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Samstag, 27.10.2012
Verfassungsschutz: Misstrauen als Bürgerpflicht und Schluss mit den haarsträubenden Schweinereien
Wir brauchen V-Leute - aber weniger und anders bezahlt und echte Kontrolle der Geheimdienste - Von Hans Leyendecker
Chaku-Chaku' ist ein Begriff aus der Arbeitswelt und meint, grob übersetzt, dass ein Beschäftigter an mehreren Anlagen, die er auf möglichst kurzen Wegen erreichen muss, Rohmaterial lädt und sich fertige Stücke holt. Neumodische System-Optimierer machen dann Vorschläge, wie die Arbeit angeblich besser und effizienter erledigt werden kann. Das Immer-besser-Prinzip gilt übrigens für fast alle Berufe. Nur die Welt der Nachrichtendienste war bisher außen vor.
Die Leute, die dort arbeiten, konnten sich auf geheimnisvolle Quellen oder auf vertrauliches Material berufen, das kein Außenstehender kennen oder sehen dürfe, weil alles geheim sei. Deshalb könne auch kein Berufsfremder über die Arbeit urteilen. Über ihre Erfolge dürften die Dienste (leider) nicht reden. Ob die Misserfolge wirklich Misserfolge seien, sei Ansichtsache: Kontrolle unerwünscht.
Der Umstand, dass die braune Terrorbande NSU zehn Menschen ermordete, ohne dass Nachrichtendienste und Polizei den Tätern auf die Spur kamen, hat jetzt Berufsfremde zum Zweck der System-Optimierung auf den Plan gerufen. Parlamentsausschüsse schauen sich die Arbeit der Geheimniskrämer genauer an und liefern fast jede Woche eine Fortsetzung mit immer haarsträubenderen Schweinereien. Vor diesem Hintergrund sehr erstaunlich ist es, wenn immer noch ein leibhaftiger Staatssekretär im Bundesinnenministerium, der in anderer Funktion Teil des handwerklichen Problems war, unter Verweis auf die Geheimnisregeln dicke tut; so geschehen vorige Woche in Berlin. Die Chuzpe, die der Spitzenbeamte Klaus-Dieter Fritsche bewies, dürften sich Vertreter anderer Berufsgruppen in ähnlichen Situationen nicht erlauben. Fritsche hat im Fall NSU in anderer Funktion versagt und dürfte jetzt wegen Unbelehrbarkeit nicht länger mit der Aufklärung betraut werden.
Aus dem, was die Parlamentarier bislang zutage gefördert haben, lassen sich erste Schlüsse ziehen: Zunächst und vor allem braucht es mehr Transparenz. Natürlich wäre ein durchsichtiger Geheimdienst ein Widerspruch in sich, aber das Geheimnisgetue ist oft nur Firlefanz und verdeckt handwerkliche Schwächen. In Papieren etwa, die 'amtlich geheim' gestempelt wurden, reiht sich Fehleinschätzung an Fehleinschätzung. Angeblich könnte die Kenntnis solcher Verschlusssachen durch Unbefugte die Sicherheit im Land gefährden - was eine Mär! Wahr ist doch, dass die geheimen Papiere oft nur die erschreckende Ahnungslosigkeit ihrer Verfasser verraten. Schließlich kann man den Mördern vieles vorhalten, aber nicht dass sie sich nicht an die falschen Analysen der Dienste gehalten haben. Allerdings: Wenn man Behörden wegen erwiesener Unfähigkeit des Personals auflösen würde, müsste man mit den alten Mitarbeitern wieder neu anfangen; sinnvoll wäre das nicht.
V-Leute sind notwendig, aber ihre Arbeitsbedingungen müssen geändert werden
Dienste stützen sich bei ihrer Arbeit, die viel mit der Bewertung von radikalen Strömungen und deren Strategien zu tun hat, oft auf V-Leute aus der Szene, die kriminell, dreist oder geldgierig waren. Im Thüringer Heimatschutz, der Heimat der Terrorbande, standen sich die V-Leute fast auf den Füßen - und was kam dabei raus? V-Leute sind notwendig, aber ihre Arbeitsbedingungen müssen geändert werden. Der Staat braucht weniger davon, die er aber nach Leistung bezahlen müsste. V-Mann-Führer, die offenbar zu sehr die Freiheit im Amt genossen haben, müssen besser kontrolliert werden.
Verschwörungstheorien sind Unfug, aber angesichts der vielen offenen Fragen im Fall NSU wird Misstrauen zur Bürgerpflicht. Die bleierne Selbstgewissheit und die trotzige Rechthaberei einiger Vertreter der Sicherheitsbranche machen klar, dass mit dem Chaku-Chaku der Dienste ohne echte Kontrolle endlich Schluss sein muss.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Hans Leyendecker. Erstveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung vom 22.10.12