Nach seinen Reflexionen über Jamal al-Din al-Afghani in dem wichtigen Buch über Islamische Philosophie und die Gegenwartsprobleme der Muslime (2012) hat Muhammad Sameer Murtaza mit einer weiteren philosophischen Schrift nachgelegt.
Doch auch hier geht es ihm vorrangig um eine Einführung in seine Religion, den (sunnitischen) Islam. Das Buch enthält denn auch nicht weniger als 152 Qur`an-Zitate. Mit ihnen führt er „von der Fraglichkeit der Welt zur Frage nach Gott“, ganz im Geiste der Aussage al-Afghanis, wonach es sinnlos ist, daß wir uns von dem Joch des Rückstandes und Niedergangs zu befreien suchen, wenn wir unseren Fortschritt nicht auf unserer Religion und dem Koran aufbauen (S. 10).
Darin sieht der Autor einen Aufruf, sich von mehr als 1.000-jähriger islamischer Exegese-, Theologie- und Rechtsgeschichte zu emanzipieren, ohne in eine Barmherzigkeitstheologie oder bloße Spekulationen abzustürzen; denn dann wäre es ja gleichgültig, ob man Harry Potter oder den Qur`an liest (s. 86). (Dabei denkt Murtaza - wie so oft in diesem Buch - gewiß an Mouhanad Khorchide, an dem er sich gerne reibt und dabei der Verniedlichung Gottes durch ein panentheistisches Bild von Ihm bezichtigt.) Auch mit Lamya Kaddor rechnet er so ab (S. 73, 81).
Allerdings schildert der Autor selbst - al-Dschunaid, Rabi´a al-Adawiyya und Dhu´n-Nun zitierend - Gott als den Liebevollen (S. 72, 74).
Im folgenden Kapitel über „Raum und Zeit“, das unser Denken an seine Grenzen führt, läßt Murtaza bei Erörterung des physikalischen Raums, der linearen Zeit und der Wo Zeit erhebliche naturwissenschaftliche Kenntnisse aufblitzen. Daher sieht er auch die Gefahr, Gott zu einem „kosmischen Lückenbüßer“ verkommen zu lassen (S. 88). „Wie kann einer, dem eine Zeit gesetzt ist, den erfassen, der keine zeitliche Grenze hat ?“, entgegnet er (S. 101).
Murtaza sieht zwar die Vorzüge einer so begründeten „intellektuell demütigen Theologie des Schweigens“ (S. 96), hält es aber für schwer, sie zu praktizieren. Bemerkenswert ist Murtaza`s Einsicht, daß die Vorstellung eines totalen Determinismus nicht nur Unfreiheit des Menschen, sondern auch Gottes bedeutet (S. 110). Das Problem der Vorherbestimmung glaubt Murtaza zu lösen, indem er unterstellt, daß Gott zwar alle Wahlmöglichkeiten hat, die Auswahl daraus aber nicht bestimmt (S. 111). Doch nimmt er dies auf der folgenden Seite wieder zurückt. Dort liest man: „Der Mensch hat eine Entscheidungsfreiheit in den von Gott geschaffenen Wahlmöglichkeiten, doch die Realisierung der Wahl hängt wiederum einzig und allein von Gottes Willen ab...“ (S. 112).
Islam. Eine philosophische Einführung und mehr... Von Muhammad Sameer Murtaza. Books on Demand, Norderstedt, 2014. Pp. 244 broschürt. ISBN 978-3-7322-9828-0