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Die Berufsfreiheit


Der Text zu Artikel 12 lautet:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.


Die Berufsfreiheit ist im Grundgesetz (GG), in Artikel 12 Absatz 1 verbürgt. Daneben garantiert Artikel 12 Absatz 2 und Artikel 12 Absatz 3 die Freiheit von Arbeitszwang und von Zwangsarbeit. Der Schwerpunkt der Ausführungen soll indes auf Art. 12 Absatz 1 GG liegen.

Was meint das Grundgesetzt mit dem Begriff „Beruf“ eigentlich?

Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichtes ist der Beruf jede auf Dauer angelegte, nicht sozial- oder gemeinschaftsschädliche Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.

Sozialschädliche Tätigkeiten werden nicht vom Berufsbegriff umfasst. Als solches wird z. B. der Drogenhandel, das „Berufsverbrechertum“, die Zuhälterei und die Spionage angesehen. Der Schwarzarbeiter und auch die Prostituierte können sich inzwischen auf die Berufsfreiheit berufen. Dies war nicht immer so und lange Zeit unter den Gelehrten umstritten.

Artikel 12 Absatz 1 gewährleistet also zunächst die Berufsfreiheit.

Dem Wortlaut des Artikel 12 Absatz 1 ist weiter zu entnehmen, dass auch die Berufsausübung, die freie Wahl des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte garantiert werden sollen.

Aber auch die sogenannte negative Berufsfreiheit ist durch Artikel 12 Absatz 1 geschützt. Das bedeutet, dass die Berufsfreiheit sogar denjenigen schützt, der keinen Beruf ausüben möchte und sein Leben z. B. mittels seines ersparten Vermögens gestalten möchte.

Darüber hinaus verpflichtet Artikel 12 in Verbindung mit dem ebenfalls im Grundgesetz verbürgten Sozialstaatsprinzip, den Staat gegen Arbeitslosigkeit vorzugehen. Ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes resultiert daraus gleichwohl nicht.

Wer kann sich eigentlich auf die Berufsfreiheit berufen – und vor allem – wer nicht?

Der erste Absatz von Art. 12 beginnt mit „Alle Deutschen“. Dieser Formulierung ist bereits zu entnehmen, dass die Berufsfreiheit aus Artikel 12 zunächst nur deutschen Staatsbürgern gewährt werden soll. Artikel 12 ist ein sogenanntes „Deutschengrundrecht“. Daneben gibt es in der deutschen Verfassung aber auch sogenannte „Jedermann-Grundrechte“, deren Träger alle Menschen sein können. Wer Deutscher im o.g. Sinne ist, erklärt Artikel 116 Absatz 1 GG.

Überwiegend anerkannt ist, dass sich auch ein Staatsbürger eines der EU-Mitgliedstaaten auf die Berufsfreiheit berufen kann, obwohl in Artikel 12 die Formulierung „Alle Deutschen“ aufgenommen ist. Dass sich auch EU-Bürger auf „Deutschengrundrechte“ berufen können, gebietet die Tatsache, dass EU-Bürger deutschen Staatsbürgern gleichgestellt werden müssen, um so dem im Europarecht garantierten Diskriminierungsverbot gerecht zu werden. Das Diskriminierungsverbot ist in Artikel 18 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (im Folgenden „AEUV“) sowie in Artikel 21 der EU-Grundrechtscharta geregelt. Das Diskriminierungsverbot ordnet eine Gleichstellung aller EU-Bürger in allen Mitgliedsstaaten an, so dass sie in allen EU-Ländern denselben Schutz genießen.

Im Gegenzug bedeutete dies aber auch, dass sich z. B. ein türkischer Staatsbürger nicht auf die Berufsfreiheit aus Artikel 12 berufen kann. Er ist ja weder deutscher Staatsbürger im Sinne des Artikel 116 Absatz 1 GG, noch ist er (zurzeit) EU-Bürger.

