Donnerstag, 27.11.2003
Über Moscheedurchsuchungen und Hakenkreuze, die muslimische Gotteshäuser entstellen und tendenziöse Berichte über den Islam, die wieder Hochkonjunktur haben
Lünen kurz vor dem Tag der Offenen Moschee: Noch am Morgen hatte er in der Stadtkirche über friedliches Zusammenleben gesprochen, wenige Minuten später machte Irfan Yildizhan von der islamischen Gemeinde aus der Roonstraße eine erschreckende Entdeckung. Bislang unbekannte Täter hatten in der Nacht zu Sonntag den frisch gemauerten Klinker der Moschee und den Gemeinde-Bus mit mehreren Hakenkreuzen beschmiert. "Ich bin sehr traurig", sagte Yildizhan im Gespräch mit der örtlichen Zeitung. Fassungslos und schockiert standen die Gemeindemitglieder am Vormittag vor dem Gebäude und ihrem Fahrzeug. "Die Gesichtsausdrücke sagen alles", kommentierte Yildizhan. Schon öfter sei der Islamische Arbeiternehmerverein Lünen und Umgebung e.V. Ziel von Kriminalität und Ausländerfeindlichkeit geworden: Mehrfach wurde in die Moschee eingebrochen, einmal hatte jemand einen Schlauch manipuliert und den Rohbau unter Wasser gesetzt. "Das war schon schlimm", so Yildizhan“, „aber was jetzt hier passiert ist, ist besonders verletzend." Betroffen zeigte er sich vor allem deshalb, weil er kurze Zeit zuvor noch beim ökumenischen Gottesdienst in der Stadtkirche über Integration und friedliches Zusammenleben gesprochen hatte: "Da habe ich noch gesagt, dass ich mich sehr wohl fühle in dieser Stadt", so Yildizhan, "aber seitdem ich die Hakenkreuze gesehen habe, fühle ich mich ganz schlecht."
Leider ist dies keine Einzelfall in Deutschland – nur nimmt die Öffentlichkeit davon so gut wie gar keine Notiz. Ja, man hat sich fast daran gewöhnt und einige sind vielleicht insgeheim darüber gar nicht so erbost, wie sie nach außen vorgeben. Die unzähligen negativen Berichte in der Öffentlichkeit, die ein entstelltes und mitunter mutwillig falsches Islambild zeichnen – jüngstes Beispiel die Titelgeschichte des „Spiegel“ vor einer Woche - hinterlassen ihre Spuren. Die Verantwortung für eine ausgewogene Berichterstattung bleibt hier völlig auf der Strecke.
Eigentliche Bedrohungen gelangen in den Hintergrund
Wie das Beispiel Lünen zeigt, taucht in der ganzen Auseinandersetzung oft die Gefahr der rechtsradikale Bewegung unter, ja sie wird geradezu sträflich unterschätzt. Hinzu kommt, dass diese radikalen Kräfte momentan die Angststimmung in der Bevölkerung gegenüber dem Islam für ihre Zwecke sehr wohl zu nutzen wissen. So kommt es nicht von ungefähr, dass den Münchner Neonazis - durch einen Zufall wurde der Fall aufgedeckt - von der Generalbundesanwalt explizit vorgeworfen werden konnte, eine ganze Reihe von Anschlagszielen auf ihrer Liste gehabt zu haben - darunter die geplante neue Münchner Synagoge und Moscheen. Die Polizei konnte bei Festnahmen 14 Kilogramm Sprengstoff sicherstellen. Vorbild könnte ein geplantes Selbstmord-Attentat auf die Große Moschee von Paris gewesen sein, wo ein Rechtsextremer zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Ein Gericht in der französischen Hauptstadt verhängte weitere zwei Jahre auf Bewährung für den 31-jährigen Jean-Florian Trouchaud, der bereits einen Sprengsatz gebaut hatte. Die Anklage hatte erklärt, Trouchaud sei ein Terrorist, der von blindem Hass auf Araber getrieben werde.
Moscheestürmungen tragen nicht zur Versachlichung der Auseinandersetzung bei
Auf der anderen Seite finden in regelmäßigen Abständen Moscheedurchsungen statt - die in den meisten Fällen zwar „ergebnislos“ verlaufen, aber zumeist zu irreparablen Rufschädigungen der Gemeinden oder Einzelpersonen (siehe Beispiel weiter unten) führen. Darüber hinaus erfolgen sie – bis auf wenigen Ausnahmen - ohne plausiblen Grund in einer kriminalistisch dilettantischen Art und Weise – gefolgt von Debatten, die nicht selten in Richtung Generalverdächtigung gehen. Da fragt man sich: „Wie geht es weiter mit dem Islam in Deutschland?“
Bisher hat sich bei den groß angelegten mit deutschen Steuergeldern finanzierten und mit spektakulären pressebegleitenden Mocheedurchsuchungen kein Anhaltspunkt ergeben, dass mittelbar oder unmittelbar aus dem Umfeld der Muslime mit terroristischen Aktionen zu rechnen ist. Doch wer die Zeitung aufschlägt, die Nachrichten im Fernsehen verfolgt, bekommt nicht selten den Eindruck, als wäre das genau der Fall. Das hinterlässt Spuren und belastet das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen erheblich.
