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Montag, 03.02.2014
Ver-Fassungslos: Die Theologie der Unfreiheit ´anders zu sein´
Staat, Medien und Hochschulen üben immer mehr Druck aus, was in den islamischen Gemeinschaften geglaubt und gedacht werden soll
Um die aktuelle Debatte um Khorchide näher erläutern zu können, soll hier zunächst die verfassungsrechtliche Ausgangslage in Bezug auf die Gründung von theologischen Instituten in Deutschland skizziert werden. Es ist angebracht, an dieser Stelle eine der Akteure dieser Debatte, Frau Prof. Nelles, Rektorin der Universität Münster, zu Wort kommen zu lassen. In einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur äußerte sie hierzu: „Grundsätzlich gilt für die islamische Theologie das Gleiche wie für die christliche: Kirchen beziehungsweise Religionsgemeinschaften einerseits und der Staat andererseits sind in unserem freiheitlichen Gemeinwesen getrennt.
Die Universität als Teil der staatlichen Behörden garantiert die Forschungs- und Lehrfreiheit. Bei den bekenntnisorientierten Studiengängen sind wir aber verpflichtet, die Glaubensfreiheit der Religionsgemeinschaften zu respektieren und deren Mitwirkungsrechte sicherzustellen“ ( http://www.islamische-zeitung.de/?id=17344 )
Die Theologie nimmt somit eine verfassungsmäßig garantierte Sonderstellung ein, die sie von den übrigen Wissenschaftsdisziplinen unterscheidet. Das ist vor allem auch darum wichtig, weil die Theologie die Inhalte des bereits eingeführten Islamischen Religionsunterrichts vorgibt. Die Berufung zur Professur im theologischen Lehrstuhl setzt – wie bei Christen und Juden auch – die Bekenntnis zu der jeweiligen Religion voraus. Das unterscheidet die Theologie somit von der Orientalistik bzw. der Islamwissenschaft, in welcher der Islam als „Gegenstand“ von der Außenperspektive erforscht werden kann. Es ist allgemeiner Konsens, dass für die islamische Theologie die Religionsgemeinschaften –entsprechend einer Empfehlung des Wissenschaftsrates - durch eigens dafür konstituierte Beiräte repräsentiert werden sollen.
Viele der (vorgesehenen) Mitglieder sind gleichzeitig Vertreter islamischer (Landes-) Verbände. In den jeweiligen Ländern haben sich unterschiedliche Modelle entwickelt – das Münsteraner Modell steht jedoch besonders in der Kritik, da es die Trennung von Religion und Staat nicht ausreichend gewährleiste.
Die Konstituierung des Beirats in Münster ist – im Gegensatz zu den Standorten Tübingen und Osnabrück - noch immer nicht gelungen und musste mehrmals verschoben werden. Als Kooperationspartner steht der Hochschule der Koordinationsratder Muslime (KRM) zur Verfügung, der den Professorinnen und Professoren die für die Theologie erforderliche Idjaze (Lehrerlaubnis) ausstellt, was im Falle von Khorchide bereits geschehen ist. Doch nachdem die Debatten um theologische Positionen Khorchides nicht abreißen wollten, gab der KRM ein Gutachten (http://koordinationsrat.de/media/File/gutachten_krm_17122013.pdf) über die Veröffentlichungen des Münsteraner Professors in Auftrag, dessen Ergebnis den KRM aus eigener Sicht dazu zwingen, die Zusammenarbeit zu beenden. Auf die Frage, ob Khorchide seinen Lehrstuhl auch verlieren könne bzw. ob eine Abberufung Khorchides möglich sei, antwortet Nelles: „Solche Fälle gab es auch in der katholischen Kirche. Das zeigt, dass wir das Mitspracherecht der Glaubensgemeinschaften respektieren.“, bzw. „Ja. Wenn der Beirat sich konstituiert, kann er das machen.“
Eren Güvercin, Journalist und Autor, sieht die Kompetenzen jedoch anders verteilt. So könne der Beirat keine Lehrerlaubnis entziehen, die der KRM erteilt habe – vielmehr bliebe die Entscheidung hierüber dem KRM vorbehalten. ( http://dtj-online.de/khorchide-muenster-zit-aabf-lib-16944 ). Die Missachtung eines KRM-Votums seitens des Beirats würde die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Münsteraner Beiratsmodells verstärken und zu einer Krise in der Islamischen Theologie in NRW führen.
