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Dienstag, 07.07.2015
Wer Sicherheit sagt, meint Feigheit
Srebrenica ist von den Serben gemordet und von der Weltgemeinschaft verraten worden - Von Rupert Neudeck
Der Balkan war, wie wir von unserem großen Bismarck wissen, noch nie die Knochen eines pommerschen Grenadiers wert. Er war auch bisher nicht die kollektive Erinnerung an eines der größten Versagen Europas wert. Und an einen genozidalen Versuch, die muslimischen Bosnier in Bosnien auszulöschen und zu ermorden.
Die Geschichte des Überfalls und der Einnahme von Srebrenica am 11. Juli 1995 ist schnell erzählt. Die UNO hatte mehrere Orte zu ausdrücklichen Schutzplätzen erklärt, u.a. auch Srebrenica, aber auch Zepa und Gorazde. In Srebrenica begann aber ein Angriff der serbisch-bosnischen Armee unter dem serbischen General Ratko Mladic, die auf eine Garnison von 850 niederländischen Soldaten der sog. UNPROFOR traf. Bosnisch-serbische Truppen hatten am 11. Juli die Enklave und Schutzzone überrannt. Der zuständige französische General Janvier sah im Hauptquartier der UNPROFOR keinen Grund, seine Zustimmung zu Bombenangriffen und Luftunterstützung zu geben, Frankreich stand mit der Regierung von Milosevic unter einer Decke.
Oberstleutnant Karremanns hatte im Zagreber UN-Hauptquartier Luftunterstützung angefordert. Über Funk meldete sich die Kommandozentrale in Potocari, wo die Niederländer ihr Quartier hatten. Die Anforderung von Luftnahunterstützung ging in Sarajevo um 19.15 Uhr ein. Der General Nicolai wußte, wie ablehnend der Oberkommandierende französische General Janvier gegen den Einsatz der Luftwaffe war. Der niederländische General brachte die Anforderung auf Luftunterstützung zu Stellvertreter des Oberkommandieren, General Herve Gobilliard. Dann traf die Anforderung in Zagreb bei Oberst de Jong um 19.30 ein. Um 19.50 traf sich der Krisenstab bei General Janvier. Der UN-Generalsekretär-Stellvertreter Yakushi Akashi hatte seine Befugnis, Luftunterstützung anzufordern, an den französischen General übertragen. Janvier wollte wissen, wie schnell die Flugzeuge einsatzbereit sein könnten. Man sagte ihm in weniger als einer Stunde.
Es kam zu einem unentschiedenen Geplänkel, bis dann Janvier den holländischen Obert de Jonge fragte, was er empfehlen würde. Da Sie gestern eine energische Erklärung abgegeben haben, die keinerlei Wirkung gemacht habe, müssten Sie jetzt handeln. Um 20.30 war immer noch nichts geschehen, Janvier zögerte und zögerte. Der niederländische Oberst Karremanns rief all 15 Minuten in Sarajevo an, um zu fragen, ob die Luftnahunterstützung jetzt endlich bewilligt sei. De Jonge konnte nicht fassen, wie lange es schon dauerte. Die Luftlandeunterstützung konnte auch bedeuten, dass die Serben 30 niederländische Geiseln kidnappen und töten würden. Dann wurde noch der holländische Verteidigungsminister Joris Voorhove gefragt. Der sagte als einziger in dieser wahnsinnigen Krise der westlichen Allianz: Er sagte: „Das Leben von 30 niederländischen Soldaten ist gleichrangig zu betrachten mit den Leben von 30.000 Muslimen in Srebrenica“. Die UN-Schutzzone sei unter allen Umständen zu verteidigen gewesen. Die niederländische Regierung hatte also keine Einwände gegen eine Luftnahunterstützung. Erst um 21.05 Uhr sprach Janvier, der Zögerer, mit dem Chef der UNO Yashuhi Akashi. Um 21.40 sagte Janvier, der sich wieder in eine Sitzung zurückgezogen hatte: „Wir sind in der Lage, in einer halben Stunde anzugreifen. Die Nacht Option ist okay, sobald Panzer oder Artillerie angreifen“. Die Serben stellten nun ihrerseits ein Ultimatum. Sollten die UN-Truppen ihre Waffen und Ausrüstungen den Serben übergeben, könnte alle die Enklave am nächsten Morgen verlassen. „Allen Muslimen stehe es frei, die Enklave innerhalb von 48 Stunden zu verlassen.
