Montag, 22.11.2004
Während noch vor Gefahren durch eine islamische Parallelgesellschaft gewarnt wird,
verüben Nichtmuslime bereits einen Anschlag gegen eine Moschee im Baden-Württembergischen Sinsheim. Hoffen wir, dass dies nicht der Auftakt zu weiteren Eskalationen ist, denn Holland hat gezeigt, ein Spinner reicht aus, um die jeweils definierten Gruppen aufeinander loszuhetzen – und das braucht uns nicht wundern angesichts jahrelanger eskalierender Berichterstattung, die von gegenseitigen Schulduzuweisungen überzeugt ist und niemals etwa das gemeinsame Anliegen der meisten Menschen in den Vordergrund der Öffentlichmachungen stellte. Fehlten dazu die politischen Vorgaben, oder hat man diese überhört? Wohl beides.
Hier und jetzt wirkt die allgemeine Stimmung, die das Allensbacher Institut ebenso ermittelt hat, wie man sie aus dem überwiegenden Teil der Berichterstattung herauslesen kann: ähnlich wie in den 90er Jahren in Rostock, Solingen und Mölln führen wenige das aus, was alle denken. Und die Debatte nach der bedauerlichen Eskalation in den Niederlanden hat hierfür wieder gute Vorlagen geliefert, weil sie einseitig auf die muslimische Seite als Problemfaktor verwies statt das komplexe und äußerst ungünstige Wechselspiel zu fokussieren, in dem wir uns seit Jahren weiter auseinander als aufeinander zu bewegen.
Weder Verschweigen und „Kuscheln“ können hier die Lösung sein, um weitere Eskalation und Polarisierung zu vermeiden, aber ebensowenig einseitige Anschuldigungen, Forderungen und Kriegserklärungen. Wir müssen die Probleme offen angehen und zwar alle Faktoren – d.h. diejenigen, die nach einem leicht zu isolierenden einzigen Faktor suchen, müssen wir von vornherein enttäuschen. So aber von unseren Politikern vorschnell zu hören und von den Medien wie immer schnell und unkritisch verbreitet: Hasspredigtverbot hier, Deutschkurs dort, kleiner bis großer Lauschangriff inklusive - und viele dieser kleinen Fetzen mehr, die sich nicht nur durch Konzeptlosigkeit und mangelnder psychologischer Kenntnis, sondern vor allem dadurch auszeichnen, dass es Forderungen sind.
Interessant in diesem Zusammenhang, dass darunter auch einige Forderungen sind, die muslimische Organisationen immer wieder einmal stellten – etwa die Ausbildung von Imamen in Deutschland, oder die polizeiliche Verfolgung bestimmter Gruppen, die man wegen dem Recht auf freie Meinungsäußerung aber behördlich nicht belangen konnte. Hier wird nicht beklagt, dass man die kooperativen Muslime nicht unterstützt hat, sondern, dass die Muslime sich nicht noch mehr gewehrt haben gegen solche Strömungen. Dies belegt genau das Dilemma in dem wir uns befinden: Forderungen werden von der Mehrheitsgesellschaft an die Muslime gestellt – nur diese eine Diskursrichtung ist legitim und wird gehört. Nicht der Inhalt der Forderungen ist darum problematisch, sondern die hier deutlich werdende Einteilung der Gesellschaft in Muslime und Nichtmuslime, anstatt das gemeinsame Anliegen eines friedlichen und respektvollen Zusammenlebens und der Ausgrenzung von Radikalen welcher Art auch immer zu fördern und fordern. Dies hätte man zeigen und unterstützen können durch eine frühzeitige Kooperation, die auch dazu hätte beitragen können, dass man sich klar über sein eigenes Sein und Wollen wird. Hoffen wir, dass es den Muslimen nicht auch passiert, dass sie uns Nichtmuslime alle als gleich und homogenen Block gegen sich empfinden, so wie es umgekehrt zunehmend passiert. Hier haben Politik und Medien eine besondere Verantwortung.