Fassungslos - Landesbeamter überschreitet seine Kompetenzen
Der gläubigste Mensch muss nun ungläubig beobachten, zu welchen Reaktionen die Entscheidung des KRM, die Zusammenarbeit mit Khorchide aufzukündigen, von verschiedensten Seiten führt - trotz rechtlich eindeutiger Lage. Noch bevor die Entscheidung veröffentlicht wurde, äußert sich ausgerechnet einer unserer höchsten Beamten in Nordrhein-Westfalen, Ministerialrat Oberkötter, als Gastredner auf einer wissenschaftlichen Tagung zu den aktuellen Ereignissen und erklärt, dass sich das Land die „Schmähungen seines Professors nicht gefallen“ lasse und man zu Khorchide stehe. Diese Aussage kann durchaus als Drohung in Richtung des KRM verstanden werden, was mit Blick auf die weltanschauliche Neutralität des Staates eine ungeheuerliche Entgleisung darstellt. Man stelle sich mal vor, dass ein Mitarbeiter einer Landesbehörde aufgrund von schlechten Meinungsumfragen für einen Politiker, der ihm sympathisch ist, hingeht und versucht, dem Wahlvolk klar zu machen, dass es diese Wahl doch wohl nicht ernst meine, da er zu dem Politiker stehe – wie immer die Wahl auch ausgehe. Die Reaktionen wären eindeutig – zu Recht! Es steht Herrn Oberkötter frei, sich um eine Professur von Herrn Khorchide in einem anderen Studiengang zu bemühen – was ihn aus seiner Sicht auch immer dafür qualifizieren mag. Umso bemerkenswerter ist die konsequente Entscheidung des KRM, der sich anscheinend von den Ausführungen Oberkötters nicht hat beeindrucken lassen. Einmischungen seitens nicht-muslimischer Theologen und Wissenschaftler Ebenfalls zu Denken geben die aggressiven Einmischungen seitens nicht-muslimischer Wissenschaftler und Medienvertreter.
Wenn auch eine Enttäuschung durchaus nachvollziehbar erscheint, überraschen doch die unverhohlenen und forschen Forderungen in Richtung KRM, die Entscheidung zurückzunehmen. Bemerkenswert ist auch mit was für einer Selbstüberschätzung etwa christliche Theologen und nichtmuslimische Islamwissenschaftler sich in diesem genuin islamisch-theologischen Disput einmischen. Man stelle sich mal den umgekehrten Fall vor – Abenteuerlich! Einige sprechen den Vertretern der muslimischen Seite plötzlich gar die Kompetenzen für diese Entscheidung ab – nach dem Motto: „Entscheiden dürft ihr Muslime nur, wenn ihr entscheidet wie wir es gerne hätten!“ Diese Attitüde, die Muslimen häufig entgegengebracht wird, degradiert sie zu Bürgern zweiter Klasse. Ähnliche Einmischungen wären auf jüdischer oder christlicher Seite unvorstellbar. Auch käme ich als Muslim nie auf die Idee, mich in Personalentscheidungen unserer jüdischen oder christlichen Freunde einzumischen – auch wenn mir noch bis vor kurzem ein Küng an der Spitze Roms lieber wäre als ein Ratzinger, wäre ich niemals so unverfroren, dies einzufordern. Merkwürdiges Verständnis von "Dialog" Auf verschiedenen Foren äußern sich Vertreter christlicher Theologen u.a dahingehend, dass sie in Khorchide einen interessanten Dialogpartner sehen. Fakt ist jedoch, dass Khorchides Standpunkte dermaßen vom islamischen Mainstream abweichen, dass er sich vielmehr selbst um einen Dialog mit den Muslimen bemühen muss.
