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Donnerstag, 05.04.2012

Interview mit Islamic Relief Gründer über humanitäre Hilfe in Syrien

Dr. Hany El Banna, Gründer von Islamic Relief besuchte kürzlich Deutschland. El Banna ist Präsident des Humanitarian Forum, eines Bündnisses internationaler humanitärer Hilfsorganisationen. Er verfügt über profunde Kenntnisse in der humanitären Arbeit. Vollständiges Interview.

Sehr geehrter Herr Dr. El Banna, wie sehen Sie die humanitäre Lage in Syrien im Moment?

Dr. Hany El Banna: Die humanitäre Situation in Syrien hat sich seit dem letzten Jahr verschlechtert. Innerhalb Syriens kümmert sich lediglich der Syrische Rote Halbmond um humanitäre Belange. Dieser leistet zwar eine hervorragende Arbeit dabei, Flüchtlingen innerhalb des Landes zu helfen. Aber wir glauben, wie alle großen internationalen Hilfsorganisationen, dass dies dennoch nicht ausreichend ist, um der großen, drängenden Not der Menschen in Syrien zu begegnen. Insbesondere was die ernste Lage der medizinischen Versorgung von kranken oder verwundeten Menschen angeht.

Die internationale humanitäre Bewegung und die internationale Gemeinschaft appellieren an die syrische Regierung, allen seriösen internationalen humanitären Organisationen zu erlauben, dem Syrischen Roten Halbmond dabei zu helfen, das Leiden der Menschen zu lindern. Es gibt keine genauen Zahlen dazu, wie viele Menschen genau in Syrien Hilfe benötigen. Schätzungen gehen aber von 1,5 Millionen aus. Was gebraucht wird, ist die Möglichkeit einer ununterbrochenen Lieferung von Hilfsgütern durch UN-Organisationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sowie deren Mitglieds- oder Partnerorganisationen.

An den Grenzen zu Syrien in der Türkei, dem Libanon und Jordanien sind mittlerweile über 200.000 Menschen aus Syrien angekommen. Allein die Zahl der in Jordanien lebenden syrischen Flüchtlinge beträgt rund 70.000 bis 80.000 Personen – ohne jene, die Jordanien in Richtung anderer Länder wieder verlassen haben. Im Libanon wird die Zahl auf über 50.000 geschätzt. Die meisten von ihnen leben im Bekaa-Tal und im Norden des Landes. In der Türkei sind es rund 15.000 Flüchtlinge. Die Kapazitäten der Hilfsorganisationen an den Grenzen müssen noch weiter aufgebaut werden. Die lokalen Organisationen in den Nachbarländern Syriens geben ihr bestes, aber auch das reicht nicht aus.

Die türkische Regierung versucht nun, einen sicheren humanitären Korridor zu erreichen, aber ob das von der syrischen Regierung akzeptiert wird, ist unklar. Dies könnte allerdings auch eine noch größere Zahl von Syrern dazu ermutigen, die Grenze zur Türkei zu überschreiten. Die UN, die Arabische Liga, die Organisation für Islamische Zusammenarbeit und die Europäische Union sind nun aufgerufen, sich für humanitäre Belange innerhalb Syriens einzusetzen und das Leben von Menschen zu retten.

Islamic Relief hilft bereits den syrischen Flüchtlingen im Libanon, der Türkei und Jordanien. Gibt es eine Chance, dass Islamic Relief in absehbarer Zeit auch in Syrien tätig werden kann?


Dr. Hany El Banna: Islamic Relief hat ein Büro im Libanon und eine Vertretung in Jordanien. In der Türkei arbeiten wir mit Partnerorganisationen zusammen. Islamic Relief plant aber auch, Menschen innerhalb Syriens zu helfen. Ohne die Zugangserlaubnis für Islamic Relief von der syrischen Regierung, oder die Möglichkeit der Kooperation mit den Organisationen des Internationalen Roten Kreuzes, ist das nicht möglich. Im Moment versucht  Islamic Relief, zusammen mit der internationalen humanitären Bewegung Einfluss auf die syrische Regierung auszuüben.

Wie schätzen Sie die humanitäre Lage in anderen arabischen Ländern derzeit ein, beispielsweise in Nordafrika?

Dr. Hany El Banna: Die Hilfe von Islamic Relief in Tunesien begann im März 2011. Damals ging es vor allem um die Betreuung von Flüchtlingen, die aus Libyen nach Tunesien kamen, dann aber auch um den Transport von Hilfsgütern für die Menschen innerhalb Libyens, insbesondere in der Region Bengasi. Nachdem im März 2011  die meisten Hilfsorganisationen Tunesien wieder verlassen hatten, konzentrierte sich Islamic Relief darauf, Hilfe von Tunesien nach Libyen zu bringen.

Der Einsatz von Islamic Relief Tunesien dauerte insgesamt über ein Jahr an.Aktuell braucht Libyen vor allem Hilfe beim Aufbau der Infrastruktur, insbesondere durch den Aufbau der Kapazitäten lokaler Organisationen und der libyschen Regierung. Tunesien hingegen benötigte nicht so viel Hilfe, da der Aufstand dort nur etwa 20 Tage dauerte. Tunesien hat allerdings ein Problem mit Armut  – ähnlich wie Libyen, Ägypten, Jemen, Syrien und andere Länder auch. Das ist allerdings ein Langzeit-Problem.

