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Samstag, 27.12.2014


Aiman Mazyek auf der Demo für eine "Weltoffenes Deutschland" in Dresden

Pluralität platt machen

Müssen wir nun Toleranz für Islamfeindlichkeit und geistige Brandstifter aufbringen und ist PEGIDA das deutsche Gegenstück des IS? Von Mohammed Khallouk

Die in Dresden begonnenen, nun aber quer durch die Bundesrepublik Deutschland ziehenden islamfeindlichen Demonstranten, die sich “Patriotische Europäer Gegen die Islamisierung des Abendlandes” (kurz: PEGIDA) nennen, zeigen, in welchem Ausmaß sich in der deutschen Bevölkerung Ressentiments, aber auch Unkenntnis über den Islam festgesetzt haben. Besonders auffällig erscheint dabei die Tatsache, dass die fast panikartige Angst vor dem Islam ausgerechnet in den Regionen am verbreitetesten ist, wo kaum Muslime vorhanden sind. Es handelt sich offensichtlich um Bürger, die fast ausschließlich aus den Medien ihr Bild von Muslimen und ihrer Religion gezeichnet bekommen.

Politik und Medien sind verantwortlich


Verantwortung für ihre realitätsfremden Assoziationen sind folglich Journalisten und Politiker, die den Anspruch erheben, die Allgemeinheit über den Islam aufzuklären, aber auch diejenigen Muslime, die in den deutschen Medien häufig auftreten. Je weiter deren Ansichten und inhaltliche Ausgestaltung der Islamdebatte von der Lebenswelt der Muslime in Deutschland entfernt sind, desto weiter entfernt sich auch das Islambild ihrer Rezipienten davon. Sind die vorurteilsgeladenen Demonstranten in Dresden und anderenorts in diesem Land nicht ebenso Opfer von Desinformation wie die muslimischen Jugendlichen, die, angezogen von Internetpropaganda, aus westlichen Staaten nach Syrien oder Irak fliegen, um für den IS in den “Heiligen Krieg” zu ziehen? Bezeichnenderweise ist die Unterstützung für das selbsternannte “Kalifat” außerhalb dessen Grenzen mindestens ebenso groß – wenn nicht größer als innerhalb. Muslimische wie nichtmuslimische Autoritäten in Deutschland präsentieren den Heranwachsenden offensichtlich einen Islam, mit dem diese sich nicht identifizieren und deshalb im IS nach Ersatz suchen.

Islamkritiker liefern die Stichworte


In dieser Hinsicht bestehen in der Tat Gemeinsamkeiten zwischen den islamisch gerechtfertigten Extremisten des IS und den deutschen Islamfeinden der PEGIDA. Die Attraktivität haben beide nicht zuletzt dem Islamdiskurs in der deutschen und westlichen Medienöffentlichkeit zu verdanken. Entweder dominierten hierbei sogenannte Islamkritiker mit Randphänomenen wie Zwangsehen, Ehrenmorden und islamisch gerechtfertigter Gewalt oder selbsternannte muslimische Modernisierer präsentieren sich mit dem verzweifelten Bestreben, den Islam mit dem Liberalitätsverständnis der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft in Kompatibilität zu bringen. Die Reaktion des Publikums konnte nur auf die beiden Extreme hinauslaufen, entweder wie PEGIDA den Islam generell als “unmodern” und “bedrohlich” wahrzunehmen, oder wie die IS-Anhänger sich geradezu jenen Randphänomenen zuzuwenden und einen “authentischen” Islam anzustreben, der exakt den Zuschreibungen der Islamkritiker entspricht. Politiker und Intellektuelle, die sich heute über Kulturalismus und Islamfeindlichkeit beklagen, haben vielfach gestern die Stichworte für eine Entwicklung in diese Richtung geliefert. Aber auch muslimische Verantwortungsträger in Deutschland haben den Islam in einer Weise präsentiert, dass sich Jugendliche mit ihren Anliegen ignoriert und unverstanden fühlen. Wenn Papst Franziskus von katholischen Priestern verlangt, sich verstärkt den Problemen der Katholiken im 21. Jahrhundert zuzuwenden, sollten sich islamische Theologen und Imame ebenfalls aufgefordert sehen, sich einerseits auf die Anliegen der muslimischen Majorität der Gegenwart einzulassen. Andererseits gilt es, der nichtmuslimischen Umgebung einen Islam zu präsentieren, der zwar nicht unbedingt das Etikett “modern” nach außen trägt, der jedoch traditionelle Werte in zeitgemäßer Weise zu verkörpern in der Lage ist.

Kulturpluralismus bleibt attraktiv

Mag es PEGIDA momentan gelingen, mit ihren Massendemonstrationen den Eindruck zu erwecken, den Kulturpluralismus in Deutschland in gleicher Weise zerstören zu können wie der IS aktuell den Jahrhunderte alten religiösen Pluralismus in Irak und Syrien. Die Tatsache, dass in Großstädten mit überdurchschnittlich hohem Muslimanteil die Anzahl der Gegendemonstranten die PEGIDA-Sympathisanten stets deutlich übertrifft, belegt, die Mehrheit der Deutschen, die Muslime in ihrem Alltag erleben, erkennt sie als Teil ihrer Gesellschaft und Bereicherung an. Sofern Politik und Medien ebenfalls die muslimische Majorität in Deutschland und ihr reales Leben zum Thema erheben, sind sie in der Lage, anderenorts gleichermaßen Berührungsängste vor Muslimen abzubauen und PEGIDA den Wind aus den Segeln zu nehmen. Muslimische Jugendliche in Deutschland fühlen sich zugleich von den hiesigen Autoritäten verstanden und ernstgenommen. Ihre deutsche Identität wird damit gestärkt und für eine Ersatzidentität im IS – Kalifat findet sich kein Bedarf mehr. Da für das Erstarken radikaler Islamisten nicht allein der Westen, sondern ebenso regionale geopolitische Ursachen verantwortlich sind, kann der IS nicht pauschal als vorderasiatisches Gegenstück zur PEGIDA eingestuft werden. Eliten in Deutschland und Europa mit Zugang zur Öffentlichkeit besitzen jedoch die Verpflichtung, Bewegungen wie dem IS und PEGIDA gleichermaßen die Anziehungskraft zu entziehen.

Prof. Mohammed Khallouk lehrt am College of Sharia der Qatar University in Doha.