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Donnerstag, 12.02.2015

Buchbesprechung von Rupert Neudeck: "Wie bitte: Westliche Welt und Werte?"

Zu dem Guantanamo Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi. Von Rupert Neudeck

Immer wieder verweist der geheimnisvolle Autor aus Mauretanien auf Deutschland, wo er 12 Jahre gelebt hat und sich keines Verbrechens schuldig gemacht hatte. Immer wieder will er das sagen, aber er enthüllt durch dieses Buch trotz der Zensur-Streichungen und Schwärzungen die beispiellose Tatsache, dass der Arm der amerikanischen Polizei FBI, CIA, aber auch Botschaften und Armee in alle Staaten hineinregieren bis hin zur Festnahme eines unschuldigen Bürgers Mauretaniens, der damals – wie er das selbst so schreibt – nach Afghanistan in den Kalte Krieg Kampf gegen die Rote Armee eingestiegen ist wie Reinhard Erös, der Bundeswehr Oberstarzt oder auch der Sohn von Peter Scholl-Latour, der ebenfalls Urlaub vom Dienst in der Bundeswehr bekam.

Im Februar 2000 hat der Autor vor, nach zwölf Jahren Deutschland und kurzem Aufenthalt in Kanada, ins sein bei uns sehr unbekanntes Heimatland Mauretanien an der Westküste Afrikas zurückzukehren. Auf der Reise wird Slahi zweimal im Auftrag der USA verhaftet. Einmal von der senegalesischen Polizei, anschließend von der mauretanischen. Mohamedou Ould Slahi wird von FBI Agenten wegen angeblicher Beteiligung am „Millenniums Plot“ vernommen, seinem Plan, den Flughafen von Los Angeles zu bombardieren. Die Behörden kommen zu dem Schluß, dass er damit nicht zu tun hat und lassen ihn am 14.02.2000 frei. Bis zum Herbst 2001 lebt Mohamedou bei seiner Familie und arbeitet als Elektroingenieur in Nouakchott, der Hauptstadt von Mauretanien. Am 29. September 2001 wird er verhaftet von der mauretanischen Polizei, zwei Wochen im Gefängnis gehalten, dort von FBI Beamten verhört. Wegen seiner Beteiligung an dem Millenniums Plot. Am 20. November 2001 wird Mohamedou in seinem Haus aufgesucht und gebeten, die Polizei zu begleiten wegen einer weiteren Vernehmung, am 28. November 2001 wird der Autor nach Amman geflogen in ein Gefängnis zur weiteren Vernehmung. Dort verhört ihn im Auftrag der USA der jordanische Geheimdienst. Am 19. Juli 2002 wird Mohamedou weiter geflogen, weil man bisher nichts herauskriegen konnte, und zwar in Ketten zur US-Luftwaffenbasis Bagram in Afghanistan. Mit diesen Ereignissen beginnt das Tagebuch. Am 4. August 2002 wird Mohamedou nach Guantanamo geflogen. In den Jahren bis 2004 wird er extremer Sonderbehandlung unterworfen: Die Foltermaßnahmen bestehen in Monaten von extremer Isolation, einer endlosen Folge körperlicher und sexueller Erniedrigungen, Todesdrohungen, Drohungen auch gegen Familienangehörige. Im Sommer schreibt Mohamedou Slahi in seiner Isolationszelle die 466 Seiten, die die Grundlage des Buches bilden. Am 12. Juni 2008 verfügt das Oberste Bundesgericht in Washington, dass jeder Guantanamo Häftling das Recht hat, auf Grund der Habeas Corpus Akte für sich eine Haftprüfung zu beantragen. Am 12./22. März 2010 verfügt der US-Richter Robinson die Freilassung des Mauretaniers. Am 26 März legt die Regierung von Barack Obama Berufung ein. Im Februar 2015 sitzt der Autor des Buches Guantanamo Tagebuch immer noch in derselben Zelle, in der viele der in dem Buch berichteten Ereignisse sich abspielen.

