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Donnerstag, 15.03.2012
Der täglich unterschätzte Terror
Neuer Nazi-Anschlag gegen Imbissbetreiber in Sachsen-Anhalt – Enge Kontakte zwischen NSU und NPD aufgedeckt und neuerdings wieder mehr Morddrohungen von Rechts gegen ZMD
Der Mann hat immer noch Angst. "Ich schlafe schlecht, ich habe Alpträume", sagt der türkische Imbissbetreiber. Seinen Namen möchte er keinesfalls veröffentlicht sehen. Seit dem 25. Februar will der Mann nur noch weg aus Mücheln der 9.000 Einwohner zählenden Kleinstadt im Süden von Sachsen-Anhalt.
An jenem Sonnabend randalierten mutmaßliche Rechtsextremisten in seinem Lokal. Die Angreifer hätten ihn getreten und verlangt, bis zum 20. April müsse er den Imbiss schließen, sagt er. Der 20. April ist das Datum von Hitlers Geburtstag. Der Mann klagt, die von seiner Frau zu Hilfe gerufene Polizei habe den Angriff nicht ernst genommen. "Ich habe aus dem rechten Ohr geblutet", sagt der Imbissbetreiber. "Als die Beamten kamen, haben sie bei mir einen Alkoholtest gemacht und gesagt, ein Arzt sei nicht nötig." Sachsen-Anhalt, so scheint es, muss sich wieder einmal mit einem problematischen Einsatz von Polizisten auseinandersetzen. Das Verhalten der Beamten sei "ungeschickt und flapsig" gewesen, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle.
Von den Schlägern, der Imbissbetreiber erinnert sich an sechs Personen, hat die Polizei zwei Männer ermittelt. Der 20-Jährige und der 54-Jährige seien "justiziell bekannt", sagt der Staatsanwalt. Die Vorwürfe lauten nun auf gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung. Bei dem Angriff ging auch eine Scheibe zu Bruch. Gegen den Türken liegt ebenfalls eine Strafanzeige vor. Er soll dem 54-Jährigen ein Hämatom zugefügt haben.
Erst in der vergangenen Legislaturperiode hatte ein Untersuchungsausschuss des Landtages Versäumnisse der Polizei bei der Bekämpfung rechter Kriminalität beleuchtet. Einer der härtesten Fälle waren die Fehler der Polizei bei einem Überfall von Neonazis auf Schauspieler in Halberstadt im Juni 2007.
Innenminister trifft Opfer
Bei dieser Geschichte fühlt sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Rüdiger Erben, an den Fall Halberstadt erinnert. "Der Fall Mücheln ist wie Halberstadt: Die Polizei erkennt die Tragweite des Angriffs nicht und kümmert sich zu wenig um das Opfer." Nun soll Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) auf einer Sondersitzung des Innenausschusses befragt werden.
Stahlknecht ist verärgert über die örtliche Polizei. Schon als die Frau des Imbissbetreibers den Notruf absetzte, habe ein Beamter nachlässig reagiert. Der Minister erfuhr auch erst durch einen Brief des türkischen Generalkonsuls in Hannover von dem Angriff. Stahlknecht will nun ein Zeichen setzen. An diesem Dienstag traf er sich mit dem Imbissbesitzer und dessen Frau bei dem Konsul in Hannover. Seit dem Vorfall traue sich kaum ein Kunde in das Lokal, sagt der Betreiber. Ihm drohe der Ruin. Die Mobile Opferberatung Sachsen-Anhalt hat eine Spendenaktion eingeleitet.
Gestern hat der türkische Generalkonsul Tunca Özçuhadar den Imbiss-Betreiber und seine Lebensgefährtin in Hannover empfangen. Zu dem Treffen wurde auch der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU), eingeladen. Der Minister versprach, Fehler des Polizeieinsatzes weiter aufzuarbeiten. Das Verhalten der Beamten bezeichnete er als „desaströs“ und „unprofessionell“. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sprach sich ebenfalls für eine Aufarbeitung des Falles aus und kündigte entsprechende Konsequenzen an. Schließlich gehe es um den Ruf und das Image unseres Landes.
NPD, NSU und die Morddrohungen gegen ZMD
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hat zwischenzeitlich wegen einer gezielten Hassmail-Attacke Strafanzeige bei der Polizei eingereicht. Vor einigen Tagen sind über ein Dutzend solcher Mails eingegangen, die Mord- und Bombendrohungen gegen Mitarbeiter und auch den Vorstand des Verbandes beinhalteten. Trotz NSU-Aufdeckung und Aufklärung über den zunehmenden strukturellen Rassismus in Deutschland haben die Hassdelikte zugenommen. Schon lange plädiert der ZMD für ein TaskForce bei der Polizei – ähnlich wie das eigens eingerichtete Zentrum gegen Pädophilie -, um die Urheber dieser Straftaten besser aufspüren zu können.
Unterdessen tritt nach ARD-Recherchen hervor, dass die Kontakte enger als bisher bekannt waren zwischen dem stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden und Thüringer Landeschef Frank Schwerdt und Mitgliedern und Helfern der NSU.
In einem Interview mit der ARD räumte Schwerdt ein, dass Uwe Mundlos, eines der mutmaßlichen NSU-Mitglieder, Ende der neunziger Jahre mindestens ein Mal als Fahrer für ihn tätig war. Auf einem der ARD vorliegenden Foto vom 17. Januar 1998 ist er außerdem mit der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe bei einer Demonstration in Erfurt zu sehen. Nur zehn Tage später tauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in den Untergrund ab. (Quellen: Eigene, ZEIT.de, jacobjung.wordexpress, türkisches Generalskonsulat)