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Donnerstag, 06.10.2022

Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche Kyrill: Sündenablass für Gefallene und "Heliger Krieg

Theologin Natallia Vasilevich: In der Geschichte des Christentums hätten bereits mehrere Kirchenführer einen Sündenerlass für gefallene Soldaten versprochen

Moskau/Bonn (KNA) Russlands orthodoxe Kirche verspricht Soldaten des Riesenreiches Vergebung all ihrer Sünden, wenn sie im Krieg ihr Leben opfern. Patriarch Kyrill I. verglich in einem Gottesdienst am Sonntag das Sterben "bei der Erfüllung der militärischen Pflichten" damit, dass Gott seinen eigenen Sohn Jesus geopfert habe. Opferbereitschaft pries Kyrill als bedeutendsten Ausdruck "der besten menschlichen Eigenschaften". Die Bonner orthodoxe Theologin Natallia Vasilevich nannte die Aussage des Patriarchen "blasphemisch".Mit Blick auf die Ukraine sprach Kyrill I. von einem "brudermörderischen Krieg", ohne das von Russland angegriffene Land beim Namen zu nennen. Viele Menschen kämen aktuell auf dem Schlachtfeld ums Leben. Die Kirche bete dafür, "dass dieses Gefecht so schnell wie möglich zu Ende geht, damit möglichst wenige Brüder in diesem brudermörderischen Krieg einander töten". Er betonte zugleich, die Kirche wisse, dass jene, die in Erfüllung ihrer militärischen Pflichten sterben, sich für andere aufopfern. "Und deshalb glauben wir, dass dieses Opfer alle Sünden abwäscht, die ein Mensch begangen hat", so der Patriarch. Die orthodoxe Kirche kennt, anders als die katholische, keine Vergebung zeitlicher Sündenstrafen (Ablass).Nach Angaben Moskaus von Donnerstag wurden seit Februar 5.937 russische Soldaten bei der "militärischen Spezialoperation" in der Ukraine getötet. Kiew und westliche Experten gehen allerdings von deutlich höheren Verlusten Russlands aus.Kyrill I. ist ein wichtiger Verbündeter von Kreml-Chef Wladimir Putin. Seine Predigten für den russischen Einmarsch in die Ukraine sorgen seit Monaten international für Empörung. Kyrill betete am Sonntag auch um Gottes Beistand und den Sieg über Feinde, die das Volk der sogenannten Heiligen Rus "spalten und vernichten" wollten. Das mittelalterliche Großreich Rus betrachten sowohl Russland als auch die Ukraine als ihren Vorläuferstaat.Die Bonner Theologin orthodoxe Natallia Vasilevich sagte, in der Geschichte des Christentums hätten bereits mehrere Kirchenführer einen Sündenerlass für gefallene Soldaten versprochen. "Aber Kyrill ist wohl der erste, der das Opfer eines Soldaten auf dem Schlachtfeld in Treue zu seinem Staat mit dem Heilsopfer Christi selbst vergleicht", sagte die Sprecherin der ökumenischen Gruppe "Christian Vision" der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Sie bezeichnete die Aussage des Patriarchen als "blasphemisch". Er habe das Bibelzitat "Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab" aus dem Johannes-Evangelium auf Armeeangehörige bezogen, "die in einen Krieg geschickt werden, um zu töten".Die von Putin am Donnerstag angeordnete "Teilmobilmachung" betrifft mindestens 300.000 Reservisten. Kyrill äußerte sich bislang nicht direkt zu dieser Entscheidung. Der Vorsitzende des russischen Mufti-Rates, Rawil Gainutdin, forderte die muslimischen Geistlichen hingegen öffentlich zur Unterstützung der Mobilmachung auf.Der scheidende ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, kritisierte mit Verweis auf Kyrills Sonntagspredigt die katholische und evangelische Kirche in Deutschland. Er fragte auf Twitter, wann sich die Kirchen "endlich klar distanzieren von dieser russischen orthodoxen 'Kirche', die dem Kreml-Teufel dient und den russischen Aggressionskrieg gegen die Ukrainer absegnet?" Er antwortete selbst: "Ach so? Dialog fortsetzen. 'Ökumene'. Bla-bla-bla" und fügte ein Emoji hinzu, das sich an den Kopf fasst.