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Montag, 07.06.2021

Zeithistoriker Wolfgang Benz wird 80 Jahre alt - Ein Mahner gegen Extremismus aller Art

Berlin (KNA) Am Anfang stand ein Aufreger. So erzählte es Wolfgang Benz selbst: In den 1970er Jahren habe ihn ein Neonazi so wütend gemacht, dass er begann, an einem Buch über Rechtsextremismus in Deutschland zu arbeiten. Der Neonazi hatte von einer Auschwitz-Überlebenden den Nachweis verlangt, dass das Konzentrationslager wirklich existiert habe. In den Folgejahren wurde Benz zu einem der renommiertesten Historiker und Extremismusforscher des Landes. Am Mittwoch wird er 80 Jahre alt.

Das Thema lässt den Berliner Wissenschaftler nicht los. Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Autor zudem einen internationalen Überblick über Radikalisierung, aktuelle und historische Verschwörungserzählungen; 2016 warnte er in dem Band "Fremdenfeinde und Wutbürger. Verliert die demokratische Gesellschaft ihre Mitte?" vor einem Rechtsruck. Zugleich mahnt Benz immer wieder zu Gelassenheit. Er spricht sich auch dagegen aus, Populisten in Talkshows eine zu große Bühne zu bieten.

Geboren 1941 in Ellwangen, studierte Benz Geschichtswissenschaft, Politische Wissenschaften und Kunstgeschichte. Er promovierte 1968 in München und arbeitete dort von 1969 bis 1990 am Institut für Zeitgeschichte. Ab 1990 lehrte er an der Technischen Universität Berlin und leitete dort das Zentrum für Antisemitismusforschung. Einige seiner Veröffentlichungen zur NS-Zeit gelten als Standardwerke, darunter die "Enzyklopädie des Nationalsozialismus".

Seit 1992 gibt Benz die "Zeitschrift für Geisteswissenschaft", seit 2001 das "Handbuch der deutschen Geschichte" mit heraus. Er hatte Gastprofessuren in Sydney und Wien inne. 2010 wurde er emeritiert, ist jedoch bis heute ein gefragter Gesprächspartner.

Benz ist bekannt dafür, dass er seine historische Extremismusforschung auf die Gegenwart projiziert. So legt er immer wieder den Finger in die Wunde, wenn er Rechtspopulismus, Rassismus oder Hetze gegen Minderheiten beobachtet. Die islamfeindliche Pegida-Bewegung bezeichnete er einmal als "Gassen-Version", die AfD als "Salon-Ausgabe von Unzufriedenheit und Unverständnis über unser demokratisches System, von Unbehagen als bedrohlich empfundene Zustände".

Zu Debatten führte 2008 eine Konferenz zum "Verhältnis von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit". Kritiker warfen Benz vor, beide Phänomene gleichzusetzen und damit den Holocaust zu relativieren. Er habe beides nie gleichgesetzt, betonte er stets. "Doch man darf nicht ein Phänomen betrachten und die Augen vor einem ähnlichen Phänomen verschließen", sagte er einmal der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Es gehe nicht darum, die Opfer zu vergleichen, "wenn man bestimmte Reaktionen auf Minderheiten beschreibt und versucht, daraus generalisierende Schlüsse zu ziehen."

In der "Süddeutschen Zeitung" schrieb Benz, er betrachte es vielmehr als "Gebot der Wissenschaft, die Ergebnisse, die aus der Analyse des antisemitischen Ressentiments gewonnen wurden, paradigmatisch zu nutzen." Und so blieb das Verhältnis von Mehrheit und Minderheiten ein zentrales Thema seiner Forschung.

Seinem ursprünglichen Thema, dem Antisemitismus, bleibt Benz zugleich treu. 2015 erschienen die beiden letzten Bände seines "Handbuchs des Antisemitismus". Auch in aktuelle Debatten schaltet er sich ein: So gehört er zu den Unterzeichnern der "Jerusalemer Erklärung". Erarbeitet haben sie internationale Forscher, und sie ist als - sehr umstrittene - Alternative zur Antisemitismus-Defintion der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) gedacht, auf die sich bislang viele Regierungen und Institutionen beziehen.

Auch im höheren Alter scheint Benz nicht müde zu werden, vor Rassismus und Radikalisierung zu warnen. Es müsse "uns nachdenklich machen, wie leicht man die Volksseele zum Kochen bringen kann", mahnt er. Dabei sei es manchmal schwierig, nicht zu resignieren, wie er einräumt: "Wir haben einen Teil der Lektion noch nicht gelernt." Vielmehr sei es "offenbar ganz schwierig, aus der Geschichte zu lernen". Und: Die Feindseligkeit einer Gesellschaft konzentriere sich stets auf diejenigen, die am meisten sichtbar seien.

Für Europa und gegen den Extremismus - diese Schwerpunkte prägen die Forschung und das Werk von Wolfgang Benz. Der Historiker bleibt kämpferisch. Das dürfte sich nicht ändern, wenn er nun 80 Jahre alt wird.Von Paula Konersmann (KNA)