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Montag, 12.07.2021

Zum zehnten Jahrestag der Terroranschläge in Norwegen

Die Gerichtsverhandlung sorgte für weltweites Aufsehen, über einen möglichen Gedenkort ist noch immer nicht endgültig entschieden: Vor zehn Jahren starben 77 Menschen bei den Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utoya.

Bonn (KNA) Es war einer dieser Tage, an denen man sich kurz fragte, warum alle Fernsehsender denselben brutalen Film zeigen - bis einem klar wurde: Das ist kein Spielfilm. Das Grauen, das sich auf der norwegischen Insel Utoya und in der Hauptstadt Oslo abspielte, war real. Auch nach zehn Jahren ist die Erinnerung an das Massaker vom 22. Juli lebendig. Doch ebenso hat sich vielen Menschen die beeindruckende Reaktion der norwegischen Gesellschaft eingeprägt.Zunächst nahm der Horror vor dem Bürogebäude des Ministerpräsidenten mitten in Oslo seinen Lauf. Bei der Explosion einer Autobombe wurden acht Menschen getötet. Was folgte, sollte ein Dokumentarfilm als "Hölle im Paradies" beschreiben; andere Filme über das Geschehen sind nach dem Namen der kleinen Insel benannt, den vorher kaum jemand außerhalb Norwegens gekannt haben dürfte: Utoya.Die Insel befindet sich im Besitz der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei des Landes, dort fand deren Sommerferienlager statt. Am Nachmittag hatte die langjährige Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland einen Vortrag gehalten. Der rechtsradikale Attentäter, Andres Behring Breivik, wollte sie ermorden, da er sie als Hauptverantwortliche für die norwegische Einwanderungspolitik betrachtete. Brundtland verließ die Insel jedoch kurz vor seiner Ankunft.



Fast anderthalb Stunden lang schoss der Attentäter, der die Insel getarnt als Polizist betreten hatte, wahllos auf die jungen Menschen. Einige konnten sich über das Wasser retten, sich in Höhlen oder im Schulungshaus der Insel verstecken. Der Täter legte einen Tag später ein Geständnis ab.




Während des folgenden Gerichtsprozesses zeigte er keine erkennbaren Anzeichen von Reue. Kurz vor der Tat hatte er ein "Manifest" von 1.500 Seiten an Politiker und Nachrichtenredaktionen geschickt, in dem er sich zum Retter einer christlich-europäischen Ordnung stilisierte, die durch Ausländer, Muslime und eben durch multikulturell orientierte Politiker bedroht sei.



Norwegen und Europa standen unter Schock - insbesondere angesichts der vielen jungen Menschen, die auf so kaltblütige Art ermordet worden waren. Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg sprach von der schlimmsten Katastrophe, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg in dem Land ereignet habe. Der Platz vor dem Osloer Dom wurde für Tage zu einem Meer aus Rosen. Beim Trauergottesdienst fand Stoltenberg dort Worte, die auch bei späteren Anschlägen immer wieder zitiert wurden: "Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit."



Trotz dieser klaren Worte und eines beeindruckenden Zusammenhalts kam es auch zu Auseinandersetzungen. Der Täter, der im August 2012 zur Höchststrafe verurteilt wurde - 21 Jahre Gefängnis mit anschließender Sicherheitsverwahrung - erhalte zu viel Aufmerksamkeit, lautete ein Kritikpunkt. Norwegische Nachrichtenseiten boten zeitweise Buttons an, um seinen Namen auszublenden.Doch nicht nur wegen des häufig als eiskalt beschriebenen Attentäters gab es Streit. Überlebende und Angehörige wünschen sich einen Gedenkort, Bewohner von Utoya wollen indes nicht täglich mit der Erinnerung konfrontiert sein. Die Errichtung von drei Bronzestelen wurde im September 2020 gestoppt; im vergangenen Februar entschied ein Gericht, dass das Denkmal gebaut werden dürfe. Ob die Kläger vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, ist noch unklar.



Und auch darüber, was eine solche Tat für die europäische Gesellschaft bedeutet, wird weiter debattiert. Der Rechtsterrorist, der im März 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen tötete, bezog sich auf sein norwegisches Vorbild; der Attentäter, der im Oktober 2019 die Synagoge in Halle angriff, wiederum auf Christchurch. Inszenierung für das Internet, soziale Isolation, die anfällig machen kann für Radikalisierung, wahnhafte Verschwörungserzählungen - all diese Probleme bleiben aktuell.



Er würde Breivik wieder verteidigen, sagte dessen Anwalt Geir Lippestad unterdessen einmal dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung": "Ich glaube an den Rechtsstaat. Darum."