Mittwoch, 19.05.2004
Irak zum Schauplatz eines strategischen Desasters der USA - Die Welt ist nach dem Einmarsch im Irak nicht sicherer geworden
Das Tor zur Freiheit und Demokratie versprach George Bush dem irakischen Volk exakt vor einem Jahr. Einen Höllenbrand hatte Amr Mussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga, für den Fall vorausgesehen, wenn die Amerikaner in den Irak einmarschieren würden.
Damals stand Aussage gegen Aussage. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt und die meisten Staaten der Erde haben bei unzähligen Demonstrationen eindrucksvoll gezeigt, welcher Aussage sie mehr Glauben schenkten – schon damals.
Osterwochenende: Betroffenheit und Ohnmacht angesichts der vielen Entführungen und getöteten Ausländer, so auch die zwei deutschen GSG9-Beamten, die anders als ihre drei weiteren Kollegen den Kugeln krimineller Wegelagerer zwischen Bagdad und Amman zum Opfer fielen. Sie haben ihr Leben für einen sinnlosen Krieg hergeben müssen.
Unterdessen ist die deutsche Präsenz im Irak weiter geschrumpft. Nachdem Mitarbeiter des Minenräumdienstes Help auf Drängen der deutschen Botschaft das Land verlassen haben, gehen in dieser Woche auch die letzten ausländischen (deutschen) Mitarbeiter der Hilfsorganisation Grünhelme.
George W. Bush hat den Irak zum Schauplatz seines strategischen Desasters werden lassen. Wie vor ihnen die Briten, so stehen heute auch die US-amerikanischen Besatzer machtlos gegenüber der Radikalisierung des Widerstandes der verschiedenen Gruppen des Landes wie auch aller politischen Konflikte bis hin zur enthemmten Bereitschaft krimineller Kleingruppen - eine ausgebildete Polizei fehlt fast gänzlich- , die Lösegelder durch Entführung ausländischer Zivilisten erpressen.
George W. Bush, ja die Welt braucht einen Plan im Umgang mit dem Irak. Bisher ist dem Herausforderer John Kerry auch nicht mehr eingefallen als das Desaster zu beschreiben. Was aber benötigt wird, ist ein Marshallplan, der konsequent durch die Vereinten Nationen legitimiert und umgesetzt wird. Davon ist die Bush-Administration meilenweit entfernt. Zudem lässt die Logik des Wahlkampfes keinen Raum, eine politischen Neuorientierung im Irak einzuleiten. Das irakische Volk muss also weiter Opfer bringen und Leid erfahren, Ausländer werden weiterhin Ziel von Entführungen und Tötung und junge amerikanische Soldaten müssen weiter sterben, bis in den USA endlich gewählt wird. Vielleicht dann - aber wer garantiert das schon - wird das „neue Vietnam Amerikas“ nicht nur verwaltet sondern die Ursachen seiner Probleme werden bekämpft??
Zumindest sollte bis dahin mit einer bis heute noch zwischen London und Washington herumgeisternden Fehleinschätzung aufgeräumt werden, wonach angeblich die Besetzung Iraks die Welt vor weiterem Terror geschützt und insgesamt sicherer gemacht hat. Es geht wirklich nicht um die Vorführung der Kriegbefürworter und Bellizisten, aber an dieser Stelle muss deutlich gesagt werden: „Hört auf mit diesem Gerede!“ Die Welt ist nach dem Einmarsch im Irak eben nicht sicherer geworden und der Kampf gegen den Terror hat seit dem weitere Rückschläge einstecken müssen.
Die Gründe liegen auf der Hand. Erstes weil der Terror nicht durch Kriege zu besiegen ist, zweitens weil Demokratien nicht herbeigebombt werden können, drittens weil das eigentliche Ziel des Kampfes um die Herrschaft des Öls nicht mit dem Kampf gegen den Terror zu verwechseln ist, und viertens– und das scheint in der gegenwärtige Lage allzu deutlich und fast das wichtigste - weil die Bush-Regierung keine einzige brauchbare Strategie nach einem Jahr Besatzung an den Tag legt, wie es im Irak weitergehen soll.
Das wäre aber das Mindeste was man nach einer völkerrechtlich illegalen Besetzung des Iraks erwarten sollte.
Und nun kommt, was kommen musste: das weitere Auseinanderklaffen zwischen der sogenannten islamischen und der sogenannten freien Welt.
Die Bombardierung der irakischen Stadt Falludscha mit der Inkaufnahme der Schändung einer Moschee wird in der islamischen Welt mittlerweile mit der israelischen Offensive gegen die palästinensische Stadt Dschenin im April 2002 verglichen, die in das kollektive Gedächtnis der arabischen Welt als "Massaker" eingegangen ist. Bremer und Saddam werden auf die gleiche Stufe gesetzt wegen ihren gleichen rigiden Methoden usw. Vergleiche, die hinken mit folgenschweren Fehleinschätzungen gegenüber Demokratie und Freiheit in den muslimischen Gesellschaften.
Bei uns hört man: Islamistische Terroristen benutzen den Irak als ihr Kampgebiet für die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates. Dies ist im Höchstfall die halbe Wahrheit, denn anders als die öffentliche Meinung in der arabischen Welt, die den US-Angriff wegen der Gefahr der Instabilität und Abtretungen weiterer Gebiete an die Schiiten und Kurden ablehnten, haben viele Iraker auf eine Intervention von außen gehofft, um Saddam Hussein zu stürzen. Sie hatten genug von seinen am eigenen Volk verübten Verbrechen. Das harte militärische Vorgehen der USA nun gegen Falludscha hat viele Iraker schockiert, Sunniten und Schiiten weiter zusammengeschweißt und die Abscheu gegenüber der Besatzermacht verstärkt.
Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu wie Hohn, dass der US-Präsident 2003 vor der „Nationalen Stiftung für Demokratie“ seine Freiheitsoffensive für die islamische Welt angekündigt hat.
Und was wird wohl, wenn sich der Terror zwischen Madrid, Bagdad, Istanbul, New-York als Folge des Irak-Krieges organisatorisch und ideologisch weiter vernetzt?
Solange für die Regierung Bush kein Rückzug im Irak in Frage kommt, so lange ihr Kampf gegen den Terror nicht durch eine klare Strategie der Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in der islamischen Welt abgelöst wird,
so lange bleibt Bush für die Welt ein zunehmendes Sicherheitsrisiko und ein „Garant“ für Extremisten, weiter für ihre verirrten Ziele zu bomben.