Das Buch ist schwer zu besprechen und es kommt in dem Rezensenten die Ahnung hoch, dass wir mit dem CIA Geheimbericht des US-Senats und nunmehr mit dem Buch des Mauretaniers Mohamedou Ould Slahi eine neue Kategorie von Büchern vor uns haben, die uns auf Grund kräftiger Einschwärzungen das Lesen zum halben Rätselübung machen. In dem Tagebuch des Mauretaniers, das 2005 abschließt, sind es neben der systematischen Streichung aller Namen und identifizierbarer Orte, dann manchmal ganze drei Seiten hintereinander, die in dem Buch dann auch als solche geschwärzte Seiten auftauchen. Es fällt deshalb auch schwer, bei einem Mischbuch zwischen der Fakten-Darstellung eines Gefängnis- und Verhörlebens und den Berichten über die neben der illegalen Verhaftung einhergehende Folter-Kontinuität das Ganze einzuschätzen. Auf jeden Fall ist es ein erschütterndes Buch, das uns den Abgrund, in den Muslime auf der Welt manchmal getrieben werden, wenn sie z.B. dieses Buch lesen, sehr deutlich wird. Der Autor schreibt gewandt und intelligent. Die kulturelle Barriere zwischen der christlichen und der muslimischen Welt behindert die Herangehensweise der Amerikaner an den ganzen Komplex immer noch beträchtlich. Amerikaner tendieren dazu, den Kreis der Verdächtigen auszuweiten, um die größtmögliche Anzahl von Muslimen zu erreichen. Sie reden ständig von der gewaltigen Verschwörung gegen Amerika. „Man forderte mich auf, auch noch das kleinste Detail über die islamischen Bewegungen anzuführen, egal wie nebensächlich es war“.

Das, so der Autor, sei schon erstaunlich in einem Land wie den USA, wo christliche Terrororganisationen wie die Nazis und die Vertreter der White Supremacy sämtliche Freiheiten genießen.

Das Buch wirkt wie die in ein Tagebuch gegossene Sachbuchvariation des Prozesses von Franz Kafka. Jemand musste Mohamedou Ould Slahi verleumdet haben, denn ohne dass er sich irgendeiner Schuld bewußt war, wurde er eines Tages verhaftet“. Die Kapitel beschreiben den Weg der Konsequenzen dieser Verleumdung. Es beginnt am 21. Januar 2000 im Senegal, von wo er sich schon unter Aufsicht der mit dem CIA und FBI kooperierenden Geheimdienste dort wie danach in Mauretanien befindet. Dann kommt er nach Mauretanien, wird freigelassen, aber im nächsten Monat wird er wieder vom mauretanischen DSE auf Grund einer Order von Washington festgenommen. Er wird (so das dritte Kapitel) in einem kleinen Flugzeug gefesselt und ohne jedes Verfahren nach Jordanien geflogen zum Verhör. Von Dort wird er auch nach Bagram in die Folterenklave des US-Militärs in Afghanistan geflogen und ab Februar 2003 sitzt er in Guantanamo oder, wie es manchmal in dem Buch heißt: in Kuba ein. Es sind erschütternde Tagebuchberichte, die den Leser nicht entlassen nach der Lektüre. In einen solchen Unrechtszusammenhang einmal zu geraten muss die Hölle sein. Immer wieder wird er in den Kälteraum hineingebracht, um seinen Willen zu brechen und zu erreichen, dass er kooperiere und weiter Informationen freigebe. Die Foltergangster wissen, dass er schuldig ist, er soll es nur noch zugeben und weitere Informationen freigeben. „Die Vernehmungsbeamten stellten die Klimaanlage so weit es geht herunter, sie wollten O Grad Celsius erreichen, aber offensichtlich waren diese Apparate nicht dafür ausgelegt, Menschen erfrieren zu lassen.“ In dem Kälteraum wurden Temperaturen bis 49 Grad Fahrenheit heruntergelassen. Das sind minus 9,4 Grad Celsius Das ist sehr kalt, „vor allem für jemanden, der sich ohne Unterwäsche und in einer sehr dünnen Uniform über zwölf Stunden in dieser Temperatur aufhalten muss und der auch noch aus einem heißen Land kommt“. Ein Mensch aus Saudi Arabien kann nicht so viel Kälte aushalten wie jemand aus Schweden.

