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Leserbriefe

Sonntag, 25.05.2003



Silvia an Bernd:" Reconquista und Diktaturen" schrieb:




weder habe ich gesagt, dass nur Muslime unter Verfolgung leiden, noch das die islamische Geschichte keine dunklen Stellen habe. Wie ich bereits gesagt habe, sind die genannten Widersprüche eben auch bei Muslimen zu finden. Ebensowenig wollte ich Unrecht mit Unrecht aufwiegen, sondern lediglich darauf hinweisen, dass Muslime gerade in der heutigen Zeit sehr oft Opfer von den genannten Widersprüchen werden. Da die mediale Aufmerksamkeit sich fast ausschließlich auf radikale Terroristen konzentriert, erschien mir dieser Hinweis angebracht.

Zu Deiner Einschätzung der Reconquista als "kriegerische Konsequenz" auf den kriegerischen Akt der Eroberung: Natürlich war die Eroberung Spaniens durch die Muslime ein kriegerischer Akt, genauso wie Eroberungen zuvor durch die Griechen, die Römer, die Vandalen, die Westgoten und andere. Die Reconqista ging jedoch über eine "Rückeroberung" weit hinaus. Die Muslime haben zwar das Land erobert, aber nicht zur Konversion gezwungen. Die katholischen Könige haben aber genau das während der Reconqista in der seit 1478 staatlich organisierten Inquisition getan. Nicht nur Muslime, auch die Juden (die ihre Zeit unter muslimischer Herrschaft in Spanien als "goldenes Zeitalter" beschreiben) mußten entweder Christen werden, fliehen oder sterben. (Geflohen sind sie dann in muslimische Länder, ausser ins Osmanische Reich auch in den Maghreb.) Die muslimische Eroberung Spaniens führte zu einer Epoche, die von modernen spanischen Historikern als "Quelle und Wiege der Toleranz" (Castro) bezeichnet wird, die christliche "Rückeroberung" führte zur Ausrottung Andersgläubiger in Spanien.

Dieser Blick in die Geschichte ist übrigens vor allem auch für Muslime wichtig, damit sie sich auf ihre tolerante Tradition rückbesinnen können.

Doch soviel zur Geschichte.

Ich gebe Dir völlig recht, dass sich viele muslimische Länder, was religiöse Toleranz angeht, mal in Europa umschauen könnten (in Amerika leider nicht mehr). Ich bin sehr dafür, dass in den islamischen Ländern Demokratien entstehen, in denen eine pluralistische Gesellschaft möglich ist. (Ein Pluralismus, der nach dem Koran gottgewollt ist: "Und wenn Allah gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Er wollte euch aber in alledem, was Er euch gegeben hat, auf die Probe stellen. Darum sollt ihr um die guten Dinge wetteifern. Zu Allah werdet ihr allesamt zurückkehren; und dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr uneins waret." 5:48)

Wir haben es jedoch in vielen Ländern mit Diktaturen zu tun, in denen nicht nur Nichtmuslime, sondern auch die Muslime selbst verfolgt werden. Die Bevölkerung ist gegen die diktatorischen Regimes und wird deshalb unterdrückt. Unter solchen Umständen sind in diesen Ländern nicht mal die Muslime frei, erst recht nicht Angehörige anderer Religionen. Eine traurige Tatsache aber ist, dass Europa (Amerika sowieso, aber davon rede ich jetzt nicht) diese Diktaturen unterstützt, vor allem durch wirtschaftliche Hilfen. Menschenrechtsverletzungen werden stillschweigend toleriert. Bevor ein tolerantes Staatswesen entstehen kann, müssen die Diktaturen verschwinden. Die Überwindung der Diktatur ist natürlich die Aufgabe der muslimischen Gesellschaften selbst, aber die Haltung vieler westlicher Politiker, die auf der einen Seite Demokratisierung anmahnen, auf der anderen Seite aber Diktaturen unterstützen, wird die Toleranz in den islamischen Ländern nicht voranbringen.

Ich hoffe sehr, dass es eine Entwicklung zum Besseren gibt, bin aber unter den aktuellen Umständen eher skeptisch - obwohl ich nicht gerne pessimistisch bin.

Herzliche Gruesse, Silvia