islam.de - Druckdokument - Druckdatum: Dienstag, 24.12.24
https://www.islam.de/23174.php


islam.de - Alle Rechte vorbehalten

Freitag, 03.01.2014

Alle wollen mitreden bei der Islamtheologie

Anmerkungen zur Stellungnahme Bernhard Uhdes zum KRM-Gutachten zu Khorchides „Theologie der Barmherzigkeit“ – Von Mohammed Khallouk

Wenngleich sich andere Lehrstuhlinhaber für Islamische Theologie bislang noch nicht öffentlich zu den umstrittenen Thesen des Münsteraner ZIT-Leiters Prof. Mouhanad Khorchide und dem hierzu vom KRM publizierten Gutachten geäußert haben, trifft das Gutachten durchaus auf Reaktionen aus dem akademischen Bereich. Mit dem Freiburger Lehrstuhlinhaber für Religionswissenschaft, Prof. Bernhard Uhde, wagte sich nun am 25.12.2013 erstmals ein anerkannter Hochschullehrer mit einer zwanzigseitigen Stellungnahme zum KRM Gutachten an die Öffentlichkeit. Dass seine Stellungnahme bislang nur auf verschiedenen Internetblogs zu finden ist, muss weder etwas über deren wissenschaftliche Qualität aussagen, noch bedeuten, dass sie nicht in Zukunft auch in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift erscheinen mag.

Obgleich Uhde mit seinem Lehrstuhl am Freiburger Institut für Systematische Theologie angesiedelt ist, eine Gastprofessur für katholische Theologie an der Universität Klauseburg/Rumänien inne hat und sogar in Wikipedia als „katholischer Theologe“ ausgegeben ist, hat er im Fach Religionsgeschichte habilitiert und seine hauptamtliche Professur im Fach Religionswissenschaft inne. Er bewegt sich somit hauptsächlich in einem wissenschaftlichen Umfeld, in dem der Bekenntnisgebundenheit nicht der gleiche Stellenwert zukommt, wie an einem expliziten Lehrstuhl für Theologie (welcher Konfession auch immer). Dessen ungeachtet sollte ihm als mutmaßlichem Kenner der theologischen Szenerie durchaus zugebilligt werden, angemessen einzuschätzen, in welchem Rahmen sich eine bekenntnisgebundene Theologie einer bestimmten Konfession bewegen dürfte, wenngleich er sich als Christ davor hüten sollte, in einer innerislamischen theologischen Debatte für die eine oder andere Position Partei zu ergreifen.
Zweifellos ist Uhde zuzustimmen, dass es innerhalb der Islamischen Theologie als inakzeptable Grenzüberschreitung zu werten ist, wenn angezweifelt oder gar bestritten wird, „dass der Prophet Muhammad überhaupt gelebt habe, mithin die Sunna des Propheten erfundenes Konstrukt sei […] und dies bei vielen anderen Aussagen entsprechender Art ebenfalls.“ (S.5) Nicht zuletzt wegen des Anzweifelns der prophetischen Existenz musste schließlich Khorchides Vorgänger Sven Kalisch den Lehrstuhl für bekenntnisgebundene Islamische Theologie in Münster verlassen und lehrt nun in einer bekenntnisungebundenen Disziplin.