Ein Beispiel: Stürmung der Osmanischen Herberge und die Konsequenzen
Kurz nach dem Einfallen der Polizei am 27.06.03 – die gesamte Osmanische Herberge in der Eifel wurde hochgenommen und viele unbescholtene und zufällig anwesenden Besucher wurden z.T. wie Kriminelle behandelt - wurden alle Beschuldigten am selben Tage wieder frei gelassen und alle beschlagnahmten Gegenstände (außer die durch den Einbruch zerstörten natürlich) zurückgegeben, da sich die Aktion offenkundig als Fehlschlag erwies. Später fand ein offenes Gespräch zwischen dem für die Aktion verantwortlichen Bundesanwalt Boeter und den für die Osmanische Herberge verantwortlichen Sufi-Scheikh Hassan Dyck statt. Zu Beginn des Gespräches wies Boeter darauf hin, dass die Polizeiaktion in dieser Form aus seiner Sicht aufgrund der scheinbar großen Bedrohung und der Kürze der Zeit bedauerlicherweise notwendig gewesen sei. Die Aktion sei aber in keiner Weise gegen die Osmanische Herberge, die Sufis oder Anhänger des Islam im allgemeinen gerichtet gewesen, sondern sei nur aufgrund der auf den ersten Blick „schlüssigen und sehr detaillierten Hinweise“, so die Polizei, erfolgt. Später entblößte sich der „schlüssige Hinweis“: Ein psychisch gestörter Hinweisgeber hat von einer Bombenbedrohung durch die Herberge seinem Arzt erzählt, daraufhin hat dieser die Polizei verständigt.
Und bei aller Notwendigkeit des Gespräches der Polizei mit islamischen Gemeinde, wer wird sich an diese Klarstellung später noch erinnern, wenn überhaupt davon unterrichtet? Im kollektiven Gedächtnis haften bleibt die große auf dem Titelblatt des Kölner Expresse nicht zu überlesende Überschrift mit dem Konterfei von Dyck: „Legte er die Kofferbombe in Dresden? Terror-Razzia beim Eifel-Scheich“. Für alle Beteiligten sollte doch klar sein: Beim nächsten Mal lieber das Gespräch vorher suchen, oder?
Sicherlich wollte die Polizei und der Staat mit dieser Aktion keine Generalabrechnung mit den Muslime vornehmen. Doch angesichts der Unverhältnismäßigkeit der Mittel bleibt am Ende doch faktisch dieser emotionale Eindruck bestehen und damit wird dem Anschein einer Kriminalisierung des Islam Vorschub geleistet. Übrigens: Eine offizielle Entschuldigung seitens des Staates wegen des Einsatzes in der Eifel hat es bis heute nicht gegeben.
Momentane Auseinadersetzung stärkt die radikalen Kräfte
Innerislamisch ist die Folge, dass zwar vereinzelt aber mit zunehmender Tendenz Verschwörungstheorien kursieren, was wohl der Staat und die Gesellschaft angeblich mit den Muslimen vorhabe. Dies lässt die Mehrheit der integrationswilligen und friedvollen Muslimen die Haare zu Berge stehen und stellt die Verantwortlichen in den Gemeinden vor die schier unlösbare Aufgabe, jene Hitzköpfe vom Gegenteil zu überzeugen. Diese gefährliche Situation stärkt die radikalen Kräfte und schwächt die gemäßigten und moderaten Institutionen.
Und im selbem Moment versäumt sowohl die Politik es sträflich, wichtige vertrauensbildende Signale in Richtung Muslime zu geben; oft genug bekommt man den Eindruck, die alles überschattende Fundamentalismusdebatte lässt kaum noch Luft für seriöse und auf den Erhalt des Sozialfriedens ausgerichtete Äußerungen zu. Und nicht nur Muslime gelangen schnell in den Fundamentalismusverdacht, wenn sie sich für die Rechte der Muslime stark machen und ganz selbstverständlich an der Debatte (Kopftuch, Moscheebau etc.) teilnehmen. Auch jene Politiker und Journalisten, die besonnene Töne anschlagen, werden dann bisweilen als Naivlinge und blauäugig beschimpft oder man streitet ihnen einfach ihre eigenes Urteilsvermögen ab. Und angesichts der z.T. grotesken und mit wenig Fingerspitzengefühl geführten Kopftuchdiskussion hierzulande fragen sich viele Bürger: „Was kommt danach?“
Diese monokausale Form der Auseinandersetzung steht übrigens im krassen Missverhältnis zu den Aussagen, dass der Islam in Europa zu der großen Herausforderung – bis dahin scheinen sich alle einig zu sein – gehört. Denn gehe man diesem Gedankengang konsequent nach, dürfte sich eigentlich eine demokratische Gesellschaft wie diese in Deutschland nicht solche Einseitigkeiten erlauben und sollte – auch wenn es dem/der einen oder anderen persönlich nicht passt – die Muslime und ihre Moscheegemeinden – ob nun konservativ oder nicht - mehr in die Debatten einbeziehen. Doch häufig ist das Gegenteil der Fall und dies ist ein politischer Fehler, der hier einmal deutlich angesprochen werden muss. Veranstaltungen des Bündnis90/Die Grünen vor einigen Wochen in Berlin mit dem Titel „Islam einbürgern“ mit eben auch der Beteiligung der Muslime sind richtige Beispiele und passieren leider viel zu wenig. Doch sie müssten gerade jetzt verstärkt stattfinden, damit kein sprachliches Vakuum entsteht, die Vorurteile nicht weiter zementieret werden und das Gespräch nicht über die Köpfe der Muslime hinweg stattfindet. Sonst werden wir sehr bald schon das weitere Auseinaderklaffen der Gesellschaften beklagen und die Festigung der ohnehin schon fortschreitenden Segregation und geistigen Ghettobildung unter den Muslimen in Deutschland bedauern müssen. Aiman A. Mazyek