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Freitag, 26.08.2022

Große Vielfalt in der deutschen Bestattungskultur

Erstmals weniger als 50 Prozent christliche Beerdigungen – Bis auf Sachsen und Sachsen-Anhalt sind Ausnahmen der Sargpflicht für Muslime inzwischen zugelassen

Nicht nur der Anteil der Bundesbürger, die einer der beiden großen Kirchen angehören, ist unter die 50-Prozent gefallen. Auch der Anteil kirchlicher Bestattungen macht bundesweit erstmals weniger als die Hälfte aus. Das ergab eine am Donnerstag in Königswinter veröffentlichte Auswertung der Verbraucherinitiative Bestattungskultur "Aeternitas". 2020 wurden demnach in Deutschland 489.664 Bestattungen (49,7 Prozent) katholisch oder evangelisch begleitet. Im Jahr 2000 machte der Anteil kirchlicher Begräbnisse noch 71,5 Prozent aus.

Einen Wandel stellen die Experten auch bei der Form der Bestattungen fest. Wurden vor 30 Jahren noch weniger als ein Drittel der Verstorbenen eingeäschert, sind es mittlerweile rund 70 Prozent. "Traditionen, Konventionen und religiöse und familiäre Bindungen verlieren an Bedeutung", so fasst es der Vorstand der Verbraucherinitiative, Christoph Keldenich, zusammen. "Mobilität und Vielfalt der Lebensentwürfe nehmen zu." Das hat auch Auswirkungen auf Tod und Sterben. Kirchen, Friedhofsverwalter und Bestatter beobachten zwei gegenläufige Trends: auf der einen Seite immer mehr pflegeleichte Grabstellen, etwa Rasengräber oder Urnenwände. Das klassische, über Generationen gepflegte Familiengrab wird zum Auslaufmodell. Auf der anderen Seite zunehmend persönlich gestaltete Grabmale.

Weit flexibler sind die Regelungen zum Sargzwang: Insbesondere aus Rücksicht auf Muslime, bei denen die Bestattung in einem Leichentuch stattfindet, wurden in allen Bundesländern bis auf Sachsen und Sachsen-Anhalt Ausnahmen von der Sargpflicht zugelassen.

Solche Vielfalt war lange unmöglich: Friedhofspflicht und Sargzwang prägten die Bestattungskultur. Es war die Angst vor Seuchen, die etwa im Preußischen allgemeinen Landrecht von 1794 zu der Vorschrift führte, dass Tote nur auf festgelegten Flächen außerhalb der bewohnten Orte beerdigt werden durften. Seit 1934 gilt dies zwingend auch für die Asche von Toten. Eine Ausnahme ist die Seebestattung. Während andere europäische Länder inzwischen erlauben, die Asche Verstorbener auch daheim aufzubewahren, bleibt Deutschland streng. Lediglich Bremen erlaubt seit 2015, die Asche von Verstorbenen unter bestimmten Voraussetzungen auf Privatgrundstücken und festgelegten öffentlichen Flächen zu verstreuen.

Insbesondere die Kirchen wehren sich gegen eine Aufhebung der Friedhofspflicht. Sie warnen vor einem Verlust an Trauerkultur; Friedhöfe sollten als Orte des Gedenkens, der Mahnung und des gemeinschaftlichen Trauerns erhalten bleiben. Auch Städte und Gemeinden haben ein Interesse am Erhalt von Friedhöfen. Schließlich können sie ihre Kosten kaum noch decken, weil es immer weniger Erdbestattungen gibt. Jahrzehntelangen Streit gab es um die Zulassung von Feuerbestattungen. Auch die christlichen Kirchen wehrten sich lange gegen das Verbrennen der Leichen, sollten die Toten doch für den Tag ihrer "fleischlichen" Auferstehung in ein Grab gelegt werden. Leichenverbrennungen waren nur als besonders schändliche Bestattungsform vorgesehen, zum Beispiel für vermeintliche Hexen.

Dazu kam, dass Feuerbestattungen im 19. Jahrhundert insbesondere von humanistischen Kreisen und ausgewiesenen Kirchengegnern propagiert wurden. 1876 wurde in Gotha das erste Krematorium im Deutschen Reich eröffnet. 1960 waren gerade mal zehn Prozent der Bestattungen in der Bundesrepublik Feuerbestattungen. Die evangelische Kirche gab 1920 ihren Widerstand auf. Erst 1963 erlaubte der Vatikan auch Katholiken Einäscherungen.

Von Christoph Arens (KNA)