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Donnerstag, 08.10.2020


"Das faschistische Jahrhundert - Neurechte Diskurse zu Abendland, Identität, Europa und Neoliberalismus" - Autor Friedrich Burschel

Buchbesprechung: Das faschistische Jahrhundert - von Taher Neef

Den rassistischen und antisemitischen Straftaten gehen oft Täter nach, die keine „Einzeltäter" sind. Sie sind in einer globalen Community zu Hause, die sich auf faschistische Ideologien stützt, die weit ins 20. Jahrhundert zurückreicht

Wer meint, der mörderische Faschismus sei in Deutschland am Tage des Kriegsendes hierzulande ausgestorben, irrt sich leider ganz gewaltig. Zahlreiche Anhänger dieser menschenverachtenden Ideologie haben nicht nur das Kriegsende überlebt, oft bekleideten sie nach dem 8. Mai 1945 hohe Positionen. Der von der Berlinale vergebene Alfred-Bauer-Preis ist nur ein Beleg von vielen. Erstmals 1987 vergeben, fiel es Verantwortlichen 2020 auf, wie tief Alfred Bauer, erster Leiter der Berlinale, verstrickt war in die Machenschaften des Hitlerregimes. 2021 wird dieser Preis des Filmfestivals durch den „Preis der Jury“ ersetzt werden. Nicht nur alte Nazis, die noch heute mit Ehrfrucht von dem von ihnen so sehr verehrten Führer reden, sind eine Bedrohung für die Demokratie. Einige junge Leute finden auch Gefallen an der braunen Ideologie.

Im noch nicht wiedervereinten Deutschland war der Bombenleger des Oktoberfestes in München 1980 bei Ausübung seiner Tat 20 Jahre jung. 13 Menschen ermordete er. Der Täter war Anhänger einer neonazistischen Wehrsportgruppe gewesen. Im wiedervereinten Deutschland lag die Menschenjagd 1992 auf ein von ehemaligen DDR-Vertragsarbeitern aus Vietnam in Rostock bewohntes Wohnheim in den Händen von jungen Deutschen.

Die 2009 in Dresden ermordete schwangere Muslima Marwa al-Sherbini war am Tattag 32 Jahre jung, ihr Mörder Alex W. 28. Die NSU-Mörder waren auch nicht im Rentenalter. Der mutmaßliche Doppelmörder des Anschlags auf die Synagoge in Halle 2019 ist ein junger Mann gewesen, der sehr gute Internetkenntnisse besitzt. Aktuell findet der Prozess statt.

Die Liste der faschistischen Taten auf deutschem Boden lässt sich noch lange fortsetzen. Den rassistischen und antisemitischen Straftaten gehen oft Täter nach, die keine „Einzeltäter" sind. Sie sind in einer globalen Community zu Hause, die sich auf faschistische Ideologien stützt, die weit ins 20. Jahrhundert zurückreicht.


Blumennierderlegung am Gedenkmal des Mordes an Marwa El-Sherbini vor dem Gerichtssaal in Dresden
Marwa El-Sherbini war 32 jung, der Mörder Alex W. 28

Darauf macht ein Ende August aus dem Verbrecher-Verlag in Berlin herausgegebenes Buch eindringlich aufmerksam. Es trägt den Titel:
Das faschistische Jahrhundert. Neurechte Diskurse zu Abendland, Identität, Europa und Neoliberalismus",

Herausgeber ist Friedrich Burschel. In Deutschland hat sich die Stimmung verschärft, faschistische Ideologien tauchen wieder auf. Abwehrmythen und Endzeitstimmung werden von vielen völkisch Rechten, „Rechtsintellektuellen", Neonazis und rechten Terroristen heraufbeschworen. Am meisten spüren diesen Stimmungswandel Menschen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind. Neonazis entscheiden in Herrenmenschenart, wer aufgrund seiner Religion, Hautfarbe, Abstammung, sexuellen Orientierung, politischer Anschauung nicht ins deutsche Abendland passt. Die „Neue Rechte" versucht auch, mit alten antimodernen Theorien die Gegenwart zu erklären. Die Corona-Krise, mit der unterschiedlichste Verschwörungsideologien ihre Neuauflage erleben und rassistische Ressentiments gestreut werden, verschafft Neonazis gewaltigen Zulauf.

Das Buch geht mit Beiträgen von Julian Bruns, Felix Korsch, Felix Schilk, Natascha Strobl und Volkmar Wölk den aufgeladenen Begriffen „Abendland“, „Europa“, „Liberalismus“ und „Identität“ nach und untersucht ihre Herkunft und Entwicklung und welche Bedeutung sie heute für eine „Neue Rechte" haben. Der italienische Machthaber Benito Mussolini, der von 1922 bis zu seiner Hinrichtung 1943 das Amt des italienischen Ministerpräsidenten bekleidet hatte, beschwor 1932 ein glorreiches „faschistisches Jahrhundert". Das Buch „Das faschistische Jahrhundert" von Herausgeber Friedrich Burschel steht dagegen für ein friedliches, offenes und demokratisches Gemeinwesen.


Das Werk umfasst 258 Seiten und kostet im deutschen Buchhandel 19 Euro. ISBN: 978-3-95732-454-2. (Volker-Taher Neef, Berlin)