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Montag, 29.03.2021


Mit freundlicher Genehmigung der Fotografin: Güzin Kar

Bei der diesjährigen Berlinale war der Shortfilm von Güzin Kar "Deine Straße" zu sehen.

Der Schweizer Film ist 2020 entstanden. Güzin Kar führt Regie, ist Produzentin und schrieb das Buch. Der Farbfilm weist eine Länge von 7 Minuten auf

In der Türkei kam die Drehbuchautorin und Filmregisseurin Güzin Kar 1967 zur Welt. Seit ihrem 5. Lebensjahren lebt sie in der Schweiz. Ihre Eltern zogen zur Arbeitsaufnahme dorthin. 2002 und 2003 gewann Güzin Kar den Drehbuchpreis der Schweiz. 2011 zeichnete sie der Saarländische Ministerpräsident aus. Die Künstlerin wurde für ihren Film „Fliegende Fische müssen ins Meer“ beim Max-Ophüls-Filmfestival geehrt. Bei der diesjährigen Berlinale war in der Sparte Berlinale Shorts ihr Film „Deine Straße“ zu sehen. Der Schweizer Film ist 2020 entstanden. Güzin Kar führt Regie, ist Produzentin und schrieb das Buch. Der Farbfilm weist eine Länge von 7 Minuten auf. Der Zuschauer erfährt präzise, gleich am Anfang: „Deine Straße ist 556 Meter lang und 6,6 Meter breit; 50 Kilometer pro Stunde Höchstgeschwindigkeit. Straßen werden nach Toten benannt“. Diese Straße befindet sich in Bonn in einem Industriegebiet. Nicht viel Bewegung ist in dieser Straße vorhanden. Eine Brotfabrik, ein kleines Gartencenter und eine Versicherungsagentur sind dort beheimatet. Mit ruhiger Stimme erfährt man von der Erzählerin Sibylle Berg: „Die Straße hätte Dir gefallen.“ Nur, leider gibt es keine Möglichkeiten, sich zu verstecken. Das tote Kind, nach dem diese Straße benannt worden ist und das mit 4 Jahren verstorben ist, hatte so gerne Verstecken gespielt. Im Mai 1993 ist das Kind zusammen mit 4 anderen Menschen Opfer eines rassistischen Brandanschlags in Solingen geworden. In einem Zweifamilienhaus legten später ermittelte Straftäter Feuer. Neben den 5 Todesopfern erlitten 17 Menschen zum Teil schwerste Verletzungen. So musste sich eines dieser Opfer bisher 30 Operationen und Hauttransplantationen unterziehen. Am Ende des Kurzfilms teilt uns das Filmteam mit, dass man die Straße nach der am 12. August 1988 geborenen Saime Genc benannt hat. Das kleine Mädchen musste 1993 sterben, weil „Herrenmenschen“ nicht damit klargekommen sind, dass in Solingen und anderen deutschen Orten Menschen wohnen, arbeiten, leben, die keine typischen deutschen Namen tragen. Das Attentat in Solingen 1993 reihte sich ein in die Ausschreitungen und Brandanschläge von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mölln von 1991 bis 1993. In der schleswig-holsteinischen Gemeinde Mölln kamen drei Menschen im November 1992 ums Leben bei einem Brandanschlag. Der Kurzfilm wirft auch die Frage auf, ob unsere Gesellschaft das neofaschistische Gedankengut schon dadurch ausreichend bekämpft hat, wenn nach einem Mordopfer eine Straße benannt worden ist? Es ist ja auch zweitrangig, ob die Straße nun mehre Kilometer lang ist und sich in der Innenstadt befindet oder nur 556 Meter lang ist und in einer Industrieöde liegt. Tatsache ist ja, Neonazis haben mitten in Deutschland Menschen ermordet und man kann nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Bis jetzt hat auch noch kein „aufrechter Deutscher“ das Straßenschild zerstört oder übermalt. Die „Stolpersteine“ zur Erinnerung an ermordete Juden werden oft von Holocaustleugnern herausgerissen oder übermalt. Güzin Kar teilt in dem Kurzfilm kühl und sachlich mit, warum diese Straße in Bonn nach Saime Genc benannt worden ist. Kameramann Felix von Muralt fällt dadurch auf, dass er sein Arbeitsgerät sehr zurückhaltend einsetzt und nicht aufdringlich drauflosgefilmt hat. Dadurch ist es ihm gelungen, diesen schäbigen Gedenkort im Niemandsland deutlich als das herauszustellen, was er wohl für die Stadtväter (gibt es eigentlich auch Stadtmütter?) sein soll! Ein Alibi-Ort ist „Deine Straße.“ Bonn, die ehemalige Bundeshauptstadt, kann aller Welt zeigen: „Wir kämpfen an gegen Neonazismus! Wir haben sogar eine Straße nach einem Mordopfer benannt!“ Was Güzin Kar und ihr Filmteam mit keinem Wort aussprechen ist aber unübersehbar und der Zuschauer kann es hören, ohne dass es gesagt wird! Wenn in diesem Tempo und auf diese Art und Weise aufkeimender Faschismus weiterhin bekämpft wird, müssen wir wohl leider noch einige Straßen nach Mordopfern benennen, die durch „Herrenmenschen“ ums Leben gekommen sind. (Volker-Taher Neef, Berlin)