Schwieriger einzuschätzen dürfte es für einen Nichtmuslimen jedoch sein, die „vielen anderen Aussagen“, die ebenfalls als Grenzüberschreitungen gewertet müssen, im Rahmen des Islam und der Islamischen Theologie in ihrer Vollständigkeit aufzuzählen. Vor diesem Hintergrund belässt es die Stellungnahme hier berechtigterweise auf dem allgemeinen Hinweis, diese Grenzüberschreitung könne bei einer Mehrzahl an Positionen gegeben sein. Problematisch erscheint diese unspezifische Formulierung jedoch, wenn ihr die als gesichert beanspruchte Feststellung folgt, dass Khorchide mit seinen erkennbar und – von Uhde unbestritten - von der absoluten Mehrheit der Islamtheologen abweichenden Thesen sich nach wie vor innerhalb dieses bekenntnisorientierten Rahmens bewege.
Er definiert die wissenschaftliche Freiheit nach „Denkmöglichkeiten“, in Bezug „zum jeweiligen System“. (S.6) Mag der Begriff „Denkmöglichkeiten“ an sich schon problematisch erscheinen, denn prinzipiell ist mit dem menschlichen Verstand unendlich vielerlei denkmöglich – einschließlich der Nichtexistenz des Propheten -, erscheint auch die Eingrenzung auf ein „System“ lediglich für Naturwissenschaften, empirische Sozialwissenschaften und möglicherweise auch die historisch orientierten Religionswissenschaften angemessen.
Die Bekenntnisgebundenheit der Theologie aber ergibt sich kaum durch ein methodisches vorgegebenes „System“ als mehr durch einen Kernbestand von der jeweiligen Religion vorgegebenen Glaubensüberzeugungen. Erst innerhalb dieses Grundbestands an Glaubensüberzeugungen lassen sich wissenschaftliche Methoden anwenden und daraus folgend Thesen entwickeln. Wenn also Khorchide im Islam etwas sieht oder zu sehen glaubt, das den Glaubensgrundsätzen des Islam und mithin dem islamischen Bekenntnis elementar widerspricht, bleiben seine Thesen und letztlich auch ihre wissenschaftliche Fundierung, wie wissenschaftlich überzeugend sie auch erscheinen mögen, außerhalb der Bekenntnisgebundenheit. Im gegebenen Fall verließe er somit die Grundlage der Islamischen Theologie – unabhängig davon, dass er für sich selbst den Anspruch erhebt, lediglich eine „neue Lesart“ innerhalb eines „Systems Islam“ zu vertreten. Schließlich beansprucht auch Kalisch mit seiner Anzweifelung der Prophetenexistenz für sich, eine bislang noch unbekannte „Islamtheologische“ These zu vertreten.

Uhde billigt Khorchide zu, mit der Religionsphänomenologie in Anlehnung an die Phänomenologie Husserls durchaus eine nachvollziehbare Methode zu verwenden. (S.7) Dies führt er gegen die Beanstandung des Gutachtens an, Khorchides sogenannter „Barmherzigkeitstheologie“ fehle eine nachvollziehbare, insbesondere aber Islamtheologische Methode. Sollte Khorchide sich tatsächlich auf die Religionsphänomenologie als Methode stützen können, bliebe erstens die ihm im Gutachten angelastete Kritik, keine eigenständige Islamtheologische Methode anzuwenden, aufrecht erhalten, denn die Übertragung von Husserls Phänomenologie auf ein „Phänomen Religion“ entstammt der Religionswissenschaft, in der sich Uhde selbst offenbar methodisch beheimatet sieht, nicht aber der Islamtheologie. Zweitens kann die Interpretation der Religion als von außen betrachtendes „Phänomen“ wohl kaum für einen bekenntnisorientierten Theologen (einen Islamtheologen ebenso wenig wie einen Christlichen Theologen) bezogen auf seine eigene Religion maßgebend sein. Schließlich ist er Teil dieses „Systems Religion“, versteht die eigene Religion als „göttliche Botschaft“ (wie dies Khorchide übrigens auch für sich selbst vorgibt) und versucht diese göttliche Botschaft für den menschlichen Verstand nachvollziehbar auszulegen.

Diese Nachvollziehbarkeit wird jedoch bei der Botschaft des Islam nur erreicht, wenn man die Aussagen der Heiligen Schriften des Islam in ihrem textlichen und ebenso raumzeitlichen Kontext präsentiert. Letzteres nimmt Khorchide zwar ebenso für sich in Anspruch, weshalb ihm Uhde die Anwendung einer historischen Vorgehensweise, nicht aber historisch-kritischen Methode bezichtigt.(S.12) Khorchide zieht jedoch willkürlich Textpassagen aus Koran und Hadithen heraus, denen er, sofern sie mit seiner „modernen Lesart“ übereinstimmen, überzeitliche Gültigkeit zumisst, und bei offensichtlichem Widerspruch dazu, als „juristische Aussagen“ tituliert, nur historische Gültigkeit zuschreibt. Uhde versäumt es, auch nur eine Koran- oder Hadithstelle zu erwähnen, in der Khorchide tatsächlich nachvollziehbar anhand des Textes erläutert habe, welche „Anlässe des Herabkommens“ (S.12) diesem Text zuzumessen seien.
Uhde wirft in seiner Auslassung zum methodischen Teil des Gutachtens dem Gutachter vor, selbst die Arbeitsweise der Redaktionskritik zu verkennen und merkt diesbezüglich an: „Die Umschreibung der als ,historisch-kritisch vorgehenden zeitgenössischen Christlichen
Theologie` ist eine bedenkliche, nahezu verfälschende Verkürzung dieser schwierigen und
wichtigen Methode, deren Ausgangspunkt die Textkritik (also die Erstellung des
ursprünglichen Textes sowie die Freilegung seiner Quellen) vor der Textanalyse ist. Erst dann kann die Redaktionsgeschichte kritisch betrachtet werden.“ (S.11) Hierbei attestiert Uhde Khorchide, eine solche Textkritik in der Realität gar nicht vorgenommen zu haben und somit sich auch nicht „historisierend“, sondern – wie im Islam üblich – „religiös-spirituell“ an die Heilige Schrift heranzuwagen.

