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Freitag, 17.05.2019
Beschluss in Österreich - Islamische Gemeinschaft in Österreich verurteilt umstrittenes Verbot für Kopftücher an Grunschulen
Rechte und konservative Parteien setzen sich in Kopftuchdebatte im Parlament durch. Islamische Gemeinschaft (IGGÖ) will Klage vor dem Verfassungsgericht einreichen.
Bonn/Wien - Österreichs Koalitionsregierung hat sich mit ihrer strikten Linie gegen den traditionalistischen Islam erneut durchgesetzt. Mit den Stimmen der konservativen ÖVP und der rechten FPÖ beschloss das Wiener Parlament am Mittwochabend ein Kopftuchverbot an Grundschulen. Das Gesetz untersagt bei Geldstrafe "das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist". Es gilt laut Regierung ausdrücklich vor allem für den islamischen Hidschab, weil er das gesamte Kopfhaar bedeckt, anders als etwa die jüdische Kippa.
Der Beschluss sei ein "Signal gegen den politischen Islam" und befreie muslimische Mädchen von einer "Unterwerfung" unter dessen strenge Geschlechtertrennung, hieß es aus ÖVP und FPÖ. Die Opposition stimmte fast geschlossen gegen den Entwurf der Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und monierte, es gehe ihr nicht um das Kindeswohl, sondern vor allem um Schlagzeilen. Umgekehrt fragen sich Befürworter des Gesetzes, ob es der Opposition nicht nur um die reflexhafte Inschutznahme höchst bedenklicher Praktiken eines ultrakonservativen Islam geht, den es vor einer vermeintlichen "Fremdenfeindlichkeit" zu schützen gilt. Die österreichische Abgeordnete Martha Bißmann, kritisierte das Verbot scharf und setzte während ihrer Redezeit aus Protest ein Kopftuch auf.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) kündigte am Donnerstag Klage vor dem Verfassungsgericht an. Sie betont das Recht auf Religionsfreiheit und spricht von einer Diskriminierung junger Musliminnen, gar von einem "schwarzen Tag für die Demokratie". IGGÖ-Präsident Ümit Vural sagte, dass dieses Verbot erst zur „Segregation und Diskriminierung von muslimischen Mädchen“ führt. Weiter sagte er, dass es sich bei dem Verbot nicht um das Kindeswohl geht, sondern um eine generelle Diskriminierung des islamischen Kopftuchs welches „Teil der religiösen Praxis ist“.
Objektiv geht es in der Debatte um die nur in jedem Einzelfall zu klärende Frage, ob sich acht- oder zehnjährige Schülerinnen freiwillig für das Kopftuch entscheiden oder von ihren Eltern dazu gedrängt werden, was im Zweifelsfall wahrscheinlicher sein dürfte. Das aber fällt auch aus Sicht liberaler Muslime wie der Frauenrechtlerin Seyran Ates nicht unter das Erziehungsrecht der Eltern. Das "Stück Stoff auf dem Kopf" verlange den Mädchen ein bestimmtes Verhalten ab, sagt sie. Sie sollten "brav und zurückhaltend sein, nicht zu engen Kontakt mit Jungen haben, nicht stürmisch laufen und toben". Das sollten Kinder aber dürfen. "Wenn Eltern ihren Töchtern diese Freiheit nehmen wollen, dann muss der Staat etwas dagegen tun."
Mit Sorge beobachten Kritiker wie die Organisation Terre des Femmes einen zunehmenden Trend unter konservativen muslimischen Migranten in Europa, ihren Töchtern schon im Kindesalter den Hidschab aufzusetzen und sie damit von der "ungläubigen" Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. Zuweilen tauche er bereits in Kitas auf. Seit Jahren warnt Altfeministin Alice Schwarzer vor dem Kopftuch als "Flagge des politischen Islam", für den die Trennung der Geschlechter zentral sei. Nach dieser Metapher ließe sich wohl ergänzen: Je jünger die Trägerin, desto sichtbarer weht diese Flagge.
Doch es gibt auch ganz unpolitische Argumente gegen das Kopftuch für Grundschülerinnen. So erklärte die Vizepräsidentin des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte, Sigrid Peter, die Betroffenen erhielten dadurch zu wenig Vitamin D, was ihr gesundes Wachstum gefährde.
In Deutschland gab es auch schon erste Reaktionen zum umstrittenen Verbot. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Widmann-Mauz forderte eine Überprüfung des Falls, da selbst die Mehrheit der Muslime es absurd finden würden, kleinen Mädchen ein Kopftuch aufzusetzen.
SPD Familienpolitikerin Leni Breymaier stimmte dem Verbot zu und erklärte, dass es keine religiöse, sondern eine gesellschaftliche Frage sei, im Speziellen um die Gleichstellung. Erwachsene sollten dies selbst entscheiden können. Anders twitterte ihr Kollege SPD-Politiker Karl Lauterbach und erklärte, dass es nicht sein kann, dass man Kinder in einen Konflikt mit ihren Eltern zwingt und bezeichnete dies als „unehrenhaft“.
Auch die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor befürchtet, dass ein Verbot polarisieren würde. Dadurch zwinge man die Kinder zu einer Entscheidung zwischen Elternhaus und Schule, sagte sie im Deutschlandfunk. Besser wäre es, die Eltern mit pädagogischen Mitteln zu erreichen und zum Beispiel Moscheevereine einzuladen, die gegen Kopftücher für junge Mädchen argumentierten.
In Deutschland verläuft die Diskussion um ein Hidschabverbot für Kinder eher verhalten. So unternahm die NRW-Landesregierung vor einem Jahr einen Vorstoß für ein Gesetz, ohne greifbares Ergebnis. In Berlin gab es Anfang Mai eine Verbotsinitiative vonseiten der AfD. CDU und FDP haben Zustimmung signalisiert. Die Regierungsparteien SPD, Linke und Grüne sprachen dagegen von "Islamfeindlichkeit".
KNA/BR/Eigen