Ein „Dialog“ macht Sinn, wenn unterschiedliche Standpunkte ausgetauscht und „ertragen“ bzw. toleriert werden. Welchen Sinn hat es, mit jemandem einen Dialog führen zu wollen, der bereits alle meine Standpunkte übernommen hat? Khorchides „Theologie der Barmherzigkeit“ erinnert an eine Fertigsuppe – jedem Geschmack wurde ein Verstärker zugesetzt, sodass sie sich allen „Geschmacksrichtungen“ anpasst. Diese „Theologie“ hat aber so wenig Authentizität wie Profil. Eine pluralistische Gesellschaft lebt aber gerade von den Unterschieden, die den Menschen ausmachen und auf die er auch einen Anspruch hat. Ein vermeintlicher Dialog mit den Muslimen darf nicht auf Kosten ihrer Glaubensprinzipien und religiösen Wertvorstellungen gehen. Die Anfeindungen gegen den KRM wirken teilweise konzertiert und sind in der Argumentation nicht selten infam. So wird u.a. suggeriert, dass Kritiker Khorchides gegen liberale Auslegungen seien und die Vorstellung einer „barmherzigen“ Religion nicht ertragen können. Nach dieser Logik setzen sich alle Parteien (CDU, CSU, Grüne…) - außer der FDP - für einen autoritären Staat ein, da diese sich (im Namen) nicht explizit als „liberal“ bezeichnen. In der Welt behauptet ein Kommentator gar, dass sich die Verbände gegen Khorchide ausgesprochen haben, weil er „verfassungskonform und human“ lehre (http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article123121108/Muslimen-schadet-der-Kampf-gegen-ihren-Reformer.html ). Das alles deutet darauf hin, dass sich diese Kritiker entweder mit dem Gutachten nicht beschäftigt haben oder dass ihre Absichten keine lauteren sind.
Könnte die "Alevitische Theologie" eine Lösung des Problems anbieten?
Doch eine Lösung des Problems könnte nun - von unverhoffter Seite - in greifbare Nähe rücken: Ausgerechnet „Die alevitische Gemeinde Deutschland e.V.“, jene Gruppe der Aleviten, die sich explizit nicht als Teil der muslimischen Gemeinschaft sieht, setzt sich für Khorchide ein und fordert(!), ihn im Amt zu belassen. Gleichzeitig übersieht die Gemeinde das Offensichtliche – die Stellenausschreibung für eine „Juniorprofessur für Alevitentum“ direkt neben der Stellungnahme für einen Verbleib Khorchides (http://alevi.com/de/). Wer die „Freiheit von Lehre und Forschung“ in der Form auslegt, dass er über die theologischen und methodischen Kritikpunkte des Gutachtens hinwegsehen kann, ist eingeladen, die sich hier bietenden Synergiemöglichkeiten zu nutzen und Herrn Khorchide die Professur in Hamburg anzubieten. Die Unterstützer Khorchides – u.a. die alevitische AABF, Politically Incorrect(!), LIB, Hamed Abdussamed – haben sich gelinde gesagt nicht gerade als Verfechter authentischer islamischer Lehren hervorgetan. Die Betrachtung allein dieser Liste bzw. der Nicht-Unterstützer von Khorchide verdeutlicht bereits, dass die Entscheidung des KRM so falsch nicht sein kann.
Abschluss
Man kann zu der Entscheidung des KRM stehen wie man will, kann durchaus enttäuscht oder unzufrieden mit ihr sein. Der Respekt vor den Muslimen und ihren Vertretern erfordert jedoch, diese zu akzeptieren. Alles Andere ist unanständig. Dass der KRM – wie immer wieder behauptet wird – nur 20% aller Muslime vertrete ist nicht nur falsch, sondern in diesem Zusammenhang völlig irrelevant, da es um die Vertretung der organisierten Moscheegemeinden geht. Und hier vertritt der KRM 90% der Moscheegemeinden in Deutschland. Die Apologeten der Thesen Khorchides hingegen sprechen lediglich für sich!