Dabei wird übersehen, dass Khorchide explizit den Anspruch erhebt, zwischen mekkanischen und medinensischen Offenbarungstexten zu differenzieren und somit – auch wenn er Gott die alleinige Urheberschaft des Korans zubilligt – sie durchaus vom historischen Ursprung her zu verstehen vorgibt. Vielmehr hält er ihrer vermeintlich buchstabengetreuen Aufnahme durch die Tradition die mangelnde kritische Auseinandersetzung mit dem Kontext der Herabsendung vor. Abgesehen von der fehlenden Berechtigung dieses Vorwurfs an die Tradition, weil die Suche nach einer kontextbezogenen Auslegung so alt ist wie der Koran selbst, nimmt Khorchide gerade diese kontextbezogene Auslegung sehr willkürlich vor. Aus seinen Ausführungen lässt sich nicht einmal erkennen, warum ein bestimmter Vers mekkanisch oder medinensisch sei, außer dass er allgemein „juristische Aussagen“ mit der medinensischen Offenbarung assoziiert, diese aber ebenso „theologische Aussagen“ enthalte. Uhde übergeht somit nicht nur den eindeutig historisierenden Anspruch von Khorchide, sondern auch die Tatsache, dass er diesem Anspruch durch seine willkürlichen Zuordnungen nicht gerecht wird.

Dass Khorchide den göttlichen Ursprung des Korans bestreite, wird ihm im Gutachten im Übrigen nicht vorgehalten, durchaus jedoch, dass er sich an einer Methodik Christlicher Theologen bezogen auf Bibelstellen orientiere, für die jene von Uhde betonte Textkritik als Vorstufe der Redaktionskritik angebracht, notwendig und vielfach sogar nicht einmal den Absichten der Urheber entgegenstehend ist. Bei Khorchide aber ist diese Textkritik – zumindest bezogen auf den Zeitpunkt des Herabkommens erklärtermaßen – vorhanden, wird jedoch ohne nachvollziehbare Systematik betrieben. Er verhält sich dementsprechend weder wie ein Islamischer Theologe noch wie ein ernst zu nehmender Historiker.



Gegen die im Gutachten an Khorchides glaubensrelevanten Thesen geübte Kritik versucht ihn Uhde damit zu entlasten: „Nun stellt sich allerdings die Frage, was die ,hohe Zielsetzung` des Buches eigentlich sein solle. Das Buch ist kein Buch für Fachleute. Es ist auch kein religionswissenschaftlich-islamkundliches Buch. Es ist hingegen von einem Verständnis von Theologie und Religion geprägt, das Khorchide selbst begründet: ,maßgeblich durch meine Biografie.`“ (S.13) Dies mag sachlich zutreffend sein. Khorchide erhebt jedoch in diesem erklärtermaßen populärwissenschaftlichen Buch durchaus den Anspruch, die darin beschriebenen Thesen stellten den Kern seiner Theologie dar. Mag man ihm ebenso zubilligen, dass er in Hochschulseminaren diese Thesen ausführlicher und mit umfangreicherem Quellenbezug darzulegen sucht, sie sind dadurch jedoch nicht weniger glaubensrelevant, geschweige denn entsprechen sie mehr dem Grundkonsens innerhalb des Islam.

Uhde schließt seine Analyse zum Gutachtenabschnitt über glaubensrelevante Thesen mit der Wiedergabe des Zitats der Gutachterin: „Bemerkenswert ist daher, dass er [Khorchide] der Leiter und Lehrstuhlinhaber eines konfessionsgebundenen islamischen Zentrums sein kann.“ (S.15) Hierzu kommentiert Uhde: „´Bemerkenswert`, nicht ,unerträglich´! Und: es ist ein ,Islamisches Zentrum an der Universität Münster`, nicht ein unabhängiges islamisches Zentrum. Das bedeutet, dass sich der Leiter einer solchen universitären Einrichtung ,im Rahmen der islamischen Lehre` befinden muss, auch wenn er abweichende Auffassungen vertreten sollte.“

