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Dienstag, 22.01.2013
Wider die Beliebigkeit im Islam
Anmerkungen zum Islambild von Mouhanad Khourchide nach seinem Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ - Von Mohammed Khallouk
Die Absicht von Mouhanad Khourchide (Professor der Islamischen Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster) ist eindeutig herauszulesen. Er zielt darauf hinaus, ein Islambild zu präsentieren und zu fördern, von dem er sich erhofft, dass es in der mehrheitlich nichtmuslimischen deutschen Gesellschaft auf Akzeptanz treffe. Hierin unterscheidet er sich kaum von der Majorität der katholischen wie evangelischen Theologen im deutschsprachigen Raum, die sich mit einem ähnlichen Bild von Jesus bzw. vom Christentum gelegentlich der Institution Kirche entgegenstellen, dafür aber in der kirchenkritischen Presse Popularität genießen. Die Tragik bei dieser prinzipiell ehrenwerten Absicht zeigt sich darin, dass auf diese Weise kaum das Bekenntnis zur Religion erhöht wird, sondern stattdessen ein Relativismus gefördert wird, der sich auf Theologen und Religionswissenschaftler als Rechtfertigung zu stützen versteht.
Mag es einerseits durchaus angemessen erscheinen, diejenigen nicht als „wahrhaftige Muslime“ zu bezeichnen, die zwar die religiösen Rituale buchstabentreu einhalten, in ihrem Alltagsleben die islamischen Werte „Liebe und Barmherzigkeit“ vermissen lassen und Hochmut gegenüber anderen zeigen, welche die Rituale nicht in gleicher Konsequenz einhalten wie sie selbst. Islam ist zweifellos mehr als lediglich das zwanghafte Einhalten von Geboten und Verboten, welches das klerikale Establishment im Judentum der alttestamentarischen Epoche kennzeichnete, und welchem Verständnis von Religion sich Prophet Mohammed eindeutig entgegengestellt hat (S. 125).
Jenes „Pharisäertum“ existiert zweifellos ebenso wie damals im israelitischen Priestertum unter nominellen Muslimen der gesellschaftlichen Gegenwart und geht mit einer Intoleranz Andersdenkenden und Andersgläubigen einher, die dem Geist des Islam nicht entspricht. Vor diesem Hintergrund ist Khourchides Diagnose, eine Reduzierung des Islam auf Rituale und diese wiederum auf „Pflichterfüllung“ fördere „Hochmut“ (S.107) berechtigt. Problematisch erscheint diese Sichtweise erst durch den Umkehrschluss, dem sogenannten „Islam im Allgemeinen“ (S.88), den Khourchide von einem „Islam im spezifischen Wege“ (S.89) unterscheidet, gehöre auch derjenige an, der Liebe und Barmherzigkeit zwar praktiziere, die Rituale jedoch weder einhalte noch an Gott glaube.
Die Aufteilung des Zwecks der Rituale in eine ethische und spirituelle Dimension mag theologisch einleuchten, sie erfordert jedoch, beide Dimensionen als zusammengehörig zu betrachten. Die ausschließliche „Hinwendung zu Gott“ (bei Khourchide die spirituelle Dimension, S. 106) ohne das „Streben zur Vervollkommnung des Menschen“ (bei Khourchide die ethische Dimension, S. 106) wäre demnach kein Islam. Gleichermaßen dürfte aber auch eine Beschränkung auf die ethische Dimension, die einen nicht wissentlich gläubigen Muslime ohne Praktizierung der spezifisch islamischen Rituale, die der spirituellen wie der ethischen Dimension dienen, kennzeichnet, nach dieser Definition kein Islam sein.
Indem Khourchide jedoch Angehörigen anderer Religionen und sogar Agnostikern, die allgemein Liebe und Barmherzigkeit praktizieren, das Muslimsein zubilligt (S.88), erweckt er - offenbar unbeabsichtigt - den Eindruck, diese Rituale seien nicht nur nicht notwendig, sondern man erhalte die ethische wie die spirituelle Dimension der Religion auch gänzlich ohne Glauben, nämlich mit Humanität allein. Dies ist ebenso eine Reduzierung des Islam wie die Seitens Khourchides den Fundamentalisten vorgehaltene Beschränkung auf reine buchstabentreue „Pflichterfüllung“ und letztlich geradezu die Aufforderung, die seinerseits propagierte „Frömmigkeit“ (S.106) vermissen zu lassen.
