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Mittwoch, 23.03.2022
Was nun? ZMD Standortbestimmung zu aktuellen Themen rund um den Islam in Deutschland
Aiman Mazyek in einem längeren Interview mit der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA) vom 19.03.2022
KNA: Herr Mazyek, von der Deutschen Islamkonferenz war jetzt schon längere Zeit nichts zu hören. Wissen Sie, wie es dort weitergehen soll?
Aiman Mazyek (Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, ZMD): Die Konferenz ist erneut beim Bundesinnenministerium angesiedelt. Nach letzten Gesprächen befindet sich die neue Regierung in der Findungsphase, was die Themen anbelangt.
KNA: Was sollte denn aus Sicht des Zentralrats der Muslime auf der Agenda stehen?
Mazyek: Wir schlugen das Thema "Einbürgerung des Islam in Deutschland" vor sowie Islamische Seelsorge und Islamisches Wohlfahrtswesen. Bei uns in der Gemeinschaft schlägt zum Beispiel der demographische Wandel voll durch. Zu den weiteren Anliegen gehören: Die vom Grundgesetz verbriefte Gleichstellung als Schlüssel der Integration endlich umsetzen und schließlich der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus, der sich weiter erschreckend gefährlich zeigt. Wir begrüßen insofern die Ankündigung der Innenministerin, nun entschieden gegen Rechtsextremismus vorzugehen und dass Reem Alabali-Radovan die Ämter der Integrationsbeauftragten und der Antirassismusbeauftragten in Personalunion anvertraut wurden.
KNA: Vor gut einem halben Jahr ist in Osnabrück das Islamkolleg Deutschland eröffnet worden. Der Zentralrat der Muslime gehört zu den Trägern der Einrichtung. Wie lautet ihr Zwischenfazit zu dem Projekt?
Mazyek: Das erste Semester ist gut angelaufen. Wir wollen dabei auch auf die Erfahrungen zurückgreifen, die an den Instituten für Islamische Theologie an den Hochschulen gesammelt wurden. Im Mittelpunkt steht beim Islamkolleg zunächst die Weiterbildung der in unseren Moscheen tätigen Imamen. Das Kolleg, derzeit eine Art Aufbaustudium, will neben den klassischen Theologie-Feldern und Seelsorge die Imame noch mehr mit der deutschen Kultur und Geschichte vertraut machen.
KNA: Andere Verbände wie die Ditib, Milli Görüs oder der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) betreiben ähnliche Einrichtungen.
Mazyek: Das begrüßen wir auch, und ich würde es unterstützen, wenn ihre Expertise zukünftig auch dem Islamkolleg zugutekommt. Das Islamkolleg hat mit seiner Ausrichtung ein Alleinstellungsmerkmal, das ausgebaut werden soll. KNA: Innerhalb des Zentralrates haben die Landesverbände mehr Gewicht erhalten als die Gründungsorganisationen. Was steckt hinter diesem Umbau?
Mazyek: Der Zentralrat war ursprünglich ein sehr kopflastiger Bundesverband mit einer relativ bescheidenen Durchdringung in der Tiefe. Seit unserer Strukturreform aus dem Jahre 2016 hat sich das gewandelt, und es gibt heute neun Landesverbände, mit zum Teil neuen Moscheemitgliedern. Weitere drei kommen bald hinzu. Die Anzahl der Stimmen bemisst sich nach den durch den Landesverband repräsentierten Moscheegemeinden. Inzwischen ist ihr Stimmanteil größer als der der ursprünglichen Mitglieder.
KNA: Zuletzt sorgte der Ausschluss der Deutschen Muslimischen Gemeinschaft (DMG), eines Gründungsmitgliedes, für Schlagzeilen. Laut Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz handelt es sich bei der DMG um die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der islamistischen Muslimbruderschaft in Deutschland.
Mazyek: Der Prozess, der schließlich zum Ausschluss der DMG führte, dauerte mehrere Jahre und basierte auf einer Reihe von internen Prüfungsmechanismen. Der ZMD lässt sich nicht von externen Stellen treiben, hat aber gezeigt, dass er substanziellen Vorwürfen verantwortungsvoll und entschieden nachgeht.
KNA: Warum sitzt mit Houaida Taraji aber weiter eine DMG-Vertreterin im Vorstand des Zentralrats?