Wie beurteilen Sie die sich ankündigende Hungerkrise im Jemen?

Dr. Hany El Banna: Islamic Relief ist seit 2002 mit einem Büro im Jemen vertreten. Derzeit gibt es Konflikte sowohl im Norden als auch im Süden des Landes. Im Moment müssen zwei Hauptprobleme angegangen werden. Das eine ist das kurzfristige Problem einer sehr hohen Arbeitslosigkeit, die seit etwa einem Jahr besteht, und das andere ist die Frage der Armutsminderung und der Ausbildung von Menschen, um eine längerfristige Entwicklung im Jemen zu erreichen.

Islamic Relief muss aktuell den Bedürfnissen der Menschen insbesondere im Süden des Landes nachkommen, beispielsweise in Abyan. Diese Nothilfe wird für etwa drei bis sechs Monate notwendig sein, danach muss man sich wieder der längerfristigen Unterstützung zuwenden, wie Islamic Relief sie schon vor der Krise im Jemen geleistet hat. Dabei geht es vor allem um die innere Stabilisierung der Gesellschaft.

Haben die politischen Veränderungen in einigen arabischen Ländern auch die Möglichkeiten für Islamic Relief, in diesen Ländern tätig zu sein, verbessert?


Dr. Hany El Banna: Im Jemen war Islamic Relief schon tätig bevor der „Arabische Frühling“ dort begann. Was Libyen betrifft, so ist es einfacher geworden, denn zuvor war Islamic Relief dort nicht vertreten; das gleiche gilt für Tunesien.

In Ägypten ist Islamic Relief schon seit längerem aktiv, mit dem sehr dynamischen Frühförderungsprojekt für behinderte Kinder. Jetzt hat Islamic Relief auch ein eigenes Büro in Ägypten und ist offiziell als Hilfsorganisation akkreditiert. Es wird also in Zukunft leichter für Islamic Relief, in Ägypten zu arbeiten. Denn Islamic Relief ist jetzt in Ägypten eine inländische und keine ausländische Organisation mehr.  In Syrien hingegen war Islamic Relief bisher nicht tätig. Gegenwärtig versucht Islamic Relief, den Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Aber es ist nach wie vor schwierig; und es ist wie schon erwähnt bisher nicht möglich, innerhalb Syriens zu helfen.

Dr. El Banna, Sie sind Präsident des Humanitarian Forum, eines Kooperationsverbundes muslimischer und nichtmuslimischer internationaler Hilfsorganisationen. Was sind die wesentlichen Herausforderungen der humanitären Arbeit heute, insbesondere für muslimische Hilfsorganisationen?


Dr. Hany El Banna: Eine der größten Herausforderungen ist geeignetes, qualifiziertes Personal, denn oft haben muslimische Organisationen hier Defizite. Das zweite ist der Mangel an anerkannten und vertrauenswürdigen muslimischen und arabischen Hilfsorganisationen. Der dritte Punkt ist der Krieg gegen den Terrorismus und damit zusammenhängende Maßnahmen, die es für wohltätige muslimische Organisationen fast unmöglich gemacht haben, Gelder zu transferieren -– selbst an ihre eigenen Büros.

Ein weiteres Problem ist die fehlende Unterstützung der Regierungen für unsere Aktivitäten. Viele Regierungen in der arabischen und muslimischen Welt unterstützen nicht die Arbeit von Hilfsorganisationen vor Ort. In diesem Zusammenhang ist auch das Problem der Nationalisierung und Verstaatlichung von humanitärer Hilfe zu nennen. Viele Regierungen gründen halbstaatliche Organisationen, um entsprechende Aufgaben zu erfüllen. Dadurch verhindern sie aber eine Befähigung der Zivilgesellschaft, die in diesen Bereichen tätig werden könnte.

Außerdem gibt es Zurückhaltung, Gelder an muslimische Hilfsorganisationen zu geben, ebenfalls bedingt durch den globalen Krieg gegen den Terror. Problematisch ist auch das mangelnde Verständnis vieler Organisationen über das internationale Recht hinsichtlich humanitärer Fragen und humanitärer Prinzipien. Diese sind sehr wichtig, was die internationale Arbeit angeht. Dieses Manko betrifft leider einen großen Teil der muslimischen Hilfsorganisationen. Nachholbedarf besteht auch bei der guten Organisationsführung (Good Governance) der Hilfsorganisationen. Muslimische Hilfsorganisationen müssen darüber hinaus auch verstärkt Brücken zwischen einander sowie zu ihren jeweiligen Regierungen bauen. Man sollte ein positives Bild der Regierungen haben, kein negatives. Wir brauchen Koordination zwischen den Organisationen, nicht Wettbewerb.

Und schließlich haben wir die Schwierigkeit, dass muslimische Spender schwer von neuen Arten, zu helfen und ihre Spenden einzusetzen, zu überzeugen sind. Sie möchten, dass ihre Spenden für Wasser, Nahrungsmittel, Waisen oder den Bau von Moscheen ausgegeben werden, aber nicht für Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen oder anwendungsorientierte Forschung. Dieses Problem stellt sich insbesondere bei der Verwendung der Zakat, der religiösen Pflichtabgabe.


Interview exklusiv zur Verfügung gestellt durch: Islamic Relief Deutschland