Sonntag, 07.07.2002
Im Namen des einen Gottes
Zur Stellungnahme einer Gruppe von Muslimen zur Islamischen Charta
Zur Kernaussage der Stellungnahme,
-Akzeptanz für die Demokratie-
Liebe Schwester und Bruder im Islam,
Kürzlich erschien eine Stellungnahme zur Islamischen Charta, auf die ich hier eingehe und möchte euch bitten, auch euch in dieser Debatte einzubringen. Denn das Thema ist für unser öffentliches Leben von immenser Wichtigkeit.
Wie ihr wisst, wurde am 20. Februar dieses Jahres mit dem Islamischen Charta seitens des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), einer der größten Dachorganisationen der islamischen Gemeinden des Landes, auf die offene Frage der Beziehung zwischen dem säkularen Staat und ihren muslimischen Bürgern geantwortet.
Auf dieser Charta, der Selbstverpflichtung hiesiger Muslime gegenüber dem deutschen Staat, sind zahlreiche Reaktionen gefolgt. Die obengenannte Stellungnahme, die mit dem 10. Juni datiert und anonym erschienen ist, wirft Fragen aus islamischer Sicht auf und beinhaltet Unterstellungen gegenüber dem ZMD, die nicht unbeantwortet bleiben dürfen.
Ich nehme diesen Anlass wahr, und benutze die Gelegenheit, auf die in der Öffentlichkeit nicht genügend behandelte Frage einzugehen.
Hamid Beheschti
Berlin, den 1.Juli.2002
1. Die Tatsache, dass Ihr Euch zur Islamischen Charta geäußert und somit an der Meinungsbildung teilgenommen habt, ist positiv zu bewerten,
2. Die Art jedoch, wie Ihr in Eurer Stellungnahme den moralischen Zeigefinger gehoben und den ZMD der Unaufrichtigkeit bezichtigt habt, ist erschreckend und erinnert mich daran, wie 1925 in Ägypten mit dem islamischen Gelehrten, Abdurrazzagh umgegangen wurde oder mit Abu-Seid wieder im Ägypten vor ein paar Jahren.
3. Ihr lehnt die Demokratie ab, weil sie nach Eurer Auffassung im diametralen Widerspruch zu den Geboten des Korans steht.
Ihr schaut gleichzeitig daran vorbei, dass in Saudi-Arabien, in Jordanien oder Syrien die Frage der Bestimmung der politischen Macht in dynastischer Form gelöst wird und wo man auch hinschaut, die Gesellschaften in den islamisch geprägten Ländern sich zumeist nur wenig in den ihnen betreffenden wichtigen Entscheidungen einmischen dürfen. Dies stört Euch anscheinend nicht. Nur dass der ZMD sich zu dieser Frage mit Verständnis für die Demokratie geäußert hat, war für Euch Grund genug, Euer islamisches Bewusstsein zu aktivieren.
Es ist nur verständlich, wenn Muslime mit ihren neueren Erfahrungen mit der Demokratie in der Türkei und auch im Algerien, sie ablehnen. Natürlich ist die laizistische Demokratie, wie sie in der Türkei praktiziert wird, für Muslime nicht annehmbar, weil in dem Moment, wo Muslime mit einer islamischen Partei in der Demokratie die Mehrheit stellen, kommen dann die Kemalisten mit der militärischen Macht und erklären die Wahlen für ungültig. Genauso war es auch im Algerien. Daher muss präzise gesagt werden, was für eine Demokratie bestrebt wird, mit welchen Werten, die dann Gültigkeit haben sollten. Es gilt als selbstverständlich für uns Muslime, dass die prägenden Werte in der Wirtschaft, in der Kultur und in der Politik die Prinzipien des Islam nicht widersprechen dürfen.
4. Die Werte und Prinzipien, die im sozialen und politischen Leben bei uns Muslime Akzeptanz finden sind u.a.:
1. Die Rechtstaatlichkeit. Sowohl die Bürger als auch die politische Macht müssen sich an den Gesetzen halten
2. Die Menschenrechte haben für alle Gültigkeit.
3. Verträge müssen eingehalten werden, sei es zwischen dem Staat und den Bürgern oder unter den Bürgern.
Bei einer wichtigen Frage sind wir Muslime, wenn wir unsere Orientierung aus den islamischen Quellen beziehen, uneinig. Das ist die Frage der Gesetzgebung in der Demokratie. Hier gibt es sich differierende Meinungen, die man jedoch zum größten Teil auf einen Nenner bringen kann. Nimmt die Gesetzgebung auf die in unserer Religion festgelegten Tabus Rücksicht, steht uns nichts im Wege, das demokratisch gewählte Parlament auch als unser Parlament zu betrachten, mit allen sich daraus folgenden Konsequenzen. Das wäre dann der entscheidende Schritt für die Integration von Muslimen im säkularen Staat. Diese Forderung ist selbstverständlich für die Mehrheitsgesellschaft unakzeptabel. Wir können aber davon ausgehen, dass bei manchen strittigen Punkten ein Entgegenkommen leichter fällt. Dies wäre auf jedem Fall ein praktischer Weg zur Integration von Muslimen in diesem Staat.
5. Wegen der Benutzung des Begriffs "Kufr-System" in der genannten Stellungnahme möchte ich auf die problematische Übertragung von solchen historisch geprägten Begriffen in der Zeit des Propheten Mohammad auf unsere Zeit hinweisen. Solche Begriffe sind dafür geeignet, Distanzen herzustellen und sich von anderen abzuwenden. Sie fördern in der heutigen Zeit Feindseeligkeit und Gettoisierung. Wenn man jedoch darauf besteht, auf die zur Zeit des Propheten aktiv benutzten Instrumentarien der Sprache in diesem Zusammenhang zurückzugreifen, müssen zuerst diese historisch geprägten Begriffe, wie "Kufr", in ihrem Kontext verstanden sein. Denn sonst können daraus Missverständnisse entstehen, die dann den religiösen Frieden gefährden würden.