Dienstag, 19.11.2002
Berlin - Die Deutschen kehren sich zunehmend von grundlegenden Werten einer liberalen Gesellschaft ab. Das geht aus der Studie "Deutsche Zustände" des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung hervor. In der Einstellung der Deutschen gegenüber Muslimen u.a. ist ein "Klima der Vergiftung" festzustellen, sagte der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bezeichnete die Gesellschaftsstudie als "Dokument der Selbstaufklärung der deutschen Gesellschaft".
Laut der repräsentativen Umfrage unter mehr als 2700 Bundesbürgern sind 55 Prozent der Deutschen der Auffassung, dass es zu viele Ausländer in Deutschland gebe. 28 Prozent plädieren dafür, dass Ausländer zurück in ihre Heimat geschickt werden, wenn Arbeitsplätze knapp werden.
71 Prozent der Befragten teilten die Ansicht, dass Muslime in Deutschland nicht nach ihren Glaubensgesetzen leben sollten. Für 53 Prozent sind Moscheen ein Zeichen dafür, dass der Islam seine Macht vergrößern wolle. Heitmeyer sagte, die Vorurteile gegenüber dem Islam zögen sich durch alle Bildungsschichten.Überraschenderweise seien Frauen deutlich fremdenfeindlicher eingestellt als Männer. Außerdem nehmen Vorurteile gegenüber Muslimen auch bei zunehmendem Bildungsgrad der Befragten nicht ab. Ein Drittel der Bevölkerung stört, dass wieder mehr Juden in Deutschland leben.
Thierse nannte die Ergebnisse "ernüchternd und aufschreckend". Politiker und Journalisten hätten eine "unaufgebbare Verantwortung dafür, wie über solche gefährdeten Minderheiten geredet wird". Erschreckend sei das Beispiel der Zuwanderungsdebatte: "Wer hier Ausländer nur als Problem oder Sicherheitsrisiko behandelt, bestätigt feindselige Mentalitäten", sagte Thierse.