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Montag, 15.08.2022


Die DITIB mit der Zentrale in Köln ist die größte islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland und umfasst rund 900 Moscheegemeinden

Goethe-Universität Frankfurt: DITIB Jugendstudie 2021

Welche Einstellungen haben junge Muslime zu Heimat und Religion und was denken sie über Liebe, Heirat und Familie?

Die DITIB Jugendstudie 2021 wagt einen Blickwechsel und rückt den Fokus auf die Perspektiven junger Muslime. Was denken und fühlen die befragten Muslime selbst? Unabhängig von Fremdzuschreibungen und Projektionen von außen, die sie als andersartig stereotypisieren. Welche Erfahrungen - positive wie negative - machen sie in ihrem Leben, welche Interessen verfolgen sie, was wollen sie werden, und welche Zukunftsvorstellungen haben sie?

Die große Bandbreite an Fragen mit den ebenfalls breit gefächerten Antworten darauf zeugen davon, dass es sich bei Muslimen nicht um einen ethnischen Einheitsbrei handelt, sondern unter ihnen vielfältige Lebensvorstellungen existieren. Dies wird in der Studie „Lebensweltliche Einstellungen junger MuslimInnen in Deutschland“ deutlich, die der Jugendverband „Bund der Muslimischen Jugend“ (BDMJ) der islamischen Religionsgemeinschaft „Ditib“ zu Beginn des Jahres 2021 in Auftrag gegeben hat.

Die DITIB-Studie wurde von Prof. Harun Behr und der wissenschaftlichen Projektleiterin Dr.Meltem Kulaçatan am Fachbereich Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Islam der Goethe-Universität Frankfurt durchgeführt. Befragt wurden junge Muslime im Alter zwischen 14 und 27 Jahren, die ehrenamtlich im Jugendverband des Ditib-Moscheeverbands arbeiten und in Deutschland beheimatet sind. Die Studie wurde vom Jugendverband des DITIB-Moscheeverbands initiiert, mit dem Ziel, besser auf die Bedürfnisse der jugendlichen Zielgruppen eingehen zu können. Der Moscheeverband habe auf die Ergebnisse keinen Einfluss gehabt, so die Autoren. Rund 500 Fragebögen wurden ausgewertet, in denen die Befragten zu verschiedenen Themen anonym Stellung nehmen konnten.

Spannende Ergebnisse

Mit Blick auf die lebensweltlichen Einstellungen der Befragten kamen hierbei verschiedene Themen zum Tragen. Diese umfassten das Beheimatungsgefühl, Diskriminierungserfahrungen oder das Religionsverständnis. Jedoch fanden ebenfalls kleinteilige Themen rund um Liebe, Heirat, Familie, Gender, Mediennutzung oder schulischer Islamunterricht Einzug in den Fragebogen.

Die meisten von ihnen sind in Deutschland aufgewachsen und fühlen sich hier auch beheimatet. Zugleich verspüren die jungen Muslime Angst, abgelehnt zu werden. Projektleiterin Kulaçatan dazu: „Sie erklären häufig: Mein Land macht es mir schwer, mein Land liebt mich nicht. Da werden Begriffe auf der Beziehungsebene genannt.“ Hierbei spielen ebenfalls Diskriminierungserfahrungen in der Schulzeit eine große Rolle. So bestand immer noch für viele Befragte der dritten oder vierten Generation die Alternative, sich selbstständig zu machen, da sie fürchteten von diskriminierenden Arbeitsplatzbedingungen und Abhängigkeitsverhältnissen betroffen zu werden. Nichtsdestotrotz planen die Jugendlichen ihre Zukunft in Deutschland.

Darüber hinaus sprach sich der DITIB-Nachwuchs dafür aus, seinen Moscheeverband zu verändern. Demnach war der Wunsch nach sowohl männlichen als auch weibliche Gelehrten groß, die zudem deutschsprachig und pädagogisch versiert sind. Zusätzlich war den Jugendlichen wichtig, dass die Gelehrten nahbar sind und sich mit ihrer Lebenswelt auskennen. So begrüßt die DITIB-Jugend auch das Aufgreifen anderer Themen in den Predigten, wie Migration, Klimawandel und Armut. Die Befragten hoffen ebenfalls, dass sich ihr Moscheeverband weiter öffnet und Kooperationen mit anderen religiösen Vereinen (auch nicht-muslimische) eingeht sowie die Zusammenarbeit mit der Politik stärkt. Derweil werden die Forderungen der Jugendlichen ernst genommen, betont Zekeriya Altuğ vom DITIB-Bundesverband: "Die DITIB bildet seit 2007 deutschsprachige Theologen aus und gleichzeitig werden wir ständig dahingehend beschuldigt, deutschsprachige Imame in unseren Moscheen nicht zuzulassen."

Zusätzlich hegen junge DITIB-Mitglieder den Wunsch, dass der Moscheeverband sich stärker von der Türkei distanzieren soll. Es sei für die Nachwuchsmitglieder belastend, als Repräsentanten der unterschiedlichen türkischen Regierungspolitiken angesprochen zu werden, sagt Projektleiterin Kulaçatan. Laut den Jugendlichen sei die ältere Generation anders sozialisiert und erwägen eine mögliche Rückkehr in die Türkei. Dahingegen möchte sich die junge Generation langfristig ein Leben in Deutschland aufbauen.

Positive Gesamtbewertung

Insgesamt bewerten die Wissenschaftler die gesellschaftliche Funktion des DITIB als positiv. Der Moscheeverband trage dazu bei, Jugendlichen eine religiöse Grundbildung zu ermöglichen, die zur Entwicklung und Stärkung ihrer Persönlichkeit beiträgt. So können intellektuell und spirituell gebildete interessierte junge Menschen einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten.

„Insgesamt ist unsere Arbeit als Momentaufnahme zu verstehen und als Aufschlag für eine Debatte, die künftig weiter und intensiver geführt werden müsste“, erklärt Prof. Harun Behr zusammenfassend. Der Vorsitzende des BDMJ, Mustafa Salih Durdubaş, betonte in diesem Zusammenhang: „Uns, dem BDMJ, ging es bei der Initiierung der Studie um eine unabhängige, wissenschaftliche und qualitative Erkenntnisgrundlage, um unsere Dienste und Angebote zukunftsperspektivisch an den Bedürfnissen und Erwartungen ihrer Jugend auszurichten, sie zu professionalisieren und fortzuentwickeln.

Die Studie wurde im Beltz Verlag veröffentlicht:
Harry Harun Behr / Meltem Kulaçatan, DİTİB Jugendstudie 2021. Lebensweltliche Einstellungen junger Muslim:innen in Deutschland, Beltz Juventa Verlag, 185 Seiten, ISBN: 978-3-7799-6936-5, 24,95 Euro.