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Mittwoch, 07.11.2012

Braindrain der neuen muslimi­schen Elite - Von Aiman A. Mazyek

Grund: Anstatt die Werte von Gerechtigkeit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit – alles übrigens vom Grundgesetz verbriefte Rechte wie auch die Verteidigung der Menschenwürde (§1) – neu zu beleben, werden Vorurteile und Ressentiments gegenüber Minderheiten in Ermange­lung eigener Identitäten gepflegt und verteidigt

Die muslimischen Gemeinden in Deutschland sind angesichts der immer wiederkehrenden Ressentiments teilweise desillusioniert, was Anerken­nung ihrer Leistung und die Haltung des Angenommenseins als Teil des Landes seitens der Mehrheitsgesellschaft angeht. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wird verstärkt alle drei, vier Monate eine neue Sau durch das Dorf gejagt, was das Thema Islam und Integra­tion angeht. Das wirft kein gutes Licht auf den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, die natürlich wesentlich pluraler geworden ist, als es noch vor fünfzig Jahren zum Beispiel der Fall war. Zudem werden soziale Missstände im Kiez einfach auf den Islam, gleichsam eines Kategoriefeh­lers, zurückgeführt. Die ständige Islamisierung sozio-ökonomischer Probleme durch den Boulevard und durch hasserfüllte Islamkritiker erfüllt mittlerweile den Tatbestand des Rassismus, ohne dass sich dies der Gesellschaft richtig gewahr wird. Allzu gerne verortet man den mittlerweile kaum noch zu übersehenden Rassismus (NSU, Moscheeanschläge, Marwa El-Sherbini) zur Gewissensberuhigung dann beim Rechtsextremismus, obgleich er mittlerweile gepflegt über große Verlage (Thilo Sarrazin) oder auch aus dem Munde eines bald in Rente gehenden bekannten Bürgermeisters (Heinz ­Buschkowsky) daherkommt.

Ein Teil unserer Elite mag die jetzt so notwen­dige Bringschuld der Differenzierung nicht mehr aufbringen und flüchtet stattdessen in Sündenbock-Diskussionen (Zuwanderungsstopp, Asylantenüberflutung, Gewalt unter Muslimen). Anstatt, das Geschäft der Stärkung zu ­betreiben und das mehrheitlich Gemeinsame ­verschiedener Religionen hervorzuheben, versucht man das Trennende von Muslimen und Nichtmuslimen – künstlich en bloc – herauszudestillieren (Beschneidung) und das Andere als Gefahr zu verklären. Anstatt die Werte von Gerechtigkeit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit – alles übrigens vom Grundgesetz verbriefte Rechte wie auch die Verteidigung der Menschenwürde (§1) – neu zu beleben, werden Vorurteile und Ressentiments gegenüber Minderheiten in Ermange­lung eigener Identitäten gepflegt und verteidigt. Die Folge ist ein Braindrain der neuen muslimi­schen Elite, die nach erfolgreichen Studium hierzulande nach Istanbul re-immigriert oder in Katar, den Emiraten oder der USA die produk­tive Zeit ihres Lebens verbringen will, weil man dort ihre fachliche Kompetenz, wie auch die der Bikulturalität und Mehrsprachlichkeit zu schätzen weiß. Zudem hat sie erkannt, dass der Lakmustest, inwieweit Menschen-und Freiheitsrechte insbesondere gegenüber Minder­heiten eine Gesellschaft bereit ist ­einzulösen, nicht bestanden wird.



In stürmischen Zeiten, in denen das Weltfinanzsystem kurz vor dem Kollaps zu stehen scheint und in einer immer mehr materialistischen geprägten Gesellschaft nehmen Zukunftsängste signifikant zu, weil eben keine noch so gute Anlage von Lebens- oder Rentenversicherung (deren Aktien ­Weltspekulanten gerade verbrannten) sie schützt. Der ­wahre Beschützer, Ernährer und Erhalter des Menschen, bleibt stets Gott der Erhabene selbst. Weil aber die Menschen sich selbst vergessen, gerät auch Gott bei ihnen zunehmend in Vergessenheit.

Muslime haben dazu bisher kaum sichtbare und auch substantielle Angebote gemacht, wie sie das Problem bewältigen wollen und ihr Beitrag zur Verbesserung ­diese Situation bleibt bisher aus. Die muslimischen Eliten, wenn nicht schon ausgewandert, vermögen – bis auf wenige Ausnahmen – kaum auf Augenhöhe mit den hiesigen Eliten zu gehen; die muslimi­schen Verbände sind viel zu sehr mit dem Erhalt und Überleben der noch einigerma­ßen funktionierenden Gemeinden beschäftigt und die durchaus in Teilen rein dem Glauben des Islams zugewandten Neo-Salafisten verschrecken ihre Umwelt mit ­ihren berüchtigten Übertreibungen in der Religion und in Ermangelung einer selbstbewussten eigenen Identität (spiegelbildlich zu säkularen Fundamentalismen) glänzen sie derzeit eher mit folkloristischen Einlagen.

Erstveröffentlichung in der Islamischen Zeitung vom 02.11.12 mit freundlicher Genehmigung