug wären, stuft die Studie auch noch 43 Prozent der katholischen und 37 Prozent der evangelischen "Noch-Mitglieder" als "austrittsgeneigt" ein.
Der Mitgliederschwund könnte sich also noch weiter beschleunigen; laut KMU dürfte die bis 2060 vorhergesagte Halbierung der Mitgliederzahl tatsächlich bereits in den 2040er Jahren erreicht werden. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung kommt zum Schluss, dass die Bindung an die Kirche und die Religiosität der Deutschen schneller schwinden, als bisher erwartet. Wenn dieser Trend anhält, wird der Anteil der christlich-konfessionell gebundenen Menschen in Deutschland schon im nächsten Jahr unter 50 Prozent sinken. Ende der 2020er-Jahre werden die Konfessionslosen wahrscheinlich die 50-Prozent-Marke überschreiten und somit die Bevölkerungsmehrheit stellen.
Auch Muslime betrachten wir diese Entwicklung besorgniserregend. Der Vorsitzende des ZMD, Aiman Mazyek, sagte gegenüber islam.de: "Selbstverständlich leben wir in einer pluralen Gesellschaft, in der jeder nach seiner Façon glücklich werden sollte. Aber ich kann nicht verhehlen, dass die Zahlen stimmen einen traurig und treffen uns als alle als Gläubige. Denn gerade in den Krisenzeiten, die wir erleben, bietet der Glaube und die gelebte religiöse Praxis wichtigen Halt. Mit dem schwindenden institutionellen Bezug zur Kirche gehen auch peu à peu solche Angebote als wichtige Stütze im Alltag verloren. Insgesamt erleben wir damit eine Verarmung des sozialen Zusammenhalts. Wir müssen uns alle fragen, was wir für die Zukunft besser machen können, damit dieser allgemeine Trend gestoppt werden kann."
Denn die Studie zeigt auch, dass die Deutschen nicht gleichgültig gegenüber den Kirchen sind, sondern Reformen wünschen. So sagen 96 Prozent der katholischen und 80 Prozent der evangelischen Mitglieder, dass ihre Kirche sich grundlegend verändern müsse, wenn sie eine Zukunft haben wolle. Das würde auch die Neigung zum Austritt verringern. Neben den vielen negativen Nachrichten bescheinigt die Studie den Kirchen jedoch auch, dass sie weiterhin eine wichtige zivilgesellschaftliche Rolle spielen und die Demokratie stärken.
Nicht nur ihre Mitglieder, sondern auch die große Mehrheit aller Befragten erwarten soziales Engagement von den Kirchen, vor allem in Form von Beratungsstellen für Menschen in Not, Unterstützung für Geflüchtete und Maßnahmen für mehr Klimaschutz. Das gesellschaftliche Engagement ist unter religiösen und kirchennahen Menschen zudem deutlich höher als im Rest der Gesellschaft. 49 Prozent der Katholiken und 46 Prozent der Protestanten, im Vergleich zu nur 33 Prozent der Konfessionslosen, waren im letzten Jahr ehrenamtlich aktiv - und das nicht nur in kirchlichen Ehrenämtern.
Die Studie betont, dass die Zivilgesellschaft in hohem Maße von einer guten Zusammenarbeit zwischen kirchlichen und nichtkirchlichen Stellen, einschließlich staatlichen Einrichtungen, profitiert. Es handelt sich also um eine wechselseitige Beziehung, in der beide Seiten auf viel Glück und eine bessere Zukunft hoffen, als es Faust und Gretchen damals beschieden war. Oder wie Bätzing und Kurschus es wünschen: "Dass die Untersuchung kirchlich Verantwortliche unterstützt, die tiefgreifenden Prozesse des Wandels, die die Kirche derzeit erlebt, besonnen und mutig zu gestalten."