Und dann kam der Clou, Janvier sagte, er habe mit dem serbischen General Tolimir gesprochen, und der habe ihm versichert, dass die Serben nicht vorhaben, die Enklave anzugreifen, und einzunehmen… Janvier wörtlich – und das war das Todesurteil für 8000 muslimische Bosnier: „Ich glaube ihm. Wenn sie die Enklave doch einnehmen, ziehe ich meine Konsequenzen“.
In der Nacht flüchteten sich schon einige Bosnier in die Schutzgebiete, die vermeintlichen des Niederländischen Kommandopostens. Karremanns sagte: „Ich habe von meinen Vorgesetzten erfahren, dass bis morgen 6 Uhr 40 bis 60 Flugzeuge über Srebrenica eintreffen werden. Es wird einen massiven Luftangriff geben“.
Es gab keine massiven Luftangriffe, die Flugzeuge, die schon früh am 11. Juli in der Luft waren mussten wegen Treibstoffverlust zu ihren Basen nach Aviano Italien zurück. Srebrenica war an diesem Tag gefallen und die Angst der Menschen raste. Aber es waren ja nur Bosnier, und dann auch noch nur muslimische Bosnier. Am Abend des 11. Juli fanden sich Oberstleutnant Karremanns und Nesiv Madzic um 23.30 Uhr im Hotel Fontana in Bratunac ein. Sie trafen mit Ratko Mladic und acht serbischen Militärs zusammen. Mladic willigte ein in einen Waffenstillstand um 10.00 Uhr am nächsten Tag, sagte aber: „Ich werde das UN-Lager und die Flüchtlinge beschießen, wenn sie die Luftangriffe nicht einstellen sollten. Das wird unsere Vergeltungsmaßnahme gegen die Niederländer und die Flüchtlinge sein“. Das hörte sich der Befehlshaber der 850 Niederländer Soldaten an und kroch in seine Feigheit zurück.
Das Gesetz dieser Welt ist Feigheit. Immer, wenn wir nicht unseresgleichen in Not sehen, fallen wir in unsere übliche Haltung zurück, die da heißt Sicherheit = Feigheit. Mut und Tapferkeit sind Worte, die man etymologisch vielleicht noch kennt, aber man weiß nicht mehr, dass und was sie bedeuten. Am Ende sind alle, die dort in die Schutzzäune des UN-Lagers sich geflüchtet haben, von der Weltgemeinschaft verraten worden. Ratko Mladic wurde nicht nur der Sieger, er war der Mörder der 8.000 muslimischen Bosnier, die bei ihrem Weggang ermordet wurden. Wie es den bosnischen Zivilisten erging, wurde beim Einmarsch schon geprobt. Als die Serben hineinmarschierten, gab es nur noch leere Häuser. Man fand alte Männer, die nicht mehr gehen konnte. Dann ergab sich ein etwa 30jähriger Mann, der Truppenführer Pelemis sah den Muslim sich an und sagte zu einem Soldaten: „Mach ihn kalt“. Der zog sein Messer, zerrte seinen Kopf nach innen und schnitt íhm die Kehle durch. Blut spritzte in weitem Bogen auf die Strasse.
Der Balkan, also auch Srebrenica ist nicht den Mut eines einzigen Blauhelm-Soldaten wert. Wir haben bis heute diese Zeit nicht aufgearbeitet. Wir haben den Schwanz eingezogen und waren froh, dass nicht einem der 850 bewaffneten Niederländer Soldaten ein Haar gekrümmt wurde. Dass dafür 8000 Bosnier ins Gras beißen und krepieren mussten, das ist eben der Preis, den wir in dieser Welt zahlen müssen. In dieser Welt, die weiter von der Aufteilung zwischen uns wertvollen Weißen, Europäern, Niederländern und den anderen Balkanesen, den Bosniern, den Muslimen gekennzeichnet ist. Rupert Neudeck