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Dienstag, 05.06.2012

Die geballte Polizei-Intelligenz in Deutschland hat versagt

Zu einem neuen Reportagebuch über die Zwickauer Neonazi Zelle – Die Aufarbeitung bedeutet auch die Zusammenhänge Neonazi, Stasi und DDR zu beleuchten - Von Rupert Neudeck

Das Buch hat es geschafft, mich wütend zu machen. Es erscheint, nachdem wir zwar harmlose Untersuchungsausschüsse hatten im Bundestag und im Thüringischen Landtag. Aber nach der größten Polizei und Ermittlungspanne, die es in unserem Lande gegeben hat, sagen alle Chefs der Verfassungsschutzämter und alle Landesinnenminister und die Bundesinnenminister: Sorry mein Name ist Hase und wir wussten von fast gar nichts. Nachdem die Zelle schon fünf (!) Banküberfälle erfolgreich und sicher über die Bühne gebracht hat, mehrere Morde so einfach exekutiert hat, der letzte fünfte Überfall in Zwickau Auerbach am 25. September 2001 erfolgte, stellte die Staatsanwaltschaft am 15. September 2003 die Fahndung ein. Straftaten wie die „Vorbereitung eines Explosionsverbrechens“ verjähren nach fünf Jahren. Die Polizei weiß noch nicht, dass die Zelle in der Zwischenzeit Morde und Banküberfälle begangen hat. Eine Woche nach der Einstellung des Verfahrens überfällt das Trio die Sparkasse in Chemnitz, der sechste Banküberfall.

Noch katastrophaler: Die geballte Polizei und BKA Intelligenz, wenn man das Wort noch benutzen kann, trifft sich im Oktober 2003 in Schwäbisch Hall, um sich über die Gefahr rechter Terrorgruppen auszutauschen. Alle Teilnehmer der Bund-Länder-Konferenz sind nach mehreren Morden dieser Szene und nach sechs Banküberfällen sicher, „dass derzeit keine Nazianschläge geplant würden“.



Oktober 2003: Die rechtsextremistische Szene lehne „terroristische Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele nahezu einhellig ab“. Am 25. Februar 2004 wird der nächste Ausländer, der Türke Mehmet Turgut in dem Dönerimbiss in Rostock mit einer Ceska Pistole mit einem langen Schalldämpfer mitten ins Gesicht exekutiert. Am 9. Juni 2004 stellen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt (zu dem Trio gehört noch die Beate Zschäpe) eine selbstgebastelte Nagelbombe mit 5,5 Kg Schwarzpulver und tausend Zinknägeln vor dem Friseurladen „Kuaför Özcan“ in der Kölner Keuptstrasse ab. Um 15.56 wird die Bombe gezündet. Die Nicht-Gewalt-bereite Szene erwischt 24 Menschen, die „nur“ schwer verletzt sind. ‚Glücklicherweise’ für die Ermittlungsdienste gibt es kein Bekennerschreiben. Also verkündet die Staatsanwaltschaft Köln einen Tag nach dem Bombenattentat, es gäbe „keine Hinweise auf eine terroristische Lage“. Bundesinnenminister Otto Schily sonst der harte Hund unter den bisherigen Bundesinnenministern, sagt: „Die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu“.

Der Ausschluss eines – wie man so verniedlichend sagt – fremdenfeindlichen Motivs ist gewaltig in der Wirkung. Liebe Mitbürger mit Fremden-Hintergrund – passt auf, wenn euch einer abknallt und er erklärt vorher, dass er gerade nur in der Stimmung sei, Dich abzuknallen, dann ist das alles nicht so schlimm. Dann sind die fremdenfeindlichen Motive nicht gegeben. Dabei habe ich mit meinem einen Semester Jura schon gelernt, dass es die kausale und die finale Handlungslehre im Strafrecht gibt. Entscheidend muss doch sein, dass jemand einen Mord begeht, ob er den aus den richtigen oder gutachterlich ermittelten falschen Motiven begeht, ist doch erst mal gleichgültig. Mord muss doch Mord bleiben. . Als ob nicht ausreichen würde, mehrere Morde hintereinander an Menschen zu begehen, die eindeutig deutsche Mitbürger geworden sind und die aus Anatolien oder der Türkei kommen. „Dönermorde“ waren das, ja, so hat glorios eine Nürnberger Zeitung geschrieben und alle vornehmen gazetten haben das Wort übernommen, wie toll.

