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Montag, 20.10.2014
Ressentimentgeladene Diskussion über Salafismus lenkt ab, dass der Islam zum gegenwärtigen Zeitpunkt dem Juden- und Christentum weder rechtlich gleichgestellt noch im Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft gleichwertig ist - Von Prof. Mohammed Khallouk
Das Bekanntwerden aus Deutschland stammender Jugendlicher, die in Syrien oder Irak für den IS kämpfen, hatte bereits die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Seit auch Medienberichte von der Wuppertaler Innenstadt auftauchten, wonach selbsternannte “Sharia-Polizisten” in Uniform Fußgänger belästigen würden, bestimmt die Debatte über das “Problem Salafismus” den öffentlichen Diskurs über Muslime in Deutschland. Innenpolitiker beider Volksparteien suchen sich seither mit “Maßnahmenpaketen” gegenseitig zu übertreffen, wie der Hinwendung muslimischer Jugendlicher zu “Salafisten” entgegengewirkt werden könne.
Krauselige Ziegenbärte gelten neuerdings in gleichem Maße als Markenzeichen für islamischen Extremismus wie Springerstiefel und kurzgeschorene Haare für Rechtsextremismus. Dabei gerät vollständig außer Acht, dass der Begriff “as-salafiyya”, auf den die eingedeutsche Bezeichnung “Salafismus” zurückgeht, in der islamischen Terminologie eine Ehrenbezeichnung darstellt und eine viel ältere Tradition besitzt als jegliche innerislamischen Bewegungen, die neuerdings in Deutschland und Europa die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Wörtlich übersetzt handelt es sich um die “Orientierung an den Altvorderen”, gemeint sind der Prophet Mohammed und seine unmittelbaren Weggefährten. Es handelt sich folglich um Autoritäten, an denen sich jeder Muslim ethisch ausrichten sollte. Wie diese Nachahmung der Altvorderen in der neuzeitlichen Alltagspraxis realisiert werden kann, darüber bestehen selbstverständlich innerhalb der islamischen Gelehrtenszene unterschiedliche Auffassungen.
Diejenigen, die sich die Selbstbezeichnung “Salafisten” zubilligen, sind gewöhnlich getragen von dem Bewusstsein, die Werte der islamischen Frühzeit in noch höherem Masse als andere Muslime verinnerlicht zu haben. Weder geht damit notwendigerweise der Versuch einher, den Lebensstil des Siebenten Jahrhunderts wiederherzustellen, noch die Abqualifizierung Anderesdenkender - Muslime wie Nichtmuslime - als Ungläubige. Ein gewaltbereiter Extremismus, der Zwangsmissionierung für gerechtfertigt erachtet, ist erst recht nicht damit verbunden. Schließlich stünde dieser den angestrebten Werten der Altvorderen eindeutig entgegen.
Dessen ungeachtet existieren auch gewaltbereite Extremisten, die ihre Intoleranz mit dem Islam zu legitimieren suchen und darüber hinaus sich die Selbstbezeichnung “Salafisten” zugestehen. Indem die Öffentlichkeit “Salafismus” jedoch als Synonym für islamisch gerechtfertigte Gewalt und den Prinzipien des deutschen Grundgesetzes entgegenstehende Auffassungen darstellt, erreicht sie gerade nicht eine Distanzierung muslimischer Jugendlicher von Extremismus. Stattdessen wird besonders bei denjenigen, die sich der as-salafiyya zugehörig fühlen, eine religiöse Identität in Abgrenzung zur deutschen Mehrheitsgesellschaft gefördert. Diese Abgrenzungsidentität kristallisiert sich geradzu als Nährboden für gewaltbereiten Extremismus, zumindest aber für den Rückzug in Parallelgesellschaften heraus.
Mit der oberflächlichen, ressentimentgeladenen Phantomdebatte über Salafismus wird augenscheinlich von der Tatsache abgelenkt, dass der Islam, obwohl bereits seit Jahrzehnten drittgrößte Konfession in diesem Land, bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt dem Juden- und Christentum weder rechtlich gleichgestellt noch im Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft gleichwertig ist. Ebenso gerät aus dem Blickfeld, dass Jugendliche, die in Deutschland aufwachsen und die Schule besuchen, aufgrund ihrer als “unmodern” oder gar “reaktionär” empfundenen Religiosität zumindest subjektiv Diskriminierungen erfahren müssen.
Aufgabe der gesellschaftlichen Autoritäten in Deutschland sollte nicht länger darin gesehen werden, ein neues Angstbild “Salafist” zu konstruieren, sondern Konzepte zu entwickeln, wie Teenager muslimischen Glaubens und mit konservativem Wertebewusstsein zu demokratischem Gemeinsinn motiviert werden können. Hierzu bedarf es zum einen muslimische Gemeinden, die über die Möglichkeiten verfügen, sich den Anliegen der von Schule und Elternhaus missverstandenen und häufig in den Alltagsproblemen allein gelassenen Jugendlichen verstärkt zuzuwenden. Zum anderen benötigt es politische und mediale Verantwortungsträger, die sich dafür einsetzen, dass muslimische Werteverbundenheit für Deutschland als Bereicherung angesehen wird. Auf diese Weise wird die Suche nach extremistischen Ersatzautoritäten unter muslimischen Jugendlichen in Deutschland ein zu vernachlässigendes Randphänomen bleiben.
Prof. Mohammed Khallouk lehrt am College of Sharia and Islamic Studies der Qatar University