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Freitag, 28.05.2021

Retro-Review: Was ist die Salafiyya, was Salafisten?

Der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza forscht zu der Salafiyya seit 2005 und hat hierzu eine differenzierte Typologie dieses Phänomens entwickelt, die islam.de exklusiv hier in Gänze zu Verfügung stellt

Seit Jahrzehnten gleicht die Situation der Muslime jener von Don Quijote und dessen ausweglosen Kampf gegen die Windmühlen. Wie kaum eine andere Religion auf dem Globus sind der Islam und die Muslime Zuschreibungen ausgesetzt, die den Islam leichtfertig zu einem Feindbild stilisieren.

Viele Muslime werden sich erinnern, wie lapidar der Begriff Dschihad hierzulande mit Heiliger Krieg wiedergegeben wurde und oftmals noch wird, gleichwohl schon die Vorstellung ein Krieg könne heilig sein, dem Qur’anfremd ist. Und viele Muslime werden sich ebenso erinnern, wie viele Jahrzehnte sie versuchten hierüber aufzuklären, aber nur selten Gehör fanden. Kurioserweise sprach man jenen, die diese Religion lebten und praktizierten, jegliche Kenntnis von derselben ab.



Ein anderes leidiges Beispiel ist die Verkürzung des Begriffs Schari’a auf das islamische Strafrecht. Auch hier bemühten sich die Muslime jahrelang vergebens um eine differenzierte Sichtweise, drangen aber damit niemals zur Mehrheitsgesellschaft vor. Seitdem ist es zu einem beliebten Spiel geworden, Muslimen die Gretchenfrage zu stellen: Schari’a oder Grundgesetz? Wobei dies gar keine Gretchenfrage ist, würde man muslimische Projekte wieDas Grundgesetz im (Migrations)-Vordergrundeinmal zur Kenntnis nehmen.

Manche Frustrierten wähnten schon, man solle doch einfach die missverständlichen Termini wie Dschihad und Schari’a nicht mehr verwenden. Doch damit wäre der Aufklärung über den Islam keinen Gefallen getan, vielmehr würde dies bedeuten, Muslime müssten grundlegende Begriffe ihrer Religion verleugnen, nur weil eine andersgläubige Mehrheit wie auch fehlgeleitete muslimische Gruppierungen ihnen die Deutungshoheit über diese Begriffe streitig machen.

Wo ein Feindbild, dort auch Feindzuschreibungen. Mit wie vielen Bezeichnungen wurden Muslime allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten konfrontiert? Fundamentalisten, Fanatiker, Islamisten, dschihadistische Islamisten, legalistische Islamisten, gemäßigte Islamisten, Salafisten, wobei die Definition dieser Bezeichnungen stets merkwürdig schwammig und unklar blieb. Aber ökonomisch zog jeder Begriff eine Welle von panikschreienden Buchveröffentlichungen, Fernsehsendungen, Sicherheitskonferenzen und das Anwachsen des Sicherheitsapparates zwecks der Feindbeobachtung nach sich. Die Angst vor dem Islam und die Panikmache mit dem Islam sind unlängst ein lukratives Geschäftsmodell geworden und sichern so manchen Arbeitsplatz.



Diese Kritik soll nicht bedeuten, dass es keine Probleme gibt. Die islamische Religionsgemeinschaft befindet sich seit geraumer Zeit in einer Umbruchsphase vom Paradigma des Mittelalters hin zu einem Modernisierungsparadigma. Ein Umbruch, der sich bedauerlicherweise nicht friedlich vollzieht – wie es selten solche Umbrüche tun, man denke nur an die Geschichte der christlichen Religionsgemeinschaft. Dort, wo der Islam zu einer gewaltbereiten und gewaltverherrlichenden Ideologie umgedeutet wird, die andere Religionen und Lebensweisen abwertet, müssen Muslime hörbar einschreiten. Der Zentralrat der Muslime tut dies – sehr zum Ärger einer latent gewaltbereiten muslimischen Minderheit – seit langem. Ein Engagement, wofür der Vorsitzende des Zentralrats, Aiman Mazyek, seitens wahhabitischer Muslime zum Ketzer erklärt und wiederholt bedroht wurde.

Und gleichwohl dem so ist, dürfen wir dennoch auch bei dem neuestem Panikbegriff Salafismus, um den sich schon wieder eine Sicherheitsindustrie gebildet hat, aber auch bei allen gerechtfertigten Ängsten, nicht die aufklärerische Pflicht vernachlässigen, das Phänomen aus der islamischen Religionsgeschichte heraus differenziert zu erklären, denn nur so, können wir es verstehen und zielgerichtete Lösungen finden für den Frieden in unserer Gesellschaft. Alles andere ist nur Geschäftemacherei. 
Der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza M.A. forscht zu der Salafiyya seit 2005 und hat hierzu eine differenzierte Typologie dieses Phänomens entwickelt – die bisher einzige, die dies leistet. Seinen gesamten Forschungsstand hat er in unten verlinkten Beitrag islam.de zur Verfügung gestellt.