Zwar kann das Wort „bemerkenswert“ durchaus als Anerkennung verstanden werden, im Kontext, in dem die Gutachterin es verwendet hat, stellt es zumindest ein Synonym für „unverständlich“ – wenn nicht durchaus für „unerträglich“ dar. Uhde führt diesbezüglich weiter aus: „´Unerträglich` wäre eine abweichende Auffassung vertretender Universitätslehrer nur, wenn er der einzige Fachvertreter in der deutschen universitären Szene wäre. Das aber ist nicht der Fall.“ (S.15) Diese Aussage Uhdes erscheint mehrdeutig. Sofern er hiermit zum Ausdruck zu bringen versucht, andere deutsche Islamtheologen teilten Khorchides Thesen, müsste er dies mit Referenzen belegen. Versteht er seine Aussage derart, dass Khorchide insgesamt der einzige Islamtheologe in Deutschland sein müsste, damit seine von der muslimischen Majorität nicht geteilten Thesen „unerträglich“ einzustufen seien, bedeutete Uhdes Einschätzung, ein Islamtheologe könnte in letzter Konsequenz jede beliebige These vertreten – einschließlich der Nichtexistenz des Propheten Mohammed - welche er eingangs jedoch als Beispiel für eine inakzeptable Grenzüberschreitung eines bekenntnisorientierten Islamtheologen angeführt hat. (S.5)

Immerhin ist er seiner missverstandenen Schlussfolgerung des Gutachtenabschnitts zu glaubensrelevanten Thesen im Verlauf seiner Stellungname treu geblieben, indem er hierin einen Widerspruch zur als eindeutig erkannten Aussage des Abschnitts zu religiösen Terminologien wähnt, dass Khorchide die „gemeinsame Bekenntnisbasis“ (S.15) verlasse. Ausgehend von diesem vermeintlichen Widerspruch muss er konsequenterweise dem gesamten Gutachten „handwerkliche Schwäche“ (S.15) vorhalten.

In der Tat handelt es sich jedoch weniger um „handwerkliche Schwäche“ des Gutachtens als mehr um eine Interpretation insbesondere des zweiten Gutachtenabschnitts entsprechend der eigenen Grundeinstellung gegenüber den Thesen Khorchides. Da Uhde sich selbst offensichtlich mehr mit dessen Positionen identifizieren kann als mit jenen der absoluten Majorität der Muslime und auch der Gutachter, mag dies erklärbar sein. Als Nichtmuslimen, geschweige denn Islamtheologen wäre ihm dies auch keineswegs vorzuhalten. Es wird jedoch dem Gesamttenor des Gutachtens, in dem alle vier Gutachter de Fakto gleichermaßen Khorchides wissenschaftliche Arbeitsweise als Islamtheologe ebenso wie seine Bekenntnisgebundenheit anzweifeln, nicht gerecht.

Dem Gutachtenabschnitt zu den Koranübersetzungen hält Uhde fehlende Überzeugungskraft für den darin an Khorchide gerichteten Vorwurf einer ideologisch geprägten inhaltlich unzutreffenden Übersetzung seinerseits vor: „Zu fragen ist, ob die Vermutung, dass Khorchide ,seine eigenen theologischen Ansichten in die Übersetzungen hinein` interpretiert, zutreffend ist. Dies lässt sich jedoch nicht konsequent zeigen, und für diese Behauptung fehlen denn auch die konkreten Nachweise, ebenso für die Behauptung, Khorchide reiße Zitate aus dem Zusammenhang mit dem Ziel, eigene Interpretationen zu rechtfertigen.“ (S.18)
Die angeblich fehlenden Nachweise sind jedoch für jeden von Khorchide übersetzten Koranvers durch die Gegenüberstellung mit einer anerkannten Koranübersetzung geliefert. Sollten bei Uhde Zweifel bestehen, dass diese „anerkannte Übersetzung“ korrekter ist als diejenige Khorchides, hätte er dies anhand eines Vergleichs mit dem Ursprungstext verdeutlichen müssen. Hierzu sieht er sich jedoch offenbar angesichts unzureichender eigener Arabischkenntnisse nicht in der Lage. Letzteres ist ihm nicht anzulasten, jedoch durchaus die Tatsache, dass er dem Gutachter bezogen auf dessen Auslassungen zu Khorchides Übersetzungen unzureichend gestützte „Vermutungen“ unterstellt, hierfür ebenso auf Vermutungen, die er nicht anhand des Textes und der zugehörigen Übersetzung belegt, zurückgreift. Er begibt sich somit selbst in das Feld der Voreingenommenheit, die er dem Gutachten insgesamt und dem letzten Gutachter im Besonderen vorhält.
Diese Vorgehensweise trägt nicht dazu bei, einen objektiven unbefangenen Eindruck von Khorchides Thesen, ihrer Fundierung in den Heiligen Schriften des Islam und dem hierzu vorgelegten KRM-Gutachten zu vermitteln. Vielmehr müsste Uhde sich den gleichen Vorwurf gefallen lassen, den das Gutachten gegenüber Khorchide erhebt, die Vorgehensweise, die er bei anderen kritisiert, ebenfalls zu demonstrieren. Im Gutachten trifft dies Khorchide, wenn ihm angelastet wird, einerseits Salafisten, Traditionalisten und der Majorität der Islamgelehrten eine Reduktion des Islam auf Gehorsamkeit und göttliche Gebote vorzuhalten, da sie den ebenso wesentlichen Barmherzigkeitsgedanken als geringer einstuften, andererseits jedoch selbst diese Barmherzigkeit, als „göttliche Wesenseigenschaft“ tituliert, den Geboten und Strafen Gottes qualitativ überzuordnen.