Mazyek: Die Mitgliederversammlung, die am 23. Januar die DMG mit einer Mehrheit von weit über zwei Dritteln der anwesenden Teilnehmer ausgeschlossen hat, wird bei den demnächst stattfindenden Vorstandswahlen über dessen neue Konstellation entscheiden.
KNA: Die DMG ist allerdings nicht der einzige Problemfall in den Reihen des Zentralrats. Da wäre etwa die Atib, die den türkischen "Grauen Wölfen" nahe stehen soll.
Mazyek: Atib distanziert sich von den "Grauen Wölfen". Atib hat öffentlich angeboten und bei etlichen Stiftungen bereits angefragt, ein unabhängiges Gutachten über sie erstellen zu lassen. Leider hat sich bisher keine Institution bereit erklärt, ein unabhängiges Gutachten zu erstellen. Darüber hinaus hat sie juristische Schritte gegen die Nennung im Verfassungsschutz eingeleitet. Ich habe bisher den Eindruck, dass sich Atib seit den erhobenen Vorwürfen vor über einem Jahr den Problemen stellt und versucht, auf die Vorwürfe dezidiert einzugehen.
KNA: Was sagen Sie denen, die einzelnen Verbänden wie dem deutsch-türkischen Moscheeverband Ditib vorwerfen, aus dem Ausland gesteuert zu werden?
Mazyek: Zunächst einmal: Die Ditib gehört nicht zum Zentralrat. Insgesamt sehe ich durchaus ein Umdenken in der muslimischen Welt. Bis in die 2000er Jahre hinein gab es Vorstellungen, wonach die in westlichen Ländern lebenden Muslime Abgesandte wären und eine emanzipierte, nationale Haltung nicht geduldet wurde. Dies hat sich geändert und heute schätzt man sie nicht selten als Botschafter und Brückenbauer: Als Muslime mit ihrer eigenen kulturellen und europäischen oder US-amerikanischen Identität.
KNA: Ein anderes Thema, das derzeit für Kontroversen sorgt, ist das, was im Berliner Stadtbezirk Neukölln mit dem Stichwort "konfrontative Religionsbekundung" belegt wird. Auch andernorts berichten Lehrerinnen und Lehrer immer wieder, dass muslimische Jungen und auch Mädchen Mitschüler ihrer Religion unter Druck setzen oder Andersgläubige auf dem Schulhof mobben.
Mazyek: Ich glaube, dass wir soziologisch und psychologisch an die Sache herangehen müssen und nicht allein religiös – ansonsten stärken wir nur Fundamentalisten und Extremisten auf allen Seiten.
KNA: Naja, es geht aber nun einmal auffallend oft um muslimische Schüler.
Mazyek: Ja, auch weil es der konfrontative Ansatz selber so macht: Er reduziert die Identität dieser deutschen Schüler mit muslimischem Namen alleine auf ihre Religion.
KNA: Also doch ein Problem der Religion.
Mazyek: Viele dieser Jugendlichen fühlen sich hierzulande nicht angenommen und zuhause. Sie schaffen sich eine Ersatzidentität als Muslim. Das Problem liegt also woanders. Und genau deswegen müssen wir mehr in den Zusammenhalt der Gesellschaft investieren und solche Themen nicht monokausal religiös verorten.
KNA: Auch auf Ebene der Moscheegemeinden?
Mazyek: Klar, es ist da besonders noch Luft nach oben. Aber es geht insbesondere dort voran, wo die Gemeinden in der Gesellschaft verwurzelt und akzeptiert sind, wo Imame, Frauen in den Vorständen aktuelle Themen angehen. Ein Beispiel aus einem ganz anderen Zusammenhang: In vielen Moscheegemeinden ist die Spenden- und Hilfsbereitschaft für die Menschen aus der Ukraine sehr hoch. Nicht zuletzt, weil zu den Gemeinden oft Flüchtlinge gehören, die wissen, was ein Leben auf der Flucht bedeutet.
KNA: Im Ukraine-Krieg steht das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Kyrill I. ganz auf der Seite von Wladimir Putin. Sind Religionen Friedensstifter – oder sind sie Treiber von Konflikten?
Mazyek: Ich würde gerne antworten, dass Religionen gegen Propaganda immun sind und stets für den Frieden eintreten. Aber das stimmt nicht. Leider, denn es sind Menschen dahinter, und die können Fehler machen. Das gilt im Übrigen auch für nicht-religiöse Weltanschauungen.
Das Interview führte Joachim Heinz.