Für den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, ist der Umgang mit Rassismus in Deutschland viel zu lau: „Es ist völlig unverständlich, wie blass die Reaktion auf den Angriff auf Stephan Kramer war“, sagte Mazyek. „Hass und Übergriffe insbesondere auf Muslime und Juden“, die „immer offener ausgetragen“ würden, seien „vor allem Anschläge auf unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft“, sagte Mazyek. Dies nachlässig zu behandeln, mache es möglich, dass die Täter immer weiter Terrain gewönnen. „Wir haben in unserem Land kein Nazi-Problem, sondern wir haben eines mit einem Rassismus, der in die Mitte der Gesellschaft drängt.“ Die Beschneidungsdebatte, die „polemisch und mit wenig Sachverstand geführt“ worden sei, habe diesen Trend leider verstärkt und „die Hemmschwelle bei nicht wenigen weiter gesenkt, gegen Juden und Muslime vorzugehen“.
Kramer war am jüdischen Feiertag Jom Kippur nach eigener Aussage am Olivaer Platz in Charlottenburg auf dem Rückweg von der Synagoge beleidigt und bedroht worden. Um den 30-Jährigen, der ihn attackierte, von weiterer Aggression abzuhalten, habe er ihm die Waffe gezeigt, die er bei sich trug. Der Mann hat nun seinerseits wegen Bedrohung Strafanzeige gegen Kramer erstattet. Eine andere jüdische Berlinerin zeigte am selben Tag einen Taxifahrer an, der sich geweigert haben soll, sie zur Synagoge in der Fasanenstraße zu fahren. Ende August war Rabbiner Daniel Alter zusammen mit seiner siebenjährigen Tochter nahe seiner Wohnung im Schöneberger Stadtteil Friedenau von vier Jugendlichen antisemitisch beleidigt und zusammengeschlagen worden. Der frühere Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Berliner Technischen Universität, der Historiker Wolfgang Benz, warnte allerdings vor Alarmismus: „Der real existierende Antisemitismus war nie auf Extremisten in der rechten Schmuddelecke beschränkt. Er ist immer auch in der Mitte der Gesellschaft positioniert.“
(Erstveröffentlichung: DER TAGESSPIEGEL)