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Sonntag, 08.04.2012

Warum Islam in den staatlichen Religionsunterricht? Von Eva El-Shabassy

Am 22.12.2011 hat der Landtag in Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach beschlossenDa mag sich der  eine oder andere im Lande vielleicht gefragt haben, was der Grund für diese Entscheidung  war. Obwohl es heute bei manchen Bürgern und Politikern Überlegungen und Bestrebungen gibt, den Religionsunterricht ganz aus der Schule zu verbannen und durch ein Fach Ethik zu ersetzen, ist doch ein Großteil weiterhin der Meinung, dass der Religionsunterricht einen wichtigen Beitrag zur grundlegenden Bildung der Schüler – auch der muslimischen! - leisten kann.

Besonders in unserer Zeit, in der die starke  Individualisierung  und Pluralisierung teilweise zu einer Ent-Sozialisierung geführt hat, sehen verantwortliche Politiker, so wie die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes es taten, in der Religion einen zumindest potenziell sinnstiftenden und stabilisierenden gesellschaftlichen Faktor. Naturwissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Fragen, die in unserer Welt eine zentrale Stellung eingenommen haben, geben keine Antwort auf die Fragen des Menschen nach dem Woher und Wohin und nach dem Sinn des Lebens und befriedigen nicht das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Halt. Ein Schulfach Ethik kann solche Fragen zwar aufgreifen und gesellschaftlich nützliches Handeln lehren, und  wissenschaftliche Erkenntnisse und Nützlichkeitserwägungen können ein moralisch-ethisches Verhalten durchaus unterstützen. Sie gewinnen jedoch wesentlich an Verbindlichkeit, wenn Menschen sich ihrem Schöpfer gegenüber verantwortlich fühlen, und wenn darüber hinaus die theoretischen Lehren in einer Gemeinschaft von Gläubigen erfahren und praktiziert werden können.     

Wissen und Erkenntnis sind nach islamischem Verständnis Elemente des Glaubens und ihre Grundlegung und Förderung muss Anliegen des Islamischen Religionsunterrichts sein. Demzufolge sollen im Religionsunterricht Werte und Verhalten grundgelegt werden, die sich aus dem Glauben herleiten und auf Wissen und Einsicht basieren. Auf diese Weise kann der Religionsunterricht den Kindern und Jugendlichen Hilfe und Anregung geben, wie sie ihr Leben gestalten und bewältigen können. Nicht blinde Übernahme und Imitation traditioneller Formen der Glaubenspraxis können das Ziel sein, sondern intellektuelle Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten und islamischer Tradition, die eine mündige Glaubensentscheidung und einsichtiges und eigenverantwortliches Handeln ermöglichen. Neben dieser kognitiven Glaubensdimension steht im affektiven Bereich die Anbahnung von Gottvertrauen und einer  optimistischen Weltsicht. Für Muslime ist eine Glaubenspraxis ohne und außerhalb der muslimischen Gemeinschaft kaum denkbar. Aufgabe des Islamischen Religionsunterrichts ist es daher, den Schülern die Wechselwirkung zwischen Gemeinschaft und Individuum bewusst zu machen -  aufmerksam zu machen auf die Bedeutung der zwischenmenschlichen Beziehungen und der gesellschaftlichen Bedingungen für die Entwicklung des Einzelnen, aber auch auf das Gelingen von islamischer wie allgemein menschlicher Gemeinschaft durch die Nutzung unterschiedlicher Fähigkeiten und das Zusammenwirken ihrer Mitglieder.    

Besonders in andersgläubiger Umgebung bietet die Gemeinschaft Stütze und Halt. Tugenden wie Freundlichkeit, Großmut, Gerechtigkeit etc. können in der unmittelbaren Gemeinschaft erfahren und geübt werden. Die so gemachten Erfahrungen fördern die Erkenntnis, dass Ungerechtigkeit und Unterdrückung beseitigt werden müssen, wenn friedliches Miteinander gelingen soll. Ziel ist letztlich der mündige Muslim, der aktiv und selbstverantwortlich an der Gestaltung von Gesellschaft und Staat teilnimmt.    

In einem multikulturellen, mehrheitlich nicht-islamischen Umfeld ist die aktive, reflektierte Auseinandersetzung mit der Religion nicht nur die Basis für ein stabiles islamisches Selbstbewusstsein, sondern zugleich auch Voraussetzung für Verständnis und Respekt Andersdenkenden gegenüber: Toleranz gegenüber den eigenen Glaubensbrüdern und -schwestern, die in sich schon ein breites Spektrum an Traditionen und Denkweisen vertreten, wie auch gegenüber Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen.     Gegen einen konfessionellen Religionsunterricht (evangelisch, katholisch, jüdisch und nun auch islamisch) spreche – so wird argumentiert -, dass in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft wie der unseren ein Kennenlernen der verschiedenen Religionen im Klassenverband größere gegenseitige Toleranz fördere. Toleranz übe ich aber nicht, wenn ich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Religionen und  Konfessionen verwische. Toleranz übe ich erst da, wo ich eine eigene Überzeugung habe und trotzdem eine andere anerkenne und respektiere.    

Eine eigene Überzeugung bildet sich aber nicht da, wo mir alles gleich - gültig ist. Besonders junge Menschen brauchen zunächst ein Gerüst, an dem sie sich orientieren können, und das ihnen hilft eine Identität aufzubauen. Erst dann können sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten wirklich erkennen und sich für die Bildung ihrer eigenen Persönlichkeit zunutze machen.  Und wenn sich ein eigener Standpunkt gebildet hat, dann ist Toleranz gefragt gegenüber den anderen. Das muss gelernt und eingeübt werden und das ist ein wichtiges Anliegen jedes Religionsunterrichts.    

Die Tatsache, dass die Botschaft von der Einheit Gottes und der Verantwortlichkeit des Menschen von Anbeginn bis heute bei allen Propheten der drei großen monotheistischen Religionen die gleiche ist, kann in einem christlich-jüdisch geprägten Umfeld gemeinschaftsbildend wirken. Auch wenn Unterschiede zwischen den Religionen nicht verwischt werden sollen, ist es doch genauso wichtig, Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen und zu nutzen, um ein friedliches und konstruktives Miteinander zu fördern.

Eva El-Shabassy (Grundschullehrerin) ist Beauftragte für Pädagogik und Religionsunterricht des Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und Sprecherin des Ausschusses für Pädagogik des KRM. Kürzlich ensandte der ZMD sie als Mitglied des Beirats für die Einführung des islamischen Religionsunterrichts in Nordrhein-Westfalen