Das Buch ist natürlich nicht mit normalen Rezensionskriterien zu beurteilen. Es wurde im Gefängnis geschrieben, unter entwürdigenden Bedingungen, von Jemandem, der nach Franz Kafka verleumdet worden war. Aber von einem ganzen System. Es ist mir schleierhaft, wie diese US-Geheimdienstwelt mit diesem System von unmenschlichen Folterwerkstätten, das sich einen Haufen korrupter und weniger korrupter Regierungen und Länder zu Mitarbeitern gefügig gemacht hat, noch zur sog. freien Welt und ihren höchst und viel beschworenen Werten gehören soll. Wo man in dem Buch aus Entsetzen vor so viel Grausamkeit und selbstgerechter Brutalität innehält, wird einem ganz schlecht. Er beschreibt, wie er zwischen zwei Vernehmern sitzt, die ihn beide vornehmen wollen. Ein Amerikaner und ein Ägypter verhandeln, wer mich jetzt wirklich kriegen sollte. „Ich kam mir vor wie jemand, an dem eine Autopsie vorgenommen werden soll, während er noch lebendig, allerdings vollkommen hilflos ist“. Es ist die Phase, da Slahi schon so erschöpft und ausgelaugt ist von den Folterverhören, dass er den Vernehmern sagt: „Ich kooperiere“. Er kommt dann in ein weit abgelegenes Geheimgefängnis. „Du hast mir ungeheuer viel zu schaffen gemacht, okay schön, Paris war nicht ganz schlecht, aber das Wetter in Mauretanien war entsetzlich.“ Er wird wieder gefragt: „Wer hat dich für al Qaida angeworben?“ Und weiter sagt der Vernehmer: „Du weißt ja, Du gehörst zu einer Organisation, die die freie Welt vom Angesicht der Erde wegputzen will“. Darauf kommt eine der zentralen Stellen des Buches, der Autor, der auch dieses Jahr und heute noch in Guantanamo einsitzt, sagt: „Ich hörte aufmerksam zu und fragte mich: WIE BITTE, FREIE WELT?“

Man kann das Buch nicht einfach lesen, weil es auch mühselig zu lesen und zu verstehen ist, der Herausgeber kommt in den über 450 Seiten auch mal dem CIA auf die Schliche, wenn der Zensurbeamte die Streichung eines Namen oder Ortes vergessen hat. Die zehn Seiten von 372 bis 381 sind total geschwärzt. Man erfährt auf ganz unaufdringliche Weise, wie diese Menschen, wie dieser wahrscheinlich unbescholtene Mohammedou Ould Slahi tief gläubig ist und immer seine Gebete verrichten will, im Flugzeug, in der Folterzelle, in dem Kälteraum, in der Verhörzelle in Amman und Bagram. In den Geheimlagern war der Krieg gegen die islamische Religion mehr als offensichtlich. Zwischendurch, wenn dem Gefangenen der Kopf nicht mehr richtig steht, fragt er sich, abgeschnitten von den Himmelsrichtungen und der Sonne, wo denn die Richtung (Qibla) nach Mekka geht? Es war alles verboten. Es gab nicht nur keine Hinweise auf die Richtung, in der Mekka liegt, sondern die rituellen Gebete waren ihm verboten. „Es war verboten, den Koran zu zitieren. Es war verboten den Koran zu besitzen. Fasten war verboten, praktisch jedes mit dem Islam zusammenhängende Ritual war streng verboten“. Manchmal bricht es aus dem Gefangenen heraus, wenn er einen Vernehmer vor sich hat oder einen Folterknecht. Er habe noch nie ein derart emotionsloses Wesen gesehen. Diese und andere Stellen erinnert mich an die Lektüre des Buches von Jean Amery über die Folter. Er redete über meinen Schlafentzug ohne jede innere Bewegung. Wir seien als Menschen doch alle so veranlagt, das wir uns schlecht fühlen, wenn ein anderer Mensch leidet. „Ich bin so veranlagt, dass ich gar nicht anders als in Tränen ausbrechen kann“.

Er beschreibt, weil er in der Zelle dann in Guantanamo ganz viel Zeit hat, sehr viele Einzelheiten seines Lebens und seiner Zeit in mehreren Kontinenten: Das Buch verändert jemanden, der sein ganzes Leben in einem gewissen Vertrauen auf westliche Länder gelebt und gearbeitet hat. Die Lektüre verändert mich. Ich weiß noch nicht, wieweit?!

Mohamedou Ould Slahi: Das Guantanamo Tagebuch. Tropen Sachbuch Stuttgart 2015 459 Seiten