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Freitag, 17.06.2016

«Ohne dich wäre ich nicht hier heute»

Rund 2.000 Menschen nehmen Abschied von Rupert Neudeck

Viele «boat people» aus Vietnam und ihre Familien sind gekommen, um von Rupert Neudeck Abschied zu nehmen. Die Kirche Sankt Aposteln in Köln platzt aus allen Nähten.

Köln (KNA) Vor dem Eingang der Kölner Kirche Sankt Aposteln haben sich zwei aus Vietnam stammende Männer postiert. In ihren Händen halten sie ein Transparent, und darauf die Worte: «In ewiger Dankbarkeit». Sie gelten der Person, den die Männer als ihren Lebensretter verehren: Rupert Neudeck. Um den vor gut zwei Wochen gestorbenen Mitbegründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und Grünhelme zu ehren und zu verabschieden, versammeln sich am Dienstag rund 2.000 Menschen zu einem Trauergottesdienst. Darunter sind - mit Blumen in der Hand - zahlreiche «boat poeple», die Neudeck und sein Team vor Jahrzehnten aus dem südchinesischen Meer rettete - genauso wie heute Flüchtlinge aus maroden Nussschalen aus dem Mittelmeer geborgen werden müssen.

Es ist ein schlichter Trauergottesdienst, den der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki leitet. Am Altar, von wo Neudeck von einem Bild in die Reihen blickt, macht der Erzbischof keinen Hehl aus seiner Trauer. Auch wenn Neudeck schon 77 Jahre alt gewesen sei, erscheine ihm sein Tod wie der «Abbruch eines Lebens», sagt der Erzbischof. Die Mission des Aktivisten scheine noch lange nicht beendet. Den «nimmermüden Rupert Neudeck» nennt der Kardinal einen «treuen und ehrlichen Freund» und «unbedingten Humanisten». Begriffe wie «vielleicht», «mal sehen» oder «geht nicht» seien Fremdworte für ihn gewesen. Er habe sich das Elend von Ertrinkenden und Flüchtlingen zu eigen gemacht und durch seine Überlebenshilfe «Gott unter uns lebendig werden lassen». Damit sei er ein «Auferstandener mitten im Leben» gewesen.

In die gleiche Richtung gehen die Worte des muslimischen Schriftstellers Navid Kermani. Er betont in seiner Ansprache nach dem Gottesdienst, nicht nur die Familie vermisse Neudeck. Dem Gemeinwesen fehle «seine Stimme in Zeiten des wiederkehrenden Nationalismus, seine Tat in Zeiten der Flüchtlingsnot, seine Versöhnung in Zeiten des Terrors, seine Menschenfreundlichkeit, die über das gewöhnliche Maß hinausgeht».

Zu der Trauerfeier ist die nicht ganz erste Reihe der Politik gekommen: der frühere Bundestagspräsident und SPD-Politiker Wolfgang Thierse, der stellvertretende CDU-Bundevorsitzende und NRW-Landeschef Armin Laschet sowie der FDP-Politiker Gerhart Baum. Auch der ehemalige Fernsehmoderator Alfred Biolek, der Journalist Franz Alt oder der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sind dabei.

Die Familie Neudecks mit Kind und Kegel sitzt ganz vorn. In ihrem Kreis fand schon vor ein paar Tagen die Beisetzung statt. Jetzt bei der öffentlichen Feier bekunden zahlreiche Menschen ihr Mitgefühl gegenüber Christel Neudeck, die gemeinsam mit ihrem Mann die Hilfsprojekte vom heimischen Wohnzimmer in Troisdorf organisierte. Wenn jetzt Ruhe einkehrt, wird sie die Lücke besonders schmerzlich spüren. Trost mag sie in den Kondolenzbüchern finden, die sich in Sankt Aposteln mit Einträgen füllen. Einer knüpft inhaltlich an das Transparent vom Eingang an: «Ohne dich wären ich und Tausende andere Vietnamesen nicht hier heute.»