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Leserbriefe

Montag, 22.07.2002



Z. Nouri: Stellungnahme zum Kopftuch-Urteil - Integration? schrieb:


Kopftuch-Urteil: Wider einer demokratischen Integrationskultur
Zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4.7.2002

nach meiner Einschätzung standen die Aussichten 50:50. Das Gericht urteilt nach Aktenlage anhand verwaltungsmäßiger Gesetze. Wie soll man von einem Verwaltungsgericht gesellschaftspolitische, dem Geist der Verfassung verpflichtete Urteile erwarten? Das ist in der Tat Aufgabe gesellschaftlicher, politischer und konfessioneller Gruppierungen. Hierzu gehört auch die Aufklärung über die wahren Werte des Islams sowie die politische und gesellschaftliche Präsenz, aber auch Medienarbeit. Die Islamische Charta des ZMD - Zentralrat der Muslime in Deutschland (siehe www.islam.de) ist ein guter Anfang, aber bei weitem nicht ausreichend, zumal sie von den Medien praktisch nicht wahrgenommen wird.
Man sollte nur banal aufzählen, wie oft und in welchem Zusammenhang das Wort Islam und seine Ableitungen in den Medien vorkommt. Wenn in den Medien der Islam fast ausschließlich mit negativen Attributen in Zusammenhang gebracht, jedoch die wahren Botschaften des Islams und die vielfältige islamische Wirklichkeit in Deutschland ignoriert wird, so braucht man sich über das Urteil und seine überwiegend anteilslose Kommentierung in den Medien nicht wundern.

Frau Schavan, Kultusministerin in Baden-Württemberg, die die politische Verantwortung für die Ablehnung von Frau Ludin trägt und diese Ablehnung vor zwei Jahren öffentlich vehement vertrat, gehört übrigens zum Kompetenzteam von Herrn Stoiber. Für die Etablierung einer demokratischen Integrationskultur in Deutschland sicherlich keine glückliche Wahl. Hoffentlich blüht uns keine zweite Debatte über die Leitkultur nach den Wahlen im September.

Auch die SPD tut sich schwer mit dem Thema Integration, wie das Interview von Innenminister Schily in der Süddeutschen Zeitung v. 28.6.2002 zeigt. Herr Schily vertritt hierin das Konzept der ASSIMILIERUNG!!!!! als der Weg zur Integration in Deutschland. Das schlimmste aber war, dass sich die Reaktion der SPD-Parteigrößen entweder in Schweigen oder beschwichtigenden Worten mit einem leisen Ton der Kritik erschöpfte. Von einer sozialdemokratischen Partei hätten wir eine klare und eindeutige Stellungnahme erwartet, die sich mit Nachdruck für den Minderheitenschutz und gegen einen fatalen kulturellen Einheitsbrei wendet und Herrn Schily öffentlich rügt.

Wohltuend in diesem Zusammenhang ist die Stellungnahme der kirchenpolitischen Sprecherin der Liberalen Marita Sehn v. 4.7.02, zu lesen unter www.islam.de. Frau Sehn wörtlich: "Wir brauchen dringend eine Diskussion darüber, wie andere Religionen in die Gesellschaft integriert werden können. Diese Entscheidung sollte nicht über die Gerichte, sondern muss auf politischer und gesellschaftlicher Ebene Erfolgen. Die Kirchen könnten in dieser Diskussion einen großen Beitrag leisten...".

In Deutschland leben mehr als drei Millionen Muslime. Ihre Integration, d.h. ihnen gesellschaftlich und politisch die verfassungsmäßig verbrieften Rechte (und Pflichten) in einer demokratischen Integrationskultur zu ermöglichen, ist eine große nationale Aufgabe. Partein, Kirchen, und alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen sind dazu aufgerufen, auch ausserhalb von Wahlterminen, diese Aufgabe engagiert und ihrer Bedeutung entsprechend anzupacken.

Aber auch die Muslime in Deutschland sind aufgerufen, sich mehr im gesellschaftlichen Leben zu engagieren...sich mehr zu integrieren. Es ist die Zukunftssicherung unserer Kinder und Enkel. Auch nicht praktizierende Muslime sollten sich um die Wahrung und Weitergabe ihrer kulturellen Identität kümmern.
Es ist eine familiäre und gesellschaftliche Aufgabe und zugleich ein Beitrag zur erwünschten demokratischen Vielfalt...zu einer demokratischen Integrationskultur.

Solange eine Muslima wegen des Tragens eines Kopftuches mit beruflichen oder gesellschaftlichen Nachteilen rechnen muss (anderes als ihre Geschlechtsgenossinen mit einem Kreuz oder Judenstern auf der Brust), solange gibt es viel zu tun auf dem Weg zu einer demokratischen Integrationskultur.

Um Missverständnissen vorzubeugen, ist diese Zuschrift rein privater Natur und gibt lediglich meine persönliche Meinung wieder.

Z. Nouri