Eine interessante Perspektive brachte jüngst Sven Speer, Gründer und Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR), in diese Debatte. In seinem Beitrag "Khorchide als Luther? Religionshege und Fürstenreformation" (http://offene-religionspolitik.de/khorchide-als-luther-religionshege-und-fuerstenreformation/) betont Speer, dass das Bild von einem Kampf zwischen dem 'liberalem Reformer' Khorchide und den 'konservativen' Verbänden hinkt. Khorchide brauche keinen Schutz, denn der staatliche Schutz liege bereits jetzt bei Khorchide. "Als Professur für Religionspädagogik genießt der Lehrstuhl in Münster aber bereits jetzt das staatliche Gütesiegel, tatsächlich Religion und damit den Islam zu repräsentieren", so Speer. Nicht Khorchide würde von übermächtigen Verbänden an den Rand gedrängt, sondern die Verbände als größte Organisationen des Islam in unserem Land durch den Staat. Speer gibt zu, dass ihm persönlich die Sichtweisen Khorchides sympathischer seien, aber er macht klar, dass seine Meinung hier nicht relevant ist und kritisiert die politische Beeinflussung der Islamischen Theologie seitens des Staates, worin er die Freiheit in Gefahr sieht: "Integration hat Konjunktur in Deutschland, nicht die Freiheit, anders zu sein. Entsprechend äußern sich bei Tagungen zum Islam in Deutschland regelmäßig Religionsverfassungsrechtler und Politiker. Das Konzept der „Religionshege“ (Janbernd Oebbecke) wird so überdehnt, dass der Staat den Islam zivilisieren solle. Pressemitteilungen von Ministerien feiern den Islamunterricht als Erfolg für die Integration, weil durch ihn den jungen Muslimen die Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nahe gebracht würden. Aufgrund der religiös-weltanschaulichen Neutralität muss der deutsche Staat jedoch die Autonomie der Religion wahren.
Er darf keinen Einfluss darauf ausüben, was in den Gemeinschaften geglaubt und gedacht wird. Genau dies ist jedoch das erklärte Vorhaben in der deutschen Islampolitik: Theologische Lehrstühle mit „gemäßigten“ und „demokratischen“ Personen zu besetzen, die künftige Imame und Religionslehrer ausbilden, die wiederum die muslimischen Kinder im Unterricht erziehen – unter größtmöglicher Umgehung der Verbände, die für den Staat die einzig legitimierten Kooperationspartner darstellen." Mit ein wenig Ironie habe ich hier versucht, auf diese unhaltbare Situation aufmerksam zu machen - in der Hoffnung, dass sich alle Teilnehmer dieser Diskussion auf ihre Kompetenzen beschränken und gleichzeitig ihrer jeweiligen Verantwortung bewusst werden. Herrn Prof. Khorchide wünsche ich die Einsicht, dass er sich deutlich besser in den Studiengängen Islamwissenschaft oder Orientalistik einbringen kann. Es ist kein islamisches Gebot, ausgerechnet für die „Theologie“ arbeiten zu müssen. Wenn v.a. Nicht-Muslime durch medialen und politischen Druck Stellenbesetzungen in der Islamischen Theologie beeinflussen, ist die Akademisierung des Islams in NRW - und vielleicht sogar ganz Deutschland – faktisch am Ende.
Auch ein Rückzieher seitens des KRM wäre verheerend, da er jegliche Glaubwürdigkeit verlöre. Das wäre sehr schade, denn die islamische Theologie kann den Menschen in unserem Land Halt geben. In einer Zeit, in der die Konstanten immer öfter durch Variable ersetzt werden, bieten Religionen dringend benötigte Orientierung. Orientierung, die sich selbstverständlich– übrigens auch für die kritisierten muslimischen Verbände – im Rahmen des Grundgesetzes bewegen (traurig, dass man das immer noch erwähnen muss). Gleichzeitig ist diese Kooperation eine Chance für die Islamische Theologie, die durch die Bedingungen und Möglichkeiten in Deutschland weltweit Maßstäbe setzen kann – ohne jedoch ihre Seele aufzugeben. (Autor: Oliver H. Bauer)