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Donnerstag, 05.07.2012

Muslime befürchten nach NSU-Desaster „gefährliches Eigenleben“ beim Verfassungsschutz

ZMD mahnt grundlegende Reformen für den Verfassungsschutz an - Bessere Kontrolle für Landesämter gefordert - Rechtsanwälte verklagen Geheimdienst



Der Zentralrat der Muslime forderte eine stärkere Aufsicht des Bundes über die Landesverfassungsschutzämter. In einem Gespräch mit Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) sagte der Vorsitzende Aiman Mazyek: „Einige Ämter, etwa in Thüringen und Sachsen, koppeln sich offenbar zu stark vom Bund ab und führen etwa beim Einsatz von V-Leuten ein gefährliches Eigenleben.“ Die „dubiose Rolle“ der V-Leute müsse umgehend aufgeklärt werden.

Eine ähnliche Position vertreten auch Politiker der schwarz-gelben Koalition: Der FDP-Geheimdienstexperte Hartfrid Wolff und der Innenausschuss-Vorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) halten die derzeitige föderale Struktur für nicht sehr effizient. Mitunter wird eine Zusammenlegung mehrerer Dienste erwägt.

Der Zentralratsvorsitzende forderte von dem scheidenden Bundesverfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm, dass dieser bei der Sitzung des Bundestagsuntersuchungsausschusses am heutigen Donnerstag begangene Fehler offenlege. „Er muss den Finger in die Wunde legen und sagen, wo überall Fehler gemacht und schlampig gearbeitet worden ist“, sagte er.

Eine Abschaffung der Verfassungsämter sei aber nicht der geeignete Weg so Mazyek. „Sie stellen ein wichtiges Frühwarnsystem für unsere Demokratie dar, dürfen aber selbst nicht mehr wie bisher als politischer Akteur in Erscheinung treten“, sagt er. Zugleich wandte sich Mazyek gegen einen sofortigen Rücktritt von BKA-Chef Jörg Ziercke. „Wenn die Fehler zu groß sein sollten, bin ich mir sicher, dass der Präsident selbst weiß, welche Konsequenzen zu siehen sind“.

Die Grünen-Vorsitzende Roth sieht das Konstrukt der Verfassungsschutz-Behörden vor der „politischen Insolvenz“, wie sie der „Frankfurter Rundschau“ sagte. Der Innenexperte der Linksfraktion, Jan Korte, nannte den Verfassungsschutz eine Gefahr für die Demokratie.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“: „Wir müssen über die Abschaffung des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern nachdenken.“ Er forderte zudem den Rücktritt von BKA-Chef Ziercke.

Verfassungsschutz wird verklagt

Mehrere Rechtsanwälte haben gestern wegen der Vernichtung von Akten im Fall der Neonazi-Terrorzelle bei der Karlsruher Bundesanwaltschaft Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Bundesamtes eingereicht. Diese hat die Anträge an die Staatsanwaltschaft Köln weitergeleitet.Damit drohen dem Verfassungsschutz nun auch juristische Konsequenzen dafür, dass just an dem Tag, als bekannt wurde, dass für eine Reihe ungeklärter Morde der rechtsextremistische NSU verantwortlich war, ein Mitarbeiter Akten über V-Leute in der rechten Szene in den Schredder schob.

Die Behörde hatte indes in den 90er-Jahren offenkundig keinen Mitwisser oder Beschuldigten des Nationalsozialistischen Untergrunds als V-Mann angeworben oder geführt. Das bestätigte gestern der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD). Dies sei das Ergebnis der Prüfung von insgesamt 45 Aktenordnern zur sogenannten Operation „Rennsteig“, die der Verfassungsschutz den Mitgliedern des Ausschusses zur Verfügung gestellt hatte.