Stellt das Grundgesetz also diesen türkischen Staatsbürger schutzlos dar? Natürlich nicht! Auch der türkische Staatsbürger kann natürlich in seiner Berufsfreiheit verletzt sein. Anders als der deutsche Staatsbürger oder der EU-Bürger kann sich der türkische Staatsbürger jedoch „nur“ auf das sogenannte Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Artikel 2 Absatz 1 GG berufen.

Macht dieser Umstand denn einen Unterschied? Leider ja. Es macht einen Unterschied, ob sich jemand auf Artikel 12 GG oder auf Artikel 2 GG berufen kann. Zwar handelt es sich bei beiden um im Grundgesetz verbürgte Grundrechte, doch Artikel 12 Absatz 1 GG ist ein speziell die Berufsfreiheit regelndes Grundrecht und unterstellt die Berufsfreiheit einem besonderen Schutz. Der Schutz über Artikel 2 Absatz 1 GG bietet dagegen einen eher abgeschwächten Schutz, denn dieses Grundrecht gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit und in die allgemeine Handlungsfreiheit kann leichter eingegriffen werden als in das spezielle Grundrecht der Berufsfreiheit.

Wann ist in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingegriffen?

Grundrechte können generell unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden. Bei der Berufsfreiheit gilt es zunächst herauszufinden, worin eigentlich die Einschränkung besteht. Vorab ist zu fragen, ob die Einschränkung die Berufsausübung, also das „Wie“ (1. Stufe) betrifft. Als Beispiele dafür sind zu nennen etwa die Festlegung von Ladenschlusszeiten; Werbebeschränkungen für Ärzte und Notare oder das Rauchverbot in Kneipen, oder ob die Einschränkung der Berufsfreiheit vielmehr die Zulassung, die Wahl, die Aufnahme oder die Beendigung des Berufes, also das „Ob“ betrifft und dabei an Umstände anknüpft, die in der Person (2. Stufe) oder vielmehr außerhalb der Person (3. Stufe) liegen.

Beispiel für die 2. Stufe sind etwa das Erfordernis des Abiturs für die Zulassung zum gehobenen öffentlichen Dienst, Höchstaltergrenzen und das Staatsexamen für die Zulassung zu einem bestimmten Beruf und das Fehlen bestimmter Vorstrafen für eine Rechtsanwaltszulassung.
Besonders schwer wiegen die Einschränkungen, die die dritte Stufe betreffen, da zum einen die Berufsausübung vollständig untersagt werden kann und zum anderen der betroffene Bürger hierauf keinen Einfluss hat, der etwa in seiner Qualifikation liegt. Ein solch erheblicher Eingriff liegt zum Beispiel vor bei der Zulassungsbeschränkung von Apotheken. Eine Einschränkung auf dieser dritten Stufe ist jedoch nur möglich, wenn Einschränkungen auf der ersten und zweiten Stufe nicht ausreichen.

Die Vorgehensweise ist theoretisch schwer zu erklären und zu verstehen. Im Grunde aber ist die „Dreistufentheorie“ eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Für einen Eingriff in die „erste Stufe“ ist deshalb zu fragen, ob die Beschränkung ein Gemeinschaftsgut tangiert und die Beschränkung zudem geeignet, erforderlich und angemessen ist. Für die zweite Stufe ist zu fragen, ob ein wichtiges Gemeinschaftsgut betroffen ist, und ob die Beschränkung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Für die dritte Stufe ist zu fragen, ob die Beschränkung der Berufsfreiheit einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut dient und dabei geeignet, zwingend erforderlich und angemessen ist.

Muammer Duran gehört der zweiten Generation türkischstämmiger Einwanderer an. Er hat an der Universität Hannover Rechtswissenschaften studiert und ist seit fast zehn Jahren als Anwalt tätig. Derzeit ist er der Vorsitzende des CDU-Ortvereins Linden-Limmer und Beiratspräsident des Deutsch-Türkischen Netzwerkes.