Natürlich, dieses zwielichtige Milieu konnte die Polizei nicht aufklären, da laufen zu viele Blutrache- und oder familiäre Rache-Banden mit dem langen Messer im Mund herum, die gern herummorden, Ehrenmorde gleichsam. Noch schlimmer nach der Lektüre dieses Buches, das die über ganze zehn Jahre dauernde  Polizei und Ermittlungspanne aller staatlicher Dienste beschreiben: Noch kein Verfassungsschutzchef noch kein Innenminister noch kein verantwortlicher Politiker ist bisher zurückgetreten.

Noch hat sich Otto Schily für seine katastrophale Falscheinschätzung bei den Mordopfern entschuldigt. Nicht mal die sonst so aufmerksamen Wächter des Zentralrats der Juden oder der Israelischen Botschaft sind aufgetreten, um uns Deutschen wegen der Neo-Nazis ins Gewissen zu reden, was sie sonst sofort öffentlich tun, wenn sie (z.B.) katholischen Bischöfen sagen, sie sollten nicht solche obszönen Erklärungen an der Mauer in Palästina geben, das sei an der Grenze zum Antisemitismus. Nichts – bis heute Untersuchungen der Weißwäscherart. Einer nach dem anderen, jetzt auch noch der an sich so kluge Ex-Innenminister von Bayern, Beckstein, wäscht seine Hände in Unschuld.

Wir hatten zwar eine bewegende Veranstaltung, bei der an Stelle des gerade zurückgetretenen Bundespräsidenten die Bundeskanzlerin spricht. Aber das war es dann auch. Die Neonazi-Mörder sollen gefälligst ausländerfeindliche Motive klar sichtbar auf der Stirn tragen, ehe sie einen Ausländer oder Deutschen mit Migrationshintergrund erdolchen. In unserer freien deutschen Republik haben wir weiter ein verqueres Verhältnis zu denen, die zu uns kommen, um bei uns zu lernen, zu studieren, Geld zu verdienen oder auch als Bürger zu bleiben. Jetzt kommt noch etwas hinzu als drittes Problem. Wir müssen erkennen, dass es eine Rechtsradikale Szene gibt, die sich über zehn Jahre in Deutschland herummordend und herumhurend betätigt hat und der bisher niemand das Hand werk legen konnte. Liest man dieses Buch über den Terror von Rechts, dann fällt dem Leser auf, wie hilflos Behörden sind, die auch bisher eindeutig gegen alle Formen von Links-Terrorismus und von Ausländer und muslmischen Terrorismus angesetzt und eingeübt waren. Gegen Neonazis, wenn es die denn gibt, hat man bisher wenig getan.

Eine ausländerfreie Zone kann es in Troisdorf am Rhein – meiner Heimatgemeinde - nicht geben

Das Buch macht darauf aufmerksam, dass da im Osten Deutschlands etwas entstanden ist, was man bei jungen Menschen erst mal verstehen muss, um es dann nicht verzeihen zu können. Aus reiner Opposition wurden junge Menschen in dem, was die DDR war, zu Hitler-Verehren, zu Verehrern des Zweiten Weltkrieges, der Wehrmacht usw. Das ist verstehbar, weil die DDR entgegen ihrem offiziellen Anspruch eben die Nazizeit nicht als deutsche historische Last bearbeitet hat, sondern die Nazis nach Westdeutschland zu der Adenauerrepublik  geschoben hat. In der DDR blühte der offizielle Antifaschismus. Der verband sich aber mit einer angeordneten Ausländerfreundlichkeit, die umso verlogener war, als die Bewohner der DDR gar keinen Kontakt zu den Ausländern haben durften. Das ganze verlogene Kartengebäude brach für die DDR-Brüder und Schwestern in sich zusammen. Und plötzlich merkten wir Deutschen, dass der Schoß, aus dem das kroch, doch noch fruchtbar war und ist. Besonders in der ex-DDR. Oder korrekt gesagt, damit das auch korrekt klingt, in den neuen Bundesländern. Wir müssen uns dafür anklagen, dass uns eine bestimmte Ideologie daran hinderte, zu erkennen, wieweit wir durch solche Neonazi-Anwandlungen im Osten, zumal bei den Jugendlichen zurückgeworfen wurden. Wenn diese jungen Leute ihre Eltern und Lehrer als feige Mitläufer erlebt hatten, die aber nach der Wende nicht zugeben wollten, dass sie feige Ganoven waren, dann war die Sache noch schlimmer. Dazu kommt noch all das, was Hans Leyendecker in seinem Vorwort berichtet über das Versagen ordentlicher und die Nachtruhe in Deutschland respektierender Sicherheitsdienste.

