Ich kann jetzt schon die Stimmen hören, die sich wegen des Bezugs zur Nazizeit aufregen. Aber die Gerechtigkeit liegt in der Erinnerung. Das dunkle Kapitel der Naziherrschaft zu unterdrücken oder vergessen zu wollen, ist die größte Gefahr, der wir als Nation ausgesetzt sind. Wenn wir die Fehler der Vergangenheit in diesem Land nicht wiederholen wollen, dann müssen wir uns erinnern wollen. Nur so können wir lernen und demgemäß handeln. Der Politikwissenschaftler Farid Hafez äußerte in diesem Geiste: „Beim Judentum hat man aus gegebenem Anlass, wegen des Holocaust, begonnen, eine Selbstreflexion zu pflegen. Aber die hat sich nie auf den Islam bezogen. Was wiederum bedeutet, dass in allen möglichen systemischen Zusammenhängen das alte Negativbild noch existiert. Von der schulischen Bildung bis hin zu den Universitäten finden wir Spuren dieses Weltbildes, das den Islam herabwürdigt und eindeutig negativ behandelt.“
[1] Ich spreche also nicht von Zensur. Ich meine auch nicht das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einzuschränken. Niemand soll einen Maulkorb verpasst bekommen. Aber Meinungsfreiheit legitimiert nicht die geistige Brandstiftung. Die Meinungsfreiheit ist eingebunden in Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen schützt. Wir können nicht mehr warten, während Tag für Tag immer mehr Mitbürger muslimischen Glaubens mit Vorurteilen konfrontiert werden. Nicht jeder ist stark genug, dem täglich die Stirn zu bieten. In manchen zementiert sich ein Gefühl tiefer Bitterkeit gegenüber dieser Gesellschaft. Andere wiederum ziehen sich zurück und versuchen ihren Glauben zu verbergen, weil sie den Druck Muslimzusein und sich dafür ständig rechtfertigen zu müssen, nicht mehr tragen können. Und andere werden infiziert mit der Vorstellung, dass an ihrer Religion vielleicht tatsächlich etwas nicht stimmt. Wolken eines Minderwertigkeitsgefühls tauchen an ihrem geistigen Horizont auf, weil in unserem Land Integrationsprobleme und soziale Missstände islamisiert werden. Der Islam wird zum Problem erklärt, ergo, Muslime sind ein Problem. Nein, warten können wir nicht mehr. King schrieb einmal, dass es ein tragisches Missverständnis des Begriffes
Zeit gäbe. „Es ist die merkwürdige unrealistische Vorstellung, dass die Zeit die Fähigkeit besäße, unweigerlich alle Übel zu heilen. Die Zeit ist aber durchaus neutral. Sie kann sowohl destruktiv als auch konstruktiv verwendet werden. Ich glaube allmählich, dass die Menschen bösen Willens ihre Zeit wesentlich nützlicher verwendet haben als die Menschen guten Willens. (…) Wir müssen die Zeit schöpferisch verwenden und uns stets vor Augen halten, dass es immer rechte Zeit ist, das Rechte zu tun.“
[2] Diejenigen von uns Muslimen, die stark genug sind, der Muslimfeindlichkeit die Stirn zu bieten, stehen in der großen Verantwortung das Selbstbewusstsein von all jenen Geschwistern, die dies nicht können, zu stärken. Sie darin zu bestärken, dass alles okay mit ihnen ist, so wie sie sind. Das sie an sich glauben sollen und das sie jemand in diesem Land sind. Wir werden nicht anfangen, uns selber zu meiden. Wir werden nicht zulassen, dass man uns aus unserer Religion eine Kette macht. Voller Stolz entgegnen wir den Muslimfeinden: „Ich bin ein Muslim. Meine Religion ist der Islam. Ich glaube an Gott. Ich glaube an Muhammad als dem Gesandten Gottes. Ich glaube an die Brüderlichkeit aller Menschen, aber ich glaube nicht an eine Brüderlichkeit mit jemanden, der nicht bereit ist Brüderlichkeit mit unseren Leuten zu praktizieren.“
[3] Im Prophetenwort heißt es: Von Abu Amr – er wird auch Abu Amra geheißen – Sufyan ibn Abd Allah (Gottes Wohlgefallen auf ihm), der gesagt hat: Ich sprach: „O Gesandter Gottes, sage mir ein Wort über den Islam, das ich von keinem anderen als dir erfragen kann.“ Er sagte: „Sprich: Ich glaube an Gott – dann stehe (dazu).“ (Muslim)
[4] Niemand anderes als wir Muslime selber können dies für unsere Glaubensgeschwister tun. Lasst uns unseren Geschwistern von Nord bis Süd, von West bis Ost die Botschaft überbringen, dass sie stolz auf ihr Muslimsein und ihr geistiges und kulturelles Erbe sein sollen, das bis zum Propheten Muhammad und seinen Gefährten zurückreicht. Und versteht mich bitte nicht falsch, mit Stolz meine ich nicht die althochdeutsche Bedeutung dieses Wortes im Sinne von
überheblich, sondern ich meine seine mittelniederdeutsche Bedeutung von
ritterlich,
selbstbewusst und
selbstsicher. Es gibt nichts wofür wir uns schämen müssen in unserer Religion. Und man sehe mir den folgenden Anglizismus nach, aber es klingt auf Englisch einfach schöner: Islam is beautiful, and to be a Muslim is beautiful.
Muhammad Sameer Murtaza M.A. ist Islamwissenschaftler bei der Stiftung Weltethos (http://www.weltethos.org/), wo er aktuell zum Thema Gewaltlosigkeit aus den Quellen des Islam forscht. Zuletzt erschien sein Buch Islam. Eine philosophische Einführung und mehr… Literatur Al-Nawawi (o. J.): Vierzig Ḥadīṯe. Kuwait.Benz, Wolfgang (2012): Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet. München.Bertelsmann Stiftung (2015): Religionsmonitor Sonderauswertung Islam 2015.Internet: http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/51_Religionsmonitor/Zusammenfassung_der_Sonderauswertung.pdf (14.06.2015).Christ&Welt (2015): "Unser Restfeindbild". Internet:http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/islamfeindlichkeit-bertelsmann-studie-interview-kai-hafez-sabrina-schmidt (14.06.2015).Dietrich, Tobias (2008): Martin Luther King. Paderborn.Heimbach-Steins, Marianne (2012): Religionsfreiheit. Ein Menschenrecht unter Druck. Paderborn.King, Martin Luther (2008): Ich habe einen Traum. Düsseldorf.Ulusoy, Betül (2015): Wo steht im Koran bitte etwas von Kopftuch? Internet:https://betuelulusoy.wordpress.com/2015/03/08/wo-steht-im-koran-bitte-was-von-kopftuch/ (14.06.2015).X, Malcolm (2011): Malcolm X talks to young people. New York.X, Malcolm (2013): The Diary of Malcolm X El-Hajj Malik El-Shabazz 1964. Chicago.
[2] King, Martin Luther (2008: 75-76).
[3] Vgl. X, Malcolm (2011: 37).
[4] Al-Nawawi (o. J.: 62).
[i] Vgl. Bertelsmann Stiftung (2015).
[ii] Vgl. Christ&Welt (2015).
[iii] Vgl. Benz, Wolfgang (2012: 77).
[iv] X, Malcolm (2013: 23).
[v] Vgl. Ulusoy, Betül (2015).
[vi] Vgl. X, Malcolm (2013: 104).
[vii] King, Martin Luther (2008: 66-67).