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Dienstag, 22.08.2017


"Die syrische Frau"

Ein Beitrag verfasst von Adnan Wahhou, Provinz Aleppo, Sonntag, den 23. Juli 2017

Revolutionsflaggen flattern, aber es ist schwierig, Sicherheit zu garantieren und grundlegenden Bedürfnisse der Bürger an Nahrung, Wasser, medizinische Versorgung und andere Dinge zu gewährleisten.
Zwei Tage kamen und gingen und wir durften unseren Aufenthaltsort nicht verlassen. Am dritten Tag, am Samstag, begann sich die Lage zu normalisieren und wir konnten einen der Medical Points erreichen. Der Medical Point war mit Patienten überfüllt, viele Frauen, die zum Teil ihre Kinder begleiteten, Jungen und Männer. Alle verhielten sich ruhig. Sie waren für eine Untersuchung angemeldet und wurden der Reihe nach in den Behandlungsraum des Arztes gerufen.
Der Direktor des Medical Points, Abu Ibrahim, erschien uns an diesem Tag bedrückt und betroffen. Dies fiel uns auf, als wir uns mit ihm im Gespräch über den Stand der Arbeiten im Medical Point austauschten und über die Verfügbarkeit von Arzneimitteln für Patienten sprachen.

Abu Ibrahim unterbrach unser Gespräch und sagte: Heute ist ein Vorfall passiert, der gleicht einem Wunder. Als ich heute früh ankam, gerade als die Sonne aufging, wurde ich von einer Frau sitzend auf dem Boden vor der Tür des Medical Points mit einem Kind auf ihrem Arm in ihr Gewand gehüllt, überrascht. Ich grüßte sie und fragte, ob es ihr gut gehe. Sie antwortete, sie habe ihr Baby vor Minuten zur Welt gebracht. Ich besorgte gleich einen Transportwagen und transportierte sie und ihr Baby sofort zum nächst liegenden Krankenhaus.

Während wir saßen und Abu Ibrahim uns über den Vorfall mit der Frau erzählte, kam der Arzt aus dem Krankenhaus für Geburtshilfe zum Medical Point und wollte dem Direktor berichten, dass heute etwas Außerge-wöhnliches, Unglaubliches passiert sei. Bei der Aufnahme der Patientendaten bemerkte man, dass die drei letzten Geburten der Frau mit Kaiserschnitt erfolgt waren. Dass die vierte Geburt jedoch normal ablief, grenzt an ein medizinisches Wunder. Der Frau und dem Kind geht es nach der Geburt gut. Die Güte Gottes hat ihr geholfen und behütet. Danke Abu Ibrahim, dass du rechtzeitig beide geretet hast.

Der Vorfall hat mich tief bewegt und ich möchte ihn fest halten. Bei allen Tragödien, die in Syrien geschehen, sollte dieses Ereignis nicht unbemerkt bleiben. Früh am Morgen, am Sonntag, setzte ich mich mit dem Direktor des Medical Points in Verbindung und befragte ihn über die Situation der Frau. Er berichtete mir, dass es der Frau gut gehe und sie mit ihrem Baby aus dem Krankenhaus entlassen worden sei. Ich bat ihn dann uns die Adresse zu besorgen. Ich wollte selber schauen, wie es um sie stand und von ihr direkt hören, wie alles abgelaufen sei.
Da in diesen Gegenden die Straßen nicht beschildert und die Häuser nicht nummeriert sind, ist es schwierig, das Haus zu finden, ohne viel zu fragen.
Mit großer Mühe fanden wir das Haus. Innen drin sah man Wände, Boden und Dach. Das Haus war kaum eingerichtet, außer mit zum Teil zerstörten Schränken. Die Frau saß vor uns, dabei umarmte sie ihr Baby. Ich fragte sie nach ihrer Gesundheit. Sie sagte: Gott dem Allmächtigen sei Dank und es ginge ihr gut. Ich stellte ihr den Direktor des Medical Points, der sie und ihr Baby vor dem Medical Point gerettet hatte. Sie erkannte ihn gleich und bedankte sich bei ihm. Ich bat sie, uns über den Ablauf, wie sie den Medical Point erreichte und ihr Baby geboren hat, zu berichten, jedoch nur, wenn es ihr gut gehe und ihr Gesundheitszustand es erlaube.

Gleich begann sie, uns alles zu erzählen: Vor zwei Tagen, am Freitagabend, habe sie starke Schmerzen gehabt. Sie hielt sie für Rückenschmerzen, denn sie sei im achten Monat ihrer Schwangerschaft gewesen. Im Laufe der Nacht sei der Schmerz immer stärker geworden, bis es unerträglich wurde. Zu Hause gäbe es keine Männer, die ihr hätten helfen können. Nur .. ihren kranken Vater, der dazu nicht in der Lage war. Mit den Schmerzen sei sie auf die Straße gegangen. Sie habe ein paar Straßenzüge passiert, bis sie die Hauptstrße erreichte. Sie habe ein Auto angehalten und den Fahrer gebeten, sie zu einem Krankenhaus zu bringen. Der Fahrer antwortete, er kenne kein Krankenhaus in dieser Gegend. Daraufhin zeigte sie ihm den Weg zum Medical Point. Der Fahrer sei zügig gefahren. Nach kurzer Zeit erreichten sie den Medical Point. Sie sei ausgestiegen und ging weiter bis an die Tür des Medical Points. Die Tür sei geschlossen und niemand sei da gewesen. Es sei dunkel und ruhig gewesen. In diesem Moment fühlte sie, ihr Baby sei "herunter gefallen". Mit ihrem Deckenstoff nabelte sie ihr Baby ab. Den Mutterkuchen begrub sie im Sand.

Dann saß sie da und wartete auf Hilfe. Bei Sonnenaufgang traf Abu Ibrahim im Medical Point ein und rette sie, indem er sie mit ihrem Baby zu einem Krankenhaus brachte.

Mary legte ihr Kind neben den Stamm einer Palme und konnte den Stamm schütteln, so dass er frische, reife Datteln herabfallen ließ. Niemand aus ihrem Volk oder der Gemeinschaft aller Völker war bereit, sie zu retten. Es war ein Wunder, dass sie Ihr Baby auf die Welt gebracht hat, ohne dass jemanden ihren Schrei hörte. Das Gewissen der Weltgemeinschaft ist im Sand begraben; die Gemeinschaft ist blind und kann nicht einmal die Bombenangriffe von Kampfjets und Kanonen hören. Diese Bomben zerstören Menschenleben und alles, was die Menschen brauchen. Mitten in der klirrenden Kälte des Winters 2016 hatte sie mit ihren Kindern ihr Haus in Bab Alhadid in Aleppo verlassen, in der Zeit des Bombenhagels und der Zerstörungen. Sie verließ Aleppo ahnungslos in eine ungewisse Zukunft. Sie hat jetzt eine Bleibe in einem Haus, das sie nicht gegen die Kälte des Winters und die Hitze des Sommers schützen kann.