Ich würde weitergehen, der Verfassungsschutz, der uns einredet, dass die Muslime hier nichts zu suchen haben, und die besten Moscheegemeinden (z.B. Penzberg südlich von München, der Süddeutschen Zeitung wohl bekannt!)unter Beobachtung stellt, ist ebenso gemeingefährlich wie der Geheimdienst, der so viele under-Cover Agenten in die NPD einschleust, dass wir Deutschen auch im Jahre 2012 nicht in der Lage sind, die offizielle braune Pest als Partei verbieten zu lassen. Wir erlauben uns eher den Luxus, dass die NPD bei der Aufklärung der Zwickauer Neo-Nazi Gruppe im Ausschuss des Thüringen Landtages mitmachen und damit auch nicht öffentliche Erkenntnisse auswerten darf, als dass wir den Schwachsinn der Dienste Beobachtung einstellen. Das Buch erschreckt mich, auch und gerade wenn ich wie unser Bundespräsident Joachim Gauck der Überzeugung bin, dass diese Bundesrepublik das beste Gemeinwesen seit Urgedenken in deutscher Geschichte ist. Die Gruppe dieser Neonazis ist zum Fürchten mit ihren Mordplänen. Die Morde sind noch immer nicht gesühnt, was auch damit zusammenhängt, dass manche Morde ja nicht so schlimm sind wie andere, wenn man nicht das Motiv des Fremdenhasses herausbekommt. Wenn das so ist, dann hat ja ein Neonnazi den Ausländer nur mal erschlagen und getötet und darf mit mildernden Umständen rechnen. Jedenfalls sehen unsere Schutzbehörden nicht den Wald vor lauter Bäumen. Sie gehen in die Wohnungen derer hinein, der die Bomben mit TNT basteln – sind aber nicht in der Lage, die Mörder Uwe Börnstadt und Uwe Mundlos festzunehmen. Erschreckend, dass solche Neonazis unbewusst sich der Unterstützung von etablierten Parteien vergewissern können.

Die Autoren zitieren den CDU-MdB Rudolf Krause, der im Februar 1992 in einem Papier Ausländer angreift als „rumänische Zigeuner“ oder kriminelle Polen. Er beklagt, dass in Deutschland „kriminellen Asylbetrügern mehr Herzenswärme entgegengebracht wird als den eigenen Volksgenossen“. Und das Buch zitiert den Fraktionsvorsitzenden der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Klaus Landowsky: Es ist auch viel Abschaum an Kriminalität in die Stadt gekommen, von China, über Russland, Rumänien usw. “Er ist dankbar, dass der Senat hetzt gegen die Verslumung Berlins vorgeht, gegen Müll. „Es ist nun mal so, Wo Müll ist, sind Ratten, und wo Verwahrlosung ist, ist Gesindel. Und das muss beseitig werden in der Stadt“. Solche Worte hätten die Neonazis in Zwickau als Auftragsbestätigung genommen. Unsere politische Korrektheit will uns weismachen, dass es alles das unterschiedlos in ganz Deutschland geben kann. Nein, muss ich dazu sagen: Eine ausländerfreie Zone kann es in Troisdorf am Rhein – meiner Heimatgemeinde - nicht geben. Wer das versuchen würde, der würde möglicherweise nicht mit der Polizei zu tun bekommen, aber mit aufgebrachten Bürgerinnen und Bürgern meiner Gemeinde. Nicht ein Tag könnte so etwas hier bei uns existieren, was man in dem Osten Deutschlands Monate, ja jahrelang kennt.


Christian Fuchs/John Goetz: Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland“. Rowohlt Verlag Reinbach 2012 265 Seiten