Khourchides berechtigte Kritik an den Fundamentalisten sollte Frömmigkeit in der Religion ausdrücklich nicht ausschliessen
Die Liebe und die Barmherzigkeit gehören zu dieser Frömmigkeit zwar untrennbar hinzu, ebenso aber der Glaube und die diesen bezeugenden Rituale, die nach Khourchides eigener Interpretation schließlich nicht in erster Linie der Pflichterfüllung, sondern geradezu der Praktizierung von Liebe und Barmherzigkeit dienen. In der Tat mag es unberechtigt erscheinen, jeden der sündigt (dies sind schließlich alle Menschen) ebenso wie jeden, der sich nicht selbst als Muslim bezeichnet, als Kafir zu diffamieren (S.90). Hierfür mag auch ein Verweis auf Adam, eigentlich Prophet und Vorbild im Glauben, jedoch zugleich Sünder, als Argumentationsstütze dienen. (S.91) Indem Khourchide jedoch dessen Bitte zu Gott um Vergebung seiner Sünden hervorhebt, belegt er die Inkonsequenz seiner eigenen Schlussfolgerung. Wie sollte ein Agnostiker, der Gott nicht kennt, zu ihm um Vergebung bitten, und warum sollte Gott einem Menschen seine Sünden vergeben, der ihn überhaupt nicht um Vergebung gebeten hat?
Die spirituelle Dimension der „Hinwendung zu Gott“ ist im Islam gleichermaßen wichtig wie die ethische Dimension der „Vervollkommnung des Menschen“, da jene Vervollkommnung ohnehin nicht durch den (grundsätzlich sündigen) Menschen selbst erfolgen kann und es hierzu notwendigerweise göttlicher Unterstützung bedarf.
So berechtigt die Abgrenzung eines „wahrhaftigen Islam“ von einem „nominellen Islam“ (der prinzipiell kein Islam ist) erscheint, und so notwendig das kontextgebundene Koranverständnis, besonders hinsichtlich juristischer Aussagen (S.136) für ein menschendienlichen, gesellschaftsförderlichen Glauben sich erweisen kann, ohne die Hinwendung zu Gott und ohne Einhaltung seiner Gebote, erweckt man zwar nicht den Zorn Gottes, versäumt es aber, wie Khourchide zurecht anmerkt, sein Leben zu reflektieren und kann sich Gott, der sich einem seinerseits die ganze Zeit zuwendet, nicht den Dienst zu erweisen (S.106). Man ist dementsprechend weder „fromm“ - zumindest nicht nach koranischer Definition - noch kann man berechtigterweise als Muslim bezeichnet werden.
Wenn für Khourchide die „Hinwendung zu Gott“ eine so zentrale Bedeutung einnimmt, wie er vorgibt, kann er nicht gleichzeitig demjenigen den Islam zubilligen, der sich Gott nicht zuwendet und seine Rituale – wissentlich oder unwissentlich – nicht praktiziert. Er sollte diesen zwar keineswegs – wie dies einige Fundamentalisten handhaben mögen – gesellschaftlich ausgrenzen und ihm mit Hochmut begegnen, muss jedoch eindeutig darauf bestehen, dass zum Islam auch der „spezifische Weg“, d.h. die spezifisch islamischen Grundsätze und Rituale untrennbar hinzugehören.
Zum Autor: Dr. Mohammed Khallouk ist Soziologe (Marburg), Islamwissenschaftler (Theologie in Rabbat) und Habilitand bei Prof. Michael Wolffsohn. Als wissenschaftlicher Berater des Zentralrates der Muslime in Deutschland (Beauftragter für Wissenschaftliche Expertise) wurde er kürzlich in den Beirat des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster berufen