Ähnlich verhält es sich schließlich auch mit Uhdes Stellungnahme zur vom Gutachten Khorchide angelasteten fehlenden Wissenschaftlichkeit. Der Beanstandung im Gutachten, einer fehlenden schlüssigen Methodik, versucht Uhde einerseits mit dem Verweis auf die Religionsphänomenologie als angeblich verwendete Methodik zu entgegnen, obwohl Khorchide diese selbst überhaupt nicht im Buch erwähnt. Dem Vorwurf des Gutachtens an letzteren, mit seinen glaubensrelevanten wissenschaftlichen Thesen die Grenze der Bekenntnisgebundenheit zu überschreiten, begegnet Uhde andererseits mit dem Verweis, „Islam ist Barmherzigkeit“ sei überhaupt kein fachwissenschaftliches, sondern lediglich populärwissenschaftliches Buch, die darin vertretenen Thesen könnten dementsprechend auch nicht als wissenschaftliche islamtheologische Thesen gewertet werden.

Sollte es sich bei Khorchides Buch aber nicht um eine - wie auch immer geartete - wissenschaftliche islamtheologische Lektüre handeln, dürfte Uhde sie auch nicht als Beweis für die angewandte wissenschaftliche Methodik bei Khorchide heranziehen und hätte von vorn herein die Verwendung jenes Buches zur Begutachtung der Wissenschaftlichkeit als ungeeignet einstufen müssen. Dies unterlässt seine Stellungnahme jedoch, weil Uhde offensichtlich aufgefallen ist, dass Khorchide dieses Buch selbst als populärwissenschaftliche Darstellung seiner auch im universitären Bereich vertretenen Islamtheologie beansprucht, die er damit an ein breiteres - muslimisches wie nichtmuslimisches - Publikum zu vermitteln sucht.

Ungeachtet der hieraus gezogenen Schlussfolgerung, dass Uhdes Stellungnahme dem Gutachten ebenso wenig wie dem Anspruch Khorchides hinter der populärwissenschaftlichen Darlegung seiner Barmherzigkeitstheologie gerecht wird, ist es anerkennend hervorzuheben, dass erstmals eine umfangreiche Stellungnahme vorgelegt wurde, die sich nicht auf eine allgemeine Presseerklärung beschränkt, sondern versucht, sich mit wissenschaftlichen Argumenten auf alle Abschnitte des Gutachtens einzulassen. Obgleich Uhde den Gutachtern darin Polemik vorhält, hebt seine Stellungnahme die Diskussion um dieses Gutachten von der oberflächlichen journalistischen Ebene auf die akademische argumentative Ebene herauf.

Uhdes Stellungnahme sollte vielmehr als Ansporn für andere Repräsentanten des universitären Bereichs verstanden werden, sich ebenfalls mit der darin von Vertretern der Islamverbände an Khorchide geübten Kritik auseinanderzusetzen. Dieser Ansporn richtet sich insbesondere an Theologen und dabei in erster Linie an Islamtheologen, denn nur durch die Partizipation von im universitären Bereich dienenden Islamtheologen kann der islamtheologische Diskurs im deutschsprachigen Raum fruchtbar werden und dazu beitragen, dass der deutschen Islamtheologie von Muslimen wie Nichtmuslimen Diskursfähigkeit zugebilligt wird und ihre Wissenschaftlichkeit insgesamt nicht mehr zur Disposition gestellt wird.  

Mohammed Khallouk ist Politologe, Arabist, Islamwissenschaftler sowie ZMD-Beauftragter für wissenschaftliche Expertise. Sein letztes Buch „In Deutschland angekommen: Marburg“ erschien beim Rimbaud Verlag 2013.