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Mittwoch, 14.11.2012
Bevormundung statt offene und moderne Gesellschaft
Staatlich geförderte Integrationsstiftung fällt zum Thema Kopftuch nichts Besseres ein, als dass es in deren Bewerbungsratgeber zum Verzicht auf das Kopftuch aufruft
Das Gegenteil von gut ist nicht selten gut gemeint. Es wäre wohl zweifellos ungerecht gegenüber Jasmin und Christoph Hagmann, den Autoren des Ratgebers „Erfolgreich bewerben mit Migrationshintergrund“, oder der Deutschlandstiftung Integration, die 2008 von der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, und dem Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ) gegründet wurde und die das Buch in Zusammenarbeit mit den Autoren herausgebracht hat, unlautere Absichten vorzuwerfen.
Und dennoch werden nicht wenige Stimmen laut, die den Ratgeber, der das Ziel verfolgt, jenen zusätzlichen Hürden entgegenzuwirken, die ein Migrationshintergrund in einer nur bedingt diversitätsaffinen Gesellschaft bei der Bewerbung auf einen Arbeitsplatz mit sich bringt, unterm Strich in die Rubrik „gut gemeint“ einordnen wollen
Das Kopftuch als Indiz für eine bevorstehende Zwangsverheiratung?
Trotz des ehrenwerten Ziels, jungen Menschen mit Migrationshintergrund wichtige Ideen für den Start ins Berufsleben mitzugeben, sendet der besagte Ratgeber nach Auffassung von Kritikern bedenkliche Signale aus, die in einer freiheitlichen und auf Individualrechten gegründeten Gesellschaft nicht hingenommen werden dürfen.
Unter Berufung auf mehrere Berater der Bundesagentur für Arbeit, darunter auch auf deren Migrationsbeauftragten Hasan Altun, wird jungen Frauen aus der muslimischen Community in dem Ratgeber unverblümt nahegelegt, sich immer ohne Kopftuch zu bewerben und auch die Ausbildung ohne ein solches zu absolvieren.
Als Begründung dafür gibt man an, viele Arbeitgeber würden darin ein „Symbol der Unterdrückung“ sehen und Bewerberinnen unterstellen, in ihren Entscheidungen nicht frei zu sein, sich gegebenenfalls dem Willen der Familie beugen zu müssen. Bewerberinnen mit Kopftuch kämen, so der Bewerbungsratgeber, „auch bei muslimischen Arbeitgebern nicht immer gut an“ und gleichsam als Krönung gibt man folgenden Satz zum Besten: „Die Arbeitgeber fürchten – bewusst oder auch unbewusst -, dass die Auszubildenden zwangsverheiratet werden und die Ausbildung abbrechen könnten.“
Man kann natürlich den Autoren eines Buches, das bereits im März 2012 erschienen ist, nicht zusinnen, Gerichtsurteile vorauszuahnen wie jenes, das kürzlich ein Berliner Arbeitsgericht gefällt hatte – islam.de berichtete - in dem noch einmal ausdrücklich eine Diskriminierung von Menschen auf Grund ihrer religiösen Überzeugung als unzulässig judiziert worden war.
Unkenntnis relevanter Werteordnungen
Allerdings kann, darf und sollte man – insbesondere, wenn es sich um ein speziell für junge Menschen mit Migrationshintergrund verfasstes Werk handelt -, gewisse Grundkenntnisse vom Arbeitsrecht, von Antidiskriminierungsvorschriften und vor allem von der Werteordnung des Grundgesetzes mitbringen und anwenden.
Dies betrifft nicht nur die elementare Wichtigkeit, die bereits das Grundgesetz der Religionsfreiheit einräumt (sie gehört sogar zu den nicht verwirkungsfähigen Grundrechten gemäß Art. 18 GG). Es betrifft insbesondere auch das Wissen um die Kernaussagen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Vor allem aber sollte der praktische Verstand nicht ausgeschaltet werden. Und gerade, was die angeblichen Befürchtungen familiärer Querschüsse im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses anbelangt, soll das Mitspracherecht von Erziehungsberechtigten ja auch auf Grund des elterlichen Sorgerechts und zivilrechtlichen Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit zumindest bei Minderjährigen generell nicht unerheblich sein: Immerhin müssen Eltern minderjähriger Kinder beispielsweise einen Ausbildungsvertrag ohnehin mitunterschreiben, was ja zweifellos auch eine willkommene Chance für potenzielle Arbeitgeber wäre, das Gespräch mit diesen zu suchen und auf diesem Wege allfällige Fragen anzusprechen.
Darüber hinaus verrät der Inhalt des Bewerbungsratgebers auch grobe Unkenntnis über die alltägliche Realität innerhalb einer diversitätsorientierten Arbeitswelt. Der Großteil Kopftuch tragender Mädchen fällt Untersuchungen zufolge bereits in der Schule durch Freundlichkeit, Ehrgeiz, Selbstbewusstsein und Lerneifer auf und damit durch Qualitäten, die in Betrieben durchaus als erwünscht gelten.
„Ein Kopftuch sagt nichts über die Kompetenzen und Qualifikation einer Frau aus“
Entsprechend erschüttert zeigt sich auch Kamuran Sezer angesichts des vorauseilenden Gehorsams, der von den Autoren des Ratgebers kleingeistigen Vorurteilen gegenüber eingeübt und propagiert wird: „Es ist ein Armutszeugnis, jungen, selbstbewussten und gut ausgebildeten Frauen zu erklären, dass sie ihr Kopftuch ablegen sollen, damit sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Stattdessen sollten mit demselben Engagement Arbeitgeber davon überzeugt werden, dass ein Kopftuch nichts über die Kompetenzen und Qualifikation einer Frau aussagt, und schon gar nicht eine Bedrohung ist.“
Das Konzept einer offenen und diversen Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, Respekt und Toleranz als Tugenden zu betrachten und Vorurteilen entgegenzuwirken. Vor allem ist nicht erkennbar, wie Paternalismus und staatliche Bevormundung zu einer Stärkung der Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland führen sollen.
Quelle: Deutsch-Türkisches Journal, http://dtj-online.de