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Mittwoch, 08.10.2014


Ruprecht Polens war lange Zeit Bundesabgeordneter der CDU. Derzeit politischer Pensionär und weitterhin mit messerscharfer Auffassungsgabe in der Erörterung politischer Konflikte

Kobane, ISIS-Terror und Assad-Regime: Schuld hat am Ende immer die Türkei

Die westliche und arabische Welt versagen in Syrien, jetzt in Irak und ebenso im Kampf gegen ISIS in Kobane auf ganzer Linie. Dennoch soll am Ende Türkei, die einen Großteil der syrischen Flüchtlinge aufgenommen hat, wieder Schuld sein. Ruprecht Polens über eine merkwürdige Sichtweise hierzulande

Es ist schrecklich, dass dem ISIS-Terror jetzt auch Kobane zum Opfer fällt. Aber es ist falsch, dafür primär die Türkei verantwortlich zu machen.

1. Ist die Entstehung von ISIS von Assad begünstigt worden - zur Bekämpfung der moderaten Opposition gegen ihn und als Argument gegenüber der Welt, ihn als einzige Alternative für Syrien . Wie geplant hat ISIS von Anfang an die moderate Opposition gegen Assad bekämpft. Erst später hat ISIS sich auch gegen die Truppen des Assad-Regimes gewandt (Zauberlehrling-Effekt).

2. Haben sich die Kurden im Norden Syriens dem nationalen Widerstand gegen Assad lange nicht angeschlossen. Teile der kurdischen PYK haben die Opposition sogar an der Seite Assads bekämpft.

3. Hatte die Türkei erst mit Assad gebrochen, als dieser sich jeglicher Reform verweigerte und mit zunehmender Brutalität gegen die Opposition vorging: Bombardierung von Wohnvierteln, Einsatz chemischer Waffen. (Zuvor hatte die Türkei das jahrzehntelang ua. wegen Wasser- und Grenzstreitigkeiten sehr spannungsreiche Verhältnis zu Syrien soweit verbessert, dass sogar die Visumspflicht abgeschafft worden war und Syrien die Türkei als Vermittler gegenüber Israel akzeptiert hatte - wie umgekehrt Israel auch).

4. War es ein Fehler der Türkei, nicht nur die Freie Syrische Armee und moderate Oppositionsgruppen gegen Assad zu unterstützen, sondern praktisch jeden, der gegen Assad kämpfen wollte. Inzwischen hat die Türkei diese Politik korrigiert.

5. Bekam ISIS am Anfang finanzielle und sonstige Unterstützung aus arabischen Ländern und wohl auch aus der Türkei. Inzwischen ist ISIS dank der von der Terrororganisation kontrollierten Gebiete und ihrer Ressourcen finanziell autark und verfügt über große Mittel. Die militärischen Fähigkeiten (Personen und Waffen) stammen zu einem Großteil aus der irakischen Armee Saddam Husseins.

6. Ist der UN-Sicherheitsrat nach wie vor durch Russland blockiert, das an Assad festhält und neben dem Iran sein wichtigster Verbündeter ist.

7. Haben wegen dieser Gemengelage weder die USA noch die Europäer in den vergangenen drei Jahren in Syrien direkt eingegriffen, obwohl inzwischen mehr als 150.000 Tote zu beklagen sind, Millionen Syrer in Nachbarländer geflohen oder innerhalb Syriens auf der Flucht sind, Städte wie Homs und Aleppo zerstört wurden.

8. Hat die Türkei mehr als eine Million (!) Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen - darunter auch tausende Kurden - und bisher mehr als 4 Milliarden USD aufgewandt.

9. Irritiert mich, wie selbstgewiss die Türkei aufgefordert wird, in Syrien einzumarschieren und den Kurden im Norden Syriens zu helfen. Oft von denselben Kommentatoren, die sich sehr kritisch gegen die amerikanischen Luftangriffe auf Stellungen der ISIS in Syrien geäußert haben. Ohne ein Konzept mindestens für den Norden Syriens (Flugverbotszone international überwacht und durchgesetzt, Schutzzonen für Flüchtlinge international eingerichtet und überwacht) macht mE ein isolierter Einsatz von Bodentruppen durch die Türkei (die anderen NATO-Partner wissen, warum sie keine Bodentruppen in Syrien einsetzen wollen) keinen Sinn. Ohne ein solches Konzept würde die Türkei sehr bald als Besatzer syrischen/kurdischen Territoriums kritisiert und angegriffen.