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Montag, 25.04.2016


«Wir müssen eher das Christliche im Abendland retten»

Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sieht bei AfD antichristliches Gedankengut - Hohe Kirchenvertreter sehen Islam-Kurs der AfD weiterhin kritisch

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki erinnerte an die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit. Wer sie infrage stelle, müsse sich selbst fragen, ob er mit seinen «angstschürenden Forderungen den Boden des Grundgesetzes nicht längst verlassen» habe, sagte er auf domradio.de. «Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Eine ganze Religion, ja, eine der großen Weltreligionen wird hier in gehässiger Absicht an den Pranger gestellt», kritisierte der Erzbischof. Niemand, weder Christen noch Muslime, dürfe aufgrund seines Glaubens diskriminiert oder verfolgt werden, mahnte Woelki. «Wer Muslime, so wie die AfD-Parteispitze, verunglimpft, der sollte sich klar machen, dass Gebetshäuser und Moscheen hier genauso durch das Grundgesetz geschützt sind wie unsere Kirchen und Kapellen.»

Der katholische Theologe Josef Freise bezeichnete die religiöse Vielfalt in Deutschland als Chance. «Wir leben in einer Zeit der Globalisierung und wir lernen jetzt auch noch mal eine andere wichtige Form des Christseins deutlich kennen, nämlich die Vielfalt wertzuschätzen», sagte er auf domradio.de. Die Gesellschaft könne jetzt lernen, Ausgrenzung zu überwinden. Insofern sei es schlimm, so Freise, «wenn bösartig Islam und Islamismus einfach gleichgesetzt werden. Das ist ein Feindbilddenken.»

Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, warnte davor, «Menschen aufgrund ihrer Religion als nicht grundgesetzkonform» anzusehen. Dieser Weg führe «in einen diktatorischen Staat, aber nicht in eine freie Demokratie», schrieb sie in ihrer Kolumne in der «Bild am Sonntag». Es gelte, gemeinsam für die Freiheit einzutreten, betonte die Theologin: «Wer den eigenen Glauben praktiziert, in ihm Halt findet, hat auch keine Angst vor Menschen, die anders an Gott glauben.»



Hier noch anschliessend ein Interview mit dem Präsident des Zentralkomitees der
deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, am Mittwoch im
Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

KNA: Ist es angemessen, wenn sich die AfD auf christlich-jüdische
oder christliche Grundlagen beruft?

Sternberg: Bevor sich jemand auf die christlichen Grundlagen des
Abendlandes beruft, wie die AfD es tut, sollte er sich mit der
Geschichte des Abendlandes näher beschäftigen. Außer Frage hat das
Abendland vor allen Dingen christliche Wurzeln und christliche
Belege. Aber wenn ich das lese, was da im Programm steht, dann denke
ich, wir müssen eher das Christliche im Abendland retten als das
christliche Abendland.

KNA: Woran denken Sie dabei?

Sternberg: Das Christliche im Abendland, das war zum Beispiel eine
prinzipielle Offenheit. Wenn man sieht, wie Thomas von Aquin in der
Lage war, arabische Quellen zu verarbeiten, wie es Kontakte und ein
Miteinander auch in der islamischen Welt gegeben hat, wie der
Kulturaustausch üblich war, wie da Dinge aufgenommen und integriert
wurden - das hat immer die Stärke Europas ausgemacht.

KNA: Gibt es noch weitere Aspekte?

Sternberg: Ganz wichtig, zur Stärke Europas gehört das Soziale. Das
macht vielleicht sogar Europa stärker als viele andere Kulturen. Dass
hier in Europa eine Sozialordnung ausgebildet ist, bei der immer klar
war: Derjenige, der Not leidet und derjenige, der Hilfe braucht,
verdient die Solidarität der anderen - unabhängig davon, ob er zur
Gruppe gehört oder nicht. Gerade diese soziale Hilfe für den Fremden
hat in Europa eine besonders große Tradition. Man denke
beispielsweise an so große Sozialpersönlichkeiten wie Martin von
Tours.

KNA: Wie viel Christliches steckt Ihrer Einschätzung nach in der AfD?

Sternberg: In den Punkten, in denen sie sich fremdenfeindlich,
deutschnational und islamabgrenzend gibt, steckt überhaupt nichts
Christliches darin. Das ist sogar strikt antichristlich. Meines
Erachtens ist die Berufung auf das Christliche mit nationalistischen
Vorstellungen schlechterdings nicht vereinbar. Das Christentum ist
immer eine Religion gewesen, bei der alle Menschen ihre Würde hatten
- unabhängig von der Herkunft oder Zugehörigkeit, ihrer
Staatsangehörigkeit. Nationalismus und Christentum vertragen sich nur
ganz schwer.

KNA: Fährt die AfD also nicht nur einen Anti-Islam-Kurs, sondern in
Wirklichkeit auch einen antichristlichen Kurs?

Sternberg: Antichristlich würde ich nicht sagen, damit bringt man
eine neue Schärfe hinein. Aber zumindest wäre ich anstelle der AfD
sehr, sehr vorsichtig, mich auf das Christliche zu berufen. Wir
machen ja überhaupt einen großen Fehler: Bei den Debatten über
Unterschiede zwischen Ländern, Völkern, Nationen wird bei den
Unterschieden normalerweise ein Übersprung gemacht von der Kultur auf
die Religion. Und es wird nicht unterschieden: Was ist eine Kultur
oder eine Zivilisation, die von der Religion beeinflusst ist, und was
ist die Religion?

KNA: Was bedeutet das mit Blick auf das Christentum?

Sternberg: Das Christentum ist nicht automatisch europäisch, nur weil
es besonders intensiv in Europa inkulturiert ist. Und die europäische
Kultur ist im Christentum mitbestimmend, aber das Christentum ist
nicht identisch mit der europäischen Kultur. Aber das gilt auch für
den Islam und für andere Religionen. Übrigens für den Islam etwas
weniger als für das Christentum, aber das hat noch einmal andere
Gründe.

KNA: Sie haben kürzlich der AfD ein Halbwissen über den Islam
vorgeworfen. Gibt es ein solches auch über das Christentum oder das
Judentum?

Sternberg: Das gibt es ganz ohne Frage. Ich habe den Eindruck, dass
die Grundlagen der christlichen Existenz nicht verstanden wurden:
also zum Beispiel die Umwertung von Dienen und Herrschen, die
Christus vorgenommen hat, die Erstrangstellung von der Feindesliebe,
der Barmherzigkeit. Das sind Botschaften, die ganz fundamental sind.

KNA: Wird mit Blick auf die AfD heute das christlich-jüdische
Zusammenstehen noch wichtiger?

Sternberg: Natürlich spielt das eine große Rolle. Aber es ist auch
ein Zusammenstehen von Christen, Juden und Muslimen wichtig. Das
heißt, zwischen den Menschen, die religiös orientiert sind. Papst
Johannes Paul II. hat mit dem Friedensgebet von Assisi sehr deutlich
gemacht, wie sehr alle Menschen, die religiös sind, gemeinsame
Absichten haben und sich gemeinsam für den Frieden in der Welt
einsetzen können.

KNA: Wie sollte die katholische Kirche mit AfD-Mitgliedern umgehen,
die es möglicherweise in ihren eigenen Reihen gibt?

Sternberg: Selbstverständlich sind die Mitglieder einer Partei nicht
aussätzig für die Kirche. Das haben wir ja mit Kommunisten auch nicht
gemacht. Man muss die Kirche im Dorf lassen. Die AfD wird alles
versuchen, um als normale demokratische Partei daherzukommen. Das
macht ihre Gefahr aus. Wenn es die Republikaner wären, die DVU oder
die NPD, dann wäre die Sache relativ einfach. Aber so einfach ist die
Lage bei der AfD leider nicht. Man wird auch mal sehen, was sich
eigentlich daraus bilden wird. Es kommt darauf an, welche Personen
sich in dieser Gruppierung durchsetzen. Ich bin weit davon entfernt
zu sagen, man verteufelt eine Gruppe pauschal. Damit ist nichts
gewonnen, und das haben wir auch nie gewollt.