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Donnerstag, 08.03.2012

Terror und 77-facher Mord aufgrund Islamhass: Anklageschrift gegen Anders Breivik

Breivik hat seine Taten gestanden, bestreitet jedoch Strafschuld, da er sich in einem Krieg gegen Multikulturalismus, Marxismus und die "islamische Machtübernahme" in Norwegen sieht

Vorsätzliche Tötung in 77 Fällen unter "besonders verschärfenden Umständen", Terror gegen öffentliche Institutionen, schwere Sachbeschädigung und die Verbreitung von Schrecken und Todesangst: Die Anklageschrift gegen den rechtsradikalen Attentäter von Oslo, Anders Behring Breivik, hat keine Parallele in Norwegens Geschichte, seit 1945 der Naziführer Vidkun Quisling als Landesverräter hingerichtet wurde.

Auf Breivik wartet vermutlich die Zwangseinweisung in eine psychiatrische Anstalt. Die Ankläger gehen vorerst davon aus, dass der Täter in psychotischem Zustand gehandelt habe und daher strafrechtlich gesehen nicht zurechnungsfähig sei. Die Staatsanwälte Inga Bejer Engh und Svein Holden lassen sich jedoch eine Hintertür offen. Falls "neue Umstände" dafür sprächen, behalten sie sich vor, statt der Verwahrung in der Psychiatrie die Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis zu beantragen, sagte Engh. Nachdem ein erstes gerichtspsychiatrisches Gutachten Breivik als paranoid schizophren eingestuft hatte, ordnete das Gericht eine zweite Untersuchung an. Sämtliche Gutachter werden in dem Prozess, der am 16. April beginnen soll, aussagen. Davon wollen die Ankläger ihren Strafantrag abhängig machen.

Die gestern in Oslo veröffentlichte Anklageschrift rollt die Verbrechen wieder auf, die am 22. Juli 2011 ganz Norwegen erschüttert hatten: wie Breivik eine in einem Lieferwagen versteckte Bombe vor dem Regierungsgebäude detonieren ließ, anschließend nach Utøya fuhr, wo die sozialdemokratische Jugend ihr Sommerlager hielt, und dort kaltblütig 80 Minuten lang in einer falschen Polizeiuniform auf die Jugendlichen schoss, ehe endlich die Polizei eintraf und der Täter sich widerstandslos ergab. Acht Menschen wurden durch die Bombe zerfetzt, 69 in Utøya ermordet, 56 von ihnen im Alter von 14 bis 20 Jahren. Alle Todesopfer und 42 durch die Bombe und die Kugeln Verletzte sind namentlich in der Anklageschrift erwähnt. Hunderte weitere Mordversuche, bei denen Breivik die Opfer verfehlte, bleiben ungesühnt, um den Prozess nicht unüberschaubar zu machen. Insgesamt befanden sich laut Anklage rund 325 Menschen zum Tatzeitpunkt im und in unmittelbarer Nähe des Regierungsgebäudes und 564 Personen auf Utøya. Deren bei der Flucht erlittenen Verletzungen und die psychischen Nachwirkungen bleiben in der Anklage unerwähnt, was zu Kritik führte.



Ehe das 19-seitige Dokument gestern veröffentlicht wurde, war es Breivik in der Ila-Haftanstalt verkündet worden. Er habe es "völlig ruhig" zur Kenntnis genommen, sagte Jo Nielsen, der Leiter der 22/7-Abteilung der Polizei. Laut den Verteidigern habe die Schrift "enthalten, was man erwarten konnte". Breiviks Anwalt Geir Lippestad will auf ausdrücklichen Wunsch seines Klienten auf "zurechnungsfähig" plädieren. Er will mildernde Umstände geltend machen, da Breivik gegenüber der Polizei zusammenarbeitswillig sei, da er während seines Gemetzels mehrmals angerufen habe, um sich zu ergeben, und weil er die jüngsten Lagerteilnehmer verschont habe. Es sei seine Aufgabe, alle Argumente, die für seinen Klienten sprächen, vorzubringen, sagte Lippestad. Dass dies tatsächlich zu einer Strafreduzierung führen könne, gilt angesichts des Ausmaßes der Verbrechen als völlig ausgeschlossen.

Da am Schuldspruch kein Zweifel besteht, konzentriert sich das Interesse vor dem auf zehn Wochen anberaumten Prozess auf die Straffolge. Ist Breivik unzurechnungsfähig, müssen Ärzte alle drei Jahre seinen Zustand prüfen. Theoretisch könnte er freikommen, sobald er für gesund erklärt ist. Dies muss jedoch von einem Gericht beschlossen werden, und schon die Anklageschrift unterstreicht die Wiederholungsgefahr. Ist der Täter straffähig, warten 21 Jahre Gefängnis. Auch danach könnte Breivik in Verwahrung gehalten werden, wenn er weiterhin als gemeingefährlich eingestuft wird. Breivik hat seine Taten gestanden, bestreitet jedoch Strafschuld, da er sich in einem Krieg gegen Multikulturalismus, Marxismus und die "islamische Machtübernahme" in Norwegen sieht.