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Freitag, 13.01.2012
Nazi-Gewalt und Rassenhass gehen weiter
Neue Anschläge auf muslimische Einrichtungen – ZMD weist alle Mitglieder an, die örtlichen Polizeidienststellen aufzusuchen - Weil Teile unserer Gesellschaft weg gucken, terrorisieren Neonazis weiter – Umfrage: Vertrauen der Migranten in Sicherheitsbehörden und Politik nimmt dramatisch ab, nicht jedoch in die deutsche Gesellschaft als Ganzes
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD)hat auf die bisher unzureichende Aufarbeitung des Neonazi-Terrors und sein Gefahrenpotentials reagiert. Der Verband ruft wegen der aktuellen Bedrohungslage seine Gemeinden dazu auf, die jeweiligen örtlichen Polizeidienststellen aufzusuchen, um einen Sicherheitscheck durchzuführen.
„Unsere Moscheen haben großen Beratungs- und Informationsbedarf angesichts der vielen ungeklärten und weiterhin stattfindenden Anschläge. Viele sind in Angst, dass wieder etwas passieren kann. Die Gemeinden wollen konkret von der Polizei wissen, wie sie sich besser schützen können und wie die Sicherheitsbehörden dies in Zukunft machen wollen“, erklärte heute in Köln die ZMD-Generalsekretärin Nurhan Soykan die Aktion des Zentralrates.
Sie kündigte zudem an, dass dieses Thema auch Gegenstand der nächsten Sitzung mit den Präsidenten des Bundeskriminalamtes und Bundesverfassungsschutzes Anfang Februar sein wird.
Rechtsradikale machen weiter: Anschläge und gewaltsame Übergriffe in Hamburg, Darmstadt, Franken und Berlin
Nach einer kurzen Atempause, durch die Aushebung eines Terrornetzes in Zwickau bedingt, geht offenbar der Rechtsterror in Deutschland weiter. In der Nacht zum Neujahr kurz nach Sylvester wurden durch drei Angreifer mehrere Brandsätze auf eine Moschee in Hamburg-Hamm geworfen. Auf dem Gelände befinden sich die Geschäftsräume von DITIB-Nord, der Landesverbände für Hamburg und Schleswig-Holstein, sowie der Sitz vom Attaché für religiöse Angelegenheiten der Türkei. Es entstand Sachschaden. Dass nichts Schlimmeres passierte oder gar Menschen zu Schaden kamen, ist lediglich der Tatsache geschuldet, dass der Imam der Moschee den Angriff frühzeitig entdeckte und die in Eile geworfenen Brandsätze nicht gleich zündeten. Ein Brandsatz wurde zurückgelassen. Die Polizei schließt einen islamfeindlichen Akt nicht aus.
In Darmstadt haben Unbekannte einen Brandsatz gegen eine Moschee geschleudert. Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben in "alle Richtungen" und schließt einen fremdenfeindlichen Akt nicht aus. Wie erst jetzt bekannt wurde, ereigneten sich noch weitere Anschläge und Vorfälle in Hessen. An Neujahr brannte in Hessisch-Lichtenau (Werra-Meißner) ein Döner-Imbiss, Tage davor war in einem Döner-Laden in Neuhof (Fulda) ein Feuer ausgebrochen. Zudem brannte es in einem Lager eines Kasseler Moschee-Vereins.
Gräfenberg, Fürth, Weißenburg, Ansbach das sind Städte in Franken (Bayern): Dort sorgen Neonazis und der braune Mob seit geraumer Zeit für Bedrohung und Gewalt z.T. durch Randale wie die Beschädigung von Autos. Die Grünen fordern nun, dass auch Innenminister Herrmann endlich genauer hinschaut.
In Berlin ist ein 23 Jahre alter Indonesier (Hamit T.) letztes Wochenende von drei Unbekannten in Prenzlauer Berg erst fremdenfeindlich beleidigt und dann zusammengeschlagen worden. Als er am Boden lag, traten die Täter ihm so heftig gegen den Kopf, dass er eine schwere Verletzung des Halswirbels erlitt - laut Ärzten die Vorstufe zum Genickbruch. Der für politische Straftaten zuständige polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Die gesuchten Schläger sind dem Aussehen nach der rechten Szene zuzuordnen.
Resonanzboden für Anschläge und Terror gegen Muslime und Migranten ist mitunter größer geworden
Seit Jahren finden diese Anschläge statt. Oft bleiben sie nur eine Randnotiz in den Zeitungen. Zudem haben wir es bis heute noch mit einer Vielzahl von unaufgeklärten Morden und Anschlägen mit rechtsradikalen Hintergrund zu tun, wie das Bespiel der Hinrichtung des libanesischen Imbissverkäufers Anfang November letzten Jahres im sächsischen Döbeln zeigt. Dort feierten übrigens im letzten Jahr 800 Menschen Sarrazin bei einer Veranstaltung wie einen Popstar. Auch die NPD hieß dort Sarrazin willkommen.
Ein Rechtsruck in der Gesellschaft ist allenthalben feststellbar, der Resonanzboden für Anschläge und Terror gegen Muslime und Migranten ist mitunter größer geworden. Vor zehn Jahren wäre nach solchen Anschlägen unter dem Eindruck von Solingen und Mölln noch ein Aufstand der Anständigen ausgerufen worden. Das Gefühl, dass jeder Brandsatz auf ein Gotteshaus, egal welcher Religion, ein Brandsatz auf die Gesellschaft ist, das fehlt.
Umfrage: Vertrauen in Sicherheitsbehörden erschüttert
Unterdessen ergab eine repräsentative Umfrage, wonach das Vertrauen der in Deutschland lebenden Türken in die Sicherheitsbehörden und in die Politik nach der NSU-Mordserie erschüttert ist. Dennoch bisher wollen die meisten in Deutschland bleiben, weil sie immer noch der Gesellschaft eine erfolgreiche Überwindung dieser Staatskrise zutrauen.
Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungszentrums Data 4U, die im Auftrag der Hacettepe Universität in Ankara durchgeführt wurde. So sind 85 Prozent der über 14-jährigen befragten Türkeistämmigen überzeugt, dass die Zwickauer Terroristen staatliche Unterstützung erhalten haben oder vom Staat gedeckt bzw. beschützt wurden.