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Freitag, 25.07.2014

ZMD zu den Demonstrationen gegen die Kriegspolitik Israels, Verurteilung von Antisemitismus und die Istrumentalsierung des Nahostkonfliktes durch Radikale

Aus aktuellem Anlass lichten wir ein n-tv-Interview mit den Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland hier vollstädig ab

n-tv.de: Auf Demonstrationen in Deutschland ertönten antisemitische Parolen. Heute ist Al-Kuds-Tag und es ist mit weiteren Ausfällen zur rechnen. Zurzeit entsteht der Eindruck, dass vor allem Muslime die Grenzen der legitimen Israel-Kritik überschreiten. Ist das wirklich so?

Aiman A. Mazyek: Das kann ich nicht bestätigen. Ich kann eher bestätigen, dass eine kleine Gruppe versucht, die Situation für sich zu instrumentalisieren. Den Al-Kuds-Tag begeht die große Mehrheit der Muslime überhaupt nicht. Und was die Demonstrationen der vergangenen Wochen betrifft: Der überwiegende Teil der Menschen hat dabei von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht und das seit Wochen andauernde israelische Bombardement, das vor allem die Zivilbevölkerung trifft, verurteilt. Allerdings haben sich Radikale unter die die Demonstranten gemischt. Sie haben versucht, die friedlichen Demonstrationen zu kidnappen, sie zu instrumentalisieren - mit rassistischen und antisemitischen Hassparolen.

Wer sind diese Radikalen?


Die kommen aus ganz unterschiedlichen Spektren. Das ist ja auch nichts Neues. Wir erleben das ja immer wieder in anderen Kontexten.

Bei der pro-palästinensischen Demonstration auf dem Kurfürstendamm riefen einige Demonstranten "Allahu Akbar", dann "Jude Jude, feiges Schwein, komm' heraus und kämpf' allein".


Wenn man die Menschen, die dort waren fragt, sagen die meisten bestimmt nicht, dass es eine pro-palästinensische Demo war. Sie demonstrieren gegen den Krieg und die Gewalt gegen Zivilisten und unschuldige Menschen. Sie demonstrieren für Frieden. Diese Menschen machen den allergrößten Teil aus. Wir sagen ganz klar: Kritik am brutalen Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen muss erlaubt sein. Aber antisemitische Parolen und Judenhass haben in unseren Reihen nichts verloren. So eine Trennschärfe fordern wir aber auch beim Blick auf Muslime und im öffentlichen Diskurs. Die Devise heißt: genauer hinschauen und auch hier nicht fälschlicherweise verallgemeinern.

Antisemitismus ist unter Muslimen also nicht stärker verbreitet als unter Nicht-Muslimen?


Wir haben in Deutschland leider immer noch einen latenten Antisemitismus, der nicht abnimmt. Der ist aber keine Frage der Religionszugehörigkeit. Warum sollte ausgerechnet der Islam hier eine besondere Rolle spielen? Der Islam ist antirassistisch, der Koran ruft ausdrücklich auf zum Gespräch mit Juden und Christen. Die Religion verurteilt jede Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Der Islam wirkt also mäßigend und ausgleichend.

Ein Grund für die jüngste Debatte über Antisemitismus in Deutschland ist, dass ein muslimischer Prediger in einer Neuköllner Moschee zum Judenmord aufgerufen hat. Ein Video davon kursiert im Internet.


Meines Wissens laufen gegen ihn jetzt Strafverfahren. Der Prediger stellt sich mit diesen Aussagen in Widerspruch zur eigenen Religion. Ich schämte mich jedenfalls für ihn, als ich dies vor Tagen zum ersten Mal sah.

Was kann man tun, um solche Ereignisse zu verhindern?


In Deutschland gibt es viele Menschen, die unmittelbar durch den Nahostkonflikt betroffen sind. Es gibt zum Beispiel Palästinenser, die Angehörige verloren haben. Die dürfen wir jetzt nicht alleine lassen. Wir müssen sie mitnehmen. Und dabei müssen wir immer wieder klarmachen, wo die Grenzen der Kritik liegen. Das können die Religionsgemeinschaften. Aber auch die Politik und die Medien können etwas tun, indem klarer unterschieden wird zwischen Kritik am Vorgehen Israels auf der einen Seite und dem Judentum, was damit nichts zu tun haben darf. Diese differenzierten Kräfte gilt es zu stärken, sonst laufen wir Gefahr, dass die Hardliner siegen und die große friedliche Mehrheit, die ausgleichend wirken und die Menschen auffangen kann, untergeht.

Es reicht also nicht, jetzt vor allem auf die Religionsgemeinschaften zu setzen.
Wenn fälschlicherweise Menschen muslimischen Glaubens oder arabische Nationalisten Judenhass verbreiten, sind wir alle gefragt, dem Einhalt zu gebieten. Dann ist das nicht nur eine Frage der muslimischen Religionsgemeinschaft. Rassismus und Antisemitismus sind immer ein gesamtgesellschaftliches Problem. Seit Jahren beklagen wir ja auch einen wachsenden antimuslimischen Rassismus. Auch da reicht es nicht, wenn man pauschal sagt: Daran sind "die Deutschen" schuld, deshalb müssen "die Deutschen" etwa tun.

Zum Stichwort "gesamtgesellschaftliches Problem" scheint eine These zu passen, die derzeit oft bemüht wird: Ist Antisemitismus unter Muslimen ein Zeichen fehlgeschlagener Integration?

Das ist eine sehr steile These. Damit instrumentalisieren doch vor allem Integrationsskeptiker die Debatte, indem sie versuchen, Dinge zu verbinden, die nicht zu verbinden sind. Ein Stück weit sehe ich das aber auch als einen Versuch, von den eigenen Problemen abzulenken. Wenn ein latenter Antisemitismus, den wir in Deutschland in der Gesellschaft weiterhin haben, jetzt in einen muslimischen Antisemitismus umgedeutet wird, ist das doch auch ein Versuch, sich zu entlasten und den jüngsten Nahost-Krieg hierfür zu instrumentalisieren.

Ist es in hitzigen Tagen wie diesen eigentlich besonders schwer, Zentralrat der Muslime zu sein?


Ja. In solchen Krisen bekommen wir viele Hassmails. Und zwar von allen Seiten. Es gibt Muslime, die sagen: "Ihr Heuchler, setzt euch nicht genug für die Unterdrückten ein." Und unterstellen uns allerlei Unsinn. Und es gibt aber vor allem rechte Gesinnungsgenossen, die uns schreiben: "Raus aus Deutschland, vergast die Muslime" und so tun, als würde es ihnen um die Verteidigung der Juden gehen.Mit Aiman A. Mazyek sprach Issio Ehrich

Quelle